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Alles neu macht der allezeit populäre Lohengrin.
Denn im Vergleich zum Seiffert-Dasch-Lohengrin vom Dezember 2016 sind die Hauptrollen 2017 an der Deutschen Oper Berlin samt und sonders neu besetzt.
Ich beginne ausnahmsweise mit dem wolligweichen Bass Sung Ha. Der steht als König Heinrich steif wie ein Laternenpfahl auf der Bühne, klingt aber so wunderlich jung, dass kaum stört, dass seine hohe Lage leicht ist und seinem Vortrag die persönliche Note jenseits des 0815-Gestenrepertoirs für König Heinrichs fehlt. Aber das kommt schon noch. Sehr schön.
Als Lohengrin ist Klaus Florian Vogt längst nicht mehr der Schmalspurtenor mit Ministrantentimbre, als der er vor gut zehn Jahren Furore machte. Vogts fester, heller Tenorton hat ja jetzt das Standing für die repressiven Charakterzüge („Nie sollst du mich befragen“, 1. Akt, und besonders „Ihr hörtet alle, wie sie mir versprochen“, 3. Akt). Ein Ereignis ist, wie Vogt auf jegliches Portamento verzichtet. Das kann puristisch wirken, ja Legato- und mithin kunstfeindlich. Aber weil Klaus Florian Vogt auch die Laut- und Leisegrade variiert wie sonst nur die Soloklarinettisten der Berliner Philharmoniker, entsteht Wagnersingen von großer Genauigkeit und Ernsthaftigkeit. Allerdings: Seine allererste Aktion – „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!“ – quäkt Vogt in unerquicklicher Halbstimme.

Neben dem edlen Weißsilber, das Vogt in die edle Bornemann-Halle streut, hat es Manuela Uhl als Brabantermaid Elsa schwerer. Am schönsten klingt’s, wenn Uhl technisch unschwierig strömende Linien mit ihrem schwertönigen Sopran nachzieht, so das schwärmerische „Des Ritters will ich wahren“. Stichwort schwertönig: Uhls Sopran ist zähflüssig wie kühl gewordener Honig, aber voll dunklen Klangs. Die Kontrolle über diesen Klang scheint nicht ganz einfach, die Vollhöhe klingt unfrei, das Piano gerne flackrig verquollen. Frau Uhl legt während des gesamten Abends vermutlich nicht mehr als zehn Bühnenmeter zurück.
Der abgehärmte Telramund von John Lundgren verfügt über metallische Schallkraft, aber über wenig Farben. Als unglückliches Weichei, der von seiner Ehegemahlin in punkto Tatkraft locker in die Tasche gesteckt wird, ergeht’s ihm nicht besser als Wotan im zweiten Akt der Walküre bei Fricka. John Lundgrens Vortrag ist ziemlich straight auf Wagner’sche Dauererregung ausgelegt. Klasse Leistung, aber etwas mehr Entspannung, etwas mehr Kantabilität, John!
Die üppig perückte Elena Pankratova zeigt als Friesenzauberin Ortrud, was imposante Spitzen-A’s und -H’s sind, mit denen die Partie der Ortrud übrigens gespickt ist. Positiv ist das wohlig knisternde Feuer ihres Pracht-Soprans zu vermerken. Doch was mich schon an ihrer Bayreuth-Kundry störte, das höre ich auch heute, nämlich das Primat des Klangstroms über die wortverständliche Deklamation. Den Heerrufer singt Dong-Hwan Lee mit energisch vibrierendem Bariton.
Die Edelknaben, die sich putzig um Elsa kümmern, singen Andrea Schwarzbach, Cordula Messer, Saskia Meusel und Martina Metzler. Die blutbefleckten brabantischen Edlen, ein Security Service der unheimlichen Art, erfüllen John Carpenter, James Kryshak, Robert Watson und Stephen Barchi mit vokalem Leben.
Was Axel Kober im Advents-Lohengrin lieferte, war Übersicht und Schlankheit. Donald Runnicles wirft das alles über Bord. Sein Lohengrin stürmt voran wie ein junger Bulle. Die geteilten Geigen des Vorspiels klingen scharf, was sehr gut ist. Ansonsten fuhrwerkt Runnicles wie ein Bauer mit der Mistgabel im Lohengrin herum. Das ist nie geschmeidig, nie feinfühlig, nie lyrisch-erhitzt, immer aber voll hemdsärmeligen Schwungs, voll dramadrallen Krawalls. Ein Lohengrin, in dem ein Holländer-Sturm tobt. Ein wilder Rodeoritt, auch tempomäßig, ist das „In Früh’n versammelt uns der Ruf“ des Männerchors im zweiten Akt. Überhaupt haben die Aktionen des Chors eine fast brutale Richtungsenergie, die Runnicles mit vollendeter Kaltblütigkeit hinlegt. Das ist beeindruckend. Wieder sei’s geklagt: Holzbläsern beredtes Phrasieren zu entlocken, scheint in keinster Weise zu Runnicles‘ Prioritäten zu gehören.
„Legato- und mithin kunstfeindlich“: sehr schön. Bei Ihnen lernt man immer was.
Und in der Tat sehr interessant, KFVs Entwicklung über die Jahre zu hören. Beim allerersten Mal glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen; Jan Brachmann verglich die damalige Stimme, durchaus nicht pejorativ, mit „Heintje“.
Mit Frau Uhls Stimme werde ich mich wohl nie anfreunden können…
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Ich hörte Vogt zum ersten Mal in der Lohengrin-Premiere an der Staatsoper, übrigens die schöne Herheim-Produktion. Ich hörte es ähnlich wie Brachmann. Uhls Stimme ist sicherlich nichts für die Aufnahme, aber live hat sie ihre Stärken.
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Übrigens kolossal gutes Konzertbesucher-Porträt für dieses Magazin
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Danke! Da erlaub ichs mir mal zu verlinken, damit Ihre geneigten Leser wissen, was Sie loben: https://van.atavist.com/klassik-grizzly
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ORTRUD – so wie KUNDRY – ist eine SOPRAN-Partie, mein guter Herr! Öffnen Sie mal die Seite 4 des Wagnerschen Klavierauszugs und vergewissern Sie sich, wenn Sie schon als Kenner und Kritiker gelten wollen. Elena Pankratova ist ein Ausnahme-Sopran – kein MEZZO! – und singt überall Partien wie ELEKTRA, TURANDOT, TOSCA, etc. Kürzlich hat sie sogar die ROSALINDE in München gesungen!
Ihr Deutsche-Oper-Debüt gestern hat sie sehr souverän, durchaus textverständlich und sehr facettenreich gesungen. Dafür hat sie fast genauso viel Applaus geernteten, wie der Titelheld – komisch, dass Sie das in ihrer Kritik gar nicht erwähnt haben!..
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Vielen Dank für den Hinweis. Sie haben Recht, Elena Pankratova ist kein Mezzo. Dass die Ortrud aber ebenso häufig wenn nicht gar häufiger von Mezzos gesungen wird wie von Sopranen, ist allerdings ebenso kein Geheimnis.
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Und, wenn ich das noch anmerken darf, meine ich, dass im 19. Jahrhundert das, was heute Mezzosopran heißt, als eigenständige Stimmlage noch gar nicht generell so bezeichnet und deshalb auch oft „Sopran“ genannt wurde. Was die Höhe der zu singenden Töne angeht, unterscheiden sich Elsa und Ortrud ja fast gar nicht. Ortrud muss ein klein wenig weiter runter. Der Unterschied, den man zwischen Elsa und Ortrud erwartet, ist eher in der Klangfarbe und der dramatischen Kraft festzumachen.
Also danke für Ihren Kommentar und mfg Schlatz
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