Runnicles hat die Dinge erfahrungssatt im Griff, auch im ersten Vorspiel, wo sich die Geigen haufenweise noch im Nachmittagsnickerchen befinden. Donald Runnicles leitet mit tadelloser Gediegenheit. So kann er’s: klangwuchtig wenn nötig und schnörkellos dramatisch. Runnicles gönnt sich (und uns) auch unreflektiert schöne Holzbläser-Romantik. Das hat A-Dur-Hand und f-Moll-Fuß. Nicht zuletzt die weiträumig vorbereiteten Steigerungswellen der Chorszenen haben Atem, Ausgewogenheit, Klasse, selbstverständliche Architektur.
Gestalt und Blondmähne machen aus Klaus Florian Vogt immer noch das Idealbild des vom Gral entsandten Ritters. Vogt singt dazu immer noch im imaginären Klanggewand eines Jünglings: hell, silbern, unendlich nobel. Der „Vogt-Ton“ hat ja inzwischen verschiedene Spielarten. Im ersten Aufzug, wenn’s um Wunder und Liebe geht, kippt Vogt auch mal ins Salbungsvolle. Aber in den kraftvoll deklamierenden Stellen von Aufzug II und III klingt der Tenor formidabel, kühn, von schneidender Konsequenz. Fast könnte man sagen, Vogts Ideal wäre die Reinheit des Sprechtheaters. Man spürt: Da ist er der Sänger der unbedingten Treue gegenüber Wagners Text. Daher ist Vogts Interpretation relativ immun gegen Interpretationstendenzen des Regisseurs (hier von Kasper Holten). Das Schönste ist, dass man sprichwörtlich bei jedem gesungenen Ton an Vogts Lippen hängt.
Nach der Prokofjew’schen Verlobung im Kloster am Vortag tue ich mir schwer mit dem „biederen Pomp“ (Thomas Mann) der Meistersinger. Doch die Sänger höre ich gerne.
Andrea Moses denkt Wagners Festoper von der Gegenwart aus. Hier bevölkern die Meistersinger als honorige Mittelständler-Chefs eine holzgetäfelte Führungsetage, umwuselt von schmucken Büro-Lehrbuben. Das Prügelprogrom der Johannisnacht kommt direkt aus einer durcheinandergewürfelten deutschen Gesamtgesellschaft, ebenso die lärmende Festwiesenfreude vor nagelneuer Berliner Schlosskulisse, die nach Sachsens Ansprache strahlend Rasengrün weicht. Das sieht so steril aus, dass man sich fast nach der unwirtlich urbanen Neon-Nacht des 2. Aktes sehnt. Der 2. Akt ist ansonsten eine recht fade Angelegenheit, obwohl Sachs beim Fliedermonolog an der hauseigenen Hanfplantage schnuppert. Einen einzigen Lacher gab’s dafür am Sonntag. Akt 1 und Akt 3 funktionieren hingegen gut in gut bespielten Räumen (Bühne Jan Pappelbaum).
Hans Sachs (Wolfgang Koch) ist als erfolgreicher Schuhunternehmer inszeniert, der ein Alt-68er geblieben ist und dennoch um Tradition und Altvordere weiß, wertkonservativ gesinnt und doch offenen Herzens, eine Art Winfried Kretschmann auf der Opernbühne. Am allesentscheidenden Morgen steht Sachs im Schlabberhemd am Lesepult seiner 20.000-Euro-Bibliothek (nur die Regale) und beherrscht die Bühne durch Lässigkeit. Koch ist ein suggestiver Darsteller von hohen Gnaden und er setzt dem Sachs eine Seele ein, generös menschelnd und jovial singend, in der Mittellage ausnehmend schön, in der Höhe nicht so brachial-schallend wie Michael Volle, doch beherrscht Koch auch die transparente Halbstimme in der Höhe. Koch singt mit der Kraft der Schönheit, mit einer sozusagen modernen Wagnerstimme, in der sich dezentes Metall und weiche Umhüllung schmeichelnd vereinen.
Auch Klaus Florian Vogt singt einen aufregend anderen Stolzing. Mit konsequent lyrischem Vortrag und selten klarer Diktion. Das Konzept von Vogts Ton: hell und leicht, dazu ein Schuss Naivität. Was für ein Genuss! Das Preislied ist purer Wohltat-Wagner zwischen Parnass und Paradies. Ausdrucksträger ist stets der fast kammermusikalische Stimmklang, das gilt selbst in der von einer attraktiven Leichtmetalllegierung getragenen Höhe. Was mich bei Vogt immer noch stört, ist die Phrasierung ohne Spannung. Doch ich halte Vogts Walther von Stolzing für den derzeit besten in Wagners weiten Landen. Dass Vogt sehr kurzfristig einspringt, ist Grund zur Freude. Doch der Tenor singt tags zuvor die gleiche Rolle in Salzburg unter Thielemann. Ist dies nicht unverantwortlich gegen sich selbst, auch wenn Vogt sich im 1. Akt flink frei singt?
Die Eva Pogner ist bei Regisseurin Moses nicht das Ev’chen von züchtig deutscher Gefühlstiefe, sondern eine patente junge Dame in schrecklichen Liebesnöten, die sich erst in allerletzter Sekunde für den Junker entscheidet. Julia Kleiter spielt die nicht ganz stressresistente, daher Zigarette qualmende Eva bravurös und nervös gestikulierend. Sie brilliert im Quintett, singt dort rein und leuchtend, hat für meinen Geschmack in den berückend hell gesungenen rezitativischen Passagen wenig Intimität oder Ausdruck in der Stimme. Auch Martin Gantner (Beckmesser), für Kränzle eingesprungen, verkörpert seine Rolle hell und dazu auch noch markant und ohne charaktertenorales Gedöns. Beckmesser – einmal nicht als Außenseiter-Karikatur, sondern als gestandener Mann, der allerdings als jämmerlich Versagender im Wettsingen erstaunlich wenig Mitleid auf sich zieht.
Neben Vogt und Gantner ist der Pogner von Matti Salminen eine weitere kurzfristige Umbesetzung. Salminen, unvergessen als Gurnemanz und Marke an beiden Berliner Häusern, singt einen äußerst problematischen Auftritt im 1. Akt (für den er zwei schallende Buhs beim Schlussapplaus bekommt) und einen respektabel kraftvollen im 3. Akt. Eine helle Freude ist der David des Südafrikaners Siyabonga Maqungo mit deutlicher Aussprache, kunstfertiger Belcanto-Kultur, gutem Deutsch und Stimmreserven. Dass ein Afrikaner in den ach so deutschen Meistersingern singt und reüssiert, fügt der Vorstellung eine hochinteressante Note hinzu, die das Publikum beim Schlussapplaus auch zu honorieren scheint. Die hochgewachsene Lene von Katharina Kammerloher gerät drahtig und gerade heraus. Ein bleibender Publikumserfolg ist die Riege der altgedienten Meistersinger mit Franz Mazura (Schwarz), Graham Clark (Vogelsang), Siegfried Jerusalem (Zorn), Reiner Goldberg (Eisslinger) und Olaf Bär (Foltz). Der Nachtigall von Adam Kutny, der Kothner von Jürgen Linn, der Moser von Florian Hoffmann und der Ortel von Arttu Kataja komplettieren die Meisterriege. Als Nachtwächter versieht Erik Rosenius seinen Dienst.
Wie gesagt, mir fehlte nach der musikalisch fulminanten Prokofjew-Premiere das Ohr für die Meistersingermusik. Es wird anfangs auch schlampiger musiziert. Freilich hält Barenboim das Tempo zu Beginn enorm hoch. Zur Staatskapelle und Daniel Barenboim deshalb nach der Ostersonntagsvorstellung mehr.
Wie macht sich der Staatsopern-Fidelio 2018? Vor zwei Jahren, im feinen, eleganten Schillertheater, wurde der spartanischen, szenisch sparsamen Inszenierung von Harry Kupfer allenfalls lauwarm applaudiert. Rettet Kupfer Unter den Linden die Rettungsoper? Weiterlesen →
Mit viel Vorfreude gehe ich in den Lohengrin (hört man ja sooo selten), um Groissböck, Vogt, Nylund und Smirnowa mal wieder zu hören.
Aufällig sind die Gemeinsamkeiten von Vogt, Nylund und Gantner, der den Telramund singt. Alle drei singen expressiv zurückhaltend, geben der Musik den Vorrang vor der Deklamation, haben helle Stimmen, kolorieren behutsam, und besonders Vogt und Nylund phrasieren mit viel Erfahrung. Als Fitnessprogramm kann Klaus Florian Vogt die Rolle des Lohengrin (ganz brav mit Ansteck-Flügel) kaum nutzen. Mehr als gemessenes Schreiten sieht die Regie (Kasper Holten) nicht vor. Man kennt Vogts Lohengrin, man hat’s schon öfters gehört. Dennoch verblüfft der radikal liedhafte Zugang aufs Neue, Vogt singt
Die Meistersinger-Premiere bei den Bayreuther Festspielen 2017.
Der wilde, assoziative Berliner Regiestil schwappt von Zeit zu Zeit als unvorhersehbare Flutwelle nach Bayreuth. Erst Castorf mit dem Ring, jetzt Kosky mit den Meistersingern.
Romeo Castellucci, der Regisseur aus Italien, verpasst Wagners Sorgenkind-Oper zweifelsohne einen Facelift. Wie das? Castelluccis Regie zielt auf opulent-üppiges Tableau-Theater ohne jede dramatische Unterfütterung.
Dabei fängt es gut an. Ja, die Regie schafft bildmächtige Szenerien. Zu nennen sind das fidele Bogenschießen eines Rudels von Amazonen, das die Venusbergmusik vielsagend begleitet. Aber schon im zweiten Akt stehen mystisch wehende Gardinen im Zentrum, und der Sängerkrieg vollzieht sich als Look-Alike einer Zen-Zeremonie in blendend weißen Karate-Outfits. Dazu formen weißbezopfte Balletteusen rätselhafte Menschenmuster. Das ist so blässlich wie konventionell und enträt jeden dramaturgischen Pepps. Unter den Chorsängern befürchtet man infolge Dauerstehens gar bleibende Gesundheitsschäden. Die faustdicke Überraschung hält indes der dritte Akt bereit.
Denn im Vergleich zum Seiffert-Dasch-Lohengrin vom Dezember 2016 sind die Hauptrollen 2017 an der Deutschen Oper Berlin samt und sonders neu besetzt.
Ich beginne ausnahmsweise mit dem wolligweichen Bass Sung Ha. Der steht als König Heinrich steif wie ein Laternenpfahl auf der Bühne, klingt aber so wunderlich jung, dass kaum stört, dass seine hohe Lage leicht ist und seinem Vortrag die persönliche Note jenseits des 0815-Gestenrepertoirs für König Heinrichs fehlt. Aber das kommt schon noch. Sehr schön.
Blaue Stunde in Gralslandschaften: Stölzls Parsifal an der Deutschen Oper Berlin / Foto: facebook.com/DeutscheOperBerlin, Matthias Baus
Philipp Stölzls Zentenar-Parsifal (Mit der Inszenierung feierte die Deutsche Oper ihr 100-jähriges Wachsen und Gedeihen) steht wieder auf dem Spielplan der DOB. Und immer noch changiert Stölzls Berliner Parsifal zwischen Revoluzzer-Regie und turbulenter Texttreue. Es ist eine Stärke von Stölzls Parsifaldeutung, dass der Zuschauer auch nach wiederholtem Besuch nicht weiß, ob Stölzl sich bierernste Bibeltreue oder ideologiekritisch um sich ätzendes Regietheater auf die Fahnen geschrieben hat. Das kultige Bühnenweihfestspiel als ergebnisoffenes postmodernes Wunschkonzert, wer hätte das gedacht! Weiterlesen →
Uwe Eric Laufenberg inszeniert Parsifal. Hier kurz die Eckpunkte.
Akt 1: Gurnemanz ist ein strengsanfter Öko-Fundi in syrischer Diaspora. Akt 2: Klingsors Zauberschloss ist ein Harem voller fescher Burkamädls. Akt 3: Kundry hievt Gurnemanz in den Rolli, zuletzt herrscht reuelose All-Versöhnung.
Laufenbergs Parsifal-Premiere hat ein Problem. Billiges steht neben Gutem. Wagner-Trash neben Zukunftsfähigem, Bedenkenswertem.
Der neue Nelsons ist gefunden. Bayreuth kann durchatmen. Der Dirigent der Bayreuther Neuproduktion des Parsifal heißt Hartmut Haenchen. Das teilen die Bayreuther Festspiele in einer Presseerklärung mit. Der aus Dresden stammende Haenchen, Jahrgang 1943, gilt als erfahrener Wagnerdirigent. Er leitete Wagneropern u.a. an der Pariser Opéra de Bastille, an der Nationale Opera, Amsterdam, am Teatro Real, Madrid, an der Opéra de Lyon sowie am Royal Opera House of London. In Bayreuth wird er mit Parsifal nun sein Dirigierdebüt geben.
Für die Premiere war ursprünglich Andris Nelsons vorgesehen. Nelsons hatte Ende Juni um die Aufhebung des Vertrages für dieses Jahr gebeten. Gerüchten zufolge ist es zu Unstimmigkeiten zwischen Nelsons und dem Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, Christian Thielemann, gekommen.
Die Bayreuther Festspiele 2016 haben ein Problem. Andris Nelsons wird nicht die diesjährigen Parsifal-Aufführungen in Bayreuth dirigieren. Grund hierfür sind dem Anschein nach Differenzen mit Christian Thielemann. So soll Thielemann den lettischen Dirigenten während der Proben zu Parsifal mit unangebrachten Ratschlägen überhäuft haben. Thielemann ist Musikdirektor der Bayreuther Festspiele. Die Premiere von Parsifal soll am 25. Juli stattfinden. Regie führt Uwe Eric Laufenburg. Klaus Florian Vogt singt Parsifal, Elena Pankratova Kundry.
Inzwischen stehen die Besetzungen für die Bayreuther Festspiele 2015 fest. Prominente Umbesetzungen hat es u.a. im Ring gegeben. Statt Lance Ryan singt Stefan Vinke den Siegfried. Mime singt Andreas Conrad statt Burkhard Ulrich. Die Freia übernimmt Allison Oakes anstelle von Elisabet Strid. Allison Oakes wird auch als Gutrune zu hören sein. Andreas Hörl ist der neue Fafner. Er ersetzt Sorin Coliban.
2015
Tristan und Isolde (Dirigent Christian Thielemann/Regie Katharina Wagner)
Besetzung: Tristan Stephen Gould, Isolde Evelyn Herlitzius (anstelle von Eva-Maria Westbroek und kurzfristig für Anja Kampe), Marke Georg Zeppenfeld, Kurwenal Iain Paterson, Brangäne Christa Mayer, Melot Raimund Nolte Weiterlesen →
Die Bayreuther Festspiele präzisieren den Spiel- und Besetzungsplan für die Festspiele 2016. Die als Kundry angekündigte Petra Lang steht nicht mehr für Bayreuth zur Verfügung. Kundry singt nun Elena Pankratova. Dafür steht Lang auf dem Spielplan 2016 als Isolde. Zudem steht der Name des Sänger von Fafner und Titurel fest. Es ist Karl-Heinz Lehner. Außerdem tauschen Thomas J. Mayer und John Lundgren nun ihre Rollen: Mayer singt Holländer statt Wanderer und Lundgren Wanderer statt Holländer. Letzte Besetzungsänderung: An Stelle von Jennifer Wilson singt Heidi Melton die Sieglinde. In Götterdämmerung springt kurzfristig Albert Pesendorfer für Stephen Milling ein. Und Andreas Schager singt in der Vorstellung am 6. 8. 2016 anstelle von Klaus Florian Vogt die Titelrolle in Wagners gleichnamigem Bühnenwerk.
Bayreuther Festspiele Spielplan 2016
Tristan und Isolde (Dirigent Christian Thielemann, Regie Katharina Wagner) Weiterlesen →
Die aktuellen Informationen zu Bayreuth 2015 gibt es hier.
Einige Infos zu Neuproduktionen und Besetzungen bei den Bayreuther Festspielen von 2013 bis 2020.
2013: Ring des Nibelungen, dirigiert von Kirill Petrenko. Lance Ryan ist Siegfried, Catherine Foster Brünnhilde. Wolfgang Koch singt Wotan und Wanderer. Alberich ist Martin Winkler, Mime Burkhard Ulrich. Johan Botha singt Siegmund, Franz-Josef Selig Hunding und Anja Kampe Sieglinde. Die Regie übernimmt Frank Castorf.
2014: keine Neu-Produktion wegen der Ring-Produktion 2013.
2015: Tristan und Isolde. Es singen Stephen Gould und Eva-Maria Westbroek. Christian Thielemann dirigiert. Katharina Wagner inszeniert.
2016: Parsifal. Parsifal ist Klaus Florian Vogt, Kundry Petra Lang und Gurnemanz Georg Zeppenfeld. Die interessanteste Neuigkeit dürfte sein, dass Andris Nelsons dirigiert. Regie wird Schlingensief-Nachfolger Jonathan Meese führen.
2017: Die Meistersinger von Nürnberg
2018: Lohengrin, dirigiert von Christian Thielemann. Der Dresdner Maler Neo Rauch soll offenbar das Bühnenbild gestalten. Eventuell singt Anna Netrebko die Elsa.