Intermezzo ist Strauss‘ zehnte Oper. Dass sie selten gespielt wird, ist nicht übertrieben. Den plauderfreudigen Zweiakter, der im Nach-Inflationsjahr 1924 in Dresden Premiere hatte, dirigiert von Adolf Busch und mit Lotte Lehmann als Christine, inszeniert Tobias Kratzer jetzt an der Deutschen Oper Berlin pointenreich zupackend. Ungewöhnlich für Strauss: Das Libretto stammt vom Komponisten. Nach der wuchtigen Frau ohne Schatten (vollendet 1917) waren Gegenwart und flinkes Parlando angesagt.

In Intermezzo dreht sich alles um das Ehepaar Storch. Die bilden ein bestens funktionierendes dysfunktionales Traumpaar. Man zankt sich, weil man sich liebt. Immer und überall. Er leidet ein bisschen mehr. Sie, Christine, attackiert mit mehr Gusto. Weil er, Robert, aus besserer Familie stammt. Weil sie diesen Charakter hat: launisch, temperamentvoll, chaotisch, aber auch „recht frisch und pikant“, wie man bei der berühmten Skatrunde im 2. Akt erläutert. Er, der Dirigent, ist nicht ohne gefährlichen Dünkel, aber gutmütig. Intermezzo ist also eine Ehealltagsoper – aber in einem wohlhabenden Haushalt. Man hat Dienstpersonal, wobei die Kammerjungfer Anna (patent Anna Schoeck) mehr oder weniger unwillig die Hausherrin erträgt.

Regisseur Tobias Kratzer findet für dieses Ehebeschreibungstheater in 13 Szenen eine sparsame Bühne im Superbreitformat (Rainer Sellmaier), frech bespielt je nach Bedarf von einem weißen Fünfersofa, dem Untermietzimmer von Baron Lummer oder, sehr originell, dem Querschnitt jenes Airbus‘, in dem Kapellmeister Stroh dem Ehemann Storch eröffnet, wie die Verwechslung von Mieze Maier zustandekam. Darüber ist Platz für Videos, die, wie oft bei Kratzer, irgendwann dann zu viel werden. Der Crash zweier echter Autos – Christine standesgemäß im BMW-SUV – ersetzt den Ski- und Rodelunfall der zweiten Szene.

Bestens: Mit der Premiere von Intermezzo setzt die Deutsche Oper ihre neugierig-wertvollen Neubegutachtungen – Die Schatzgräber, Heliane, Der Zwerg – fort. Und praktiziert so intelligente Repertoirepflege.

Fotos: Monika Rittershaus

Die einzige Freiheit gegenüber dem Textbuch, die sich Kratzer übergriffig erlaubt: Christine landet mit Baron Lummer doch in der Kiste, und zwar in einem lieblosen, doch liebevoll nachgebauten Hotelzimmer der 90-Euro-Klasse. Kratzer inszeniert das alles kurzweilig, witzig, es gibt Szenenapplaus, doch bleiben die Personen stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Maria Bengtsson singt Christine mit milder Sopranfinesse und unendlich passend. Vergnüglich hintersinnig nicht zuletzt Christines Faible für Verkleidungen in Kostümen von Heldinnen von Straussopern.

Einzige Kritik: gegen Schluss wirds halt zu viel. Dann ist Kapellmeister Stroh auf einmal Runnicles und Baron Lummer auf einmal Tobias Kratzer und Storch sowieso ein zweiter Runnicles. Da wird Selbstironie zu Selbstgefälligkeit.

Hofkapellmeister Robert Storch wird bestens solide von Philipp Jekal, der sportliche Baron Lummer (Christine: „ein bisschen langweilig“) ebenso von Thomas Blondelle gesungen. Den Kapellmeister Stroh, den weißhaarigen Liebhaber der Mieze Meier, gibt Clemens Bieber, den vor den Axtschlägen Christines flüchtenden Notar gut Markus Brück, dessen Frau Nadine Secunde (köstlich). Als Kommerzienrat ist Joel Allison zu hören, als Justizrat Simon Pauly, als Kammersänger Tobias Kehrer. Resi, des Barons Bettfreundin, wird von Lilit Davtyan gesungen (fesch).

Die Musik ist allerbester Strauss, nur ohne Arien. Für die findet das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles den Ton weicher Parlando-Geläufigkeit, auf Brillanz verzichtend, dafür setzt man auf strömende, aus rezitativischen Orchestergesten feinst aufgebaute Kontinuität. Runnicles verbindet gedeckten Klang mit süffiger Breite – eine 1a Leistung.

Eine gelungene Premiere, hemmungslos attraktive Musik, und Bengtsson und Runnicles in Topform.


Weitere Premierenkritik: „Fallhöhe eines Frühstückseis„(Kai Lührs-Kaiser, Hörkritik)