Abonnentenschreck Castorf wird an der Bismarckstraße geteert und gefedert. Aber vorher verpasste das Schlitzohr der Deutschen Oper ein Verdi-Abreibung, die sich gewaschen hat. Frank Castorf inszeniert La Forza del Destino

Was macht Castorf? Holt er den Verdi-Hammer raus und zertrümmert Oper und Macht und Schicksal?

Es ist alles halb so wild.

Die Zeit: 1943, 2. Weltkrieg. Der Ort: Franco-Spanien und das frisch befreite Duce-Italien. Wir betreten ureigenstes Castorf-Terrain. Da ist der derbe, surreal durchmischte Hyperrealismus. Und ein mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragenes Anti-Kriegs-Pathos. Dazu der bekannte Castorf’sche Budenzauber: Livekameras auf die Sänger und eine nach Lust und Laune rotierende Drehbühne. Aber wie schön ist die Kirchenfassade, und wie triftig, raumhaltig und raumschaffend wirken die vielwinkligen, „epischen“ Bastelbühnenbauten (Aleksandar Denic).

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Ein Reigen von Castorf-Kreaturen umschwirrt die Hauptpersonen. Da wären die lasziv kalte Kammerzofe Curra (Amber Fasquelle) als Allegorie des Schicksals, zwei sexy Krankenschwestern als tröstende Todesengel und der (stumme) Indio (Ronni Maciel, unten ein Höschen, oben ein Federfummel, Kostüme: Adriana Braga Peretzki). Sie holen schlaglichtartig die Themen ans Licht, die die Oper beherrschen: Tod, Krieg, Rassismus. Wie meist bei Castorf ist die Personenführung gewollt statisch, ja blockhaft. Castorf lässt Bühnenbild und Musik sprechen. Die meist stimmigen Rezitationen führen auch heute zu vielerlei erzürnten Zwischenrufen.

Eine gute, spannende Inszenierung, die Hand und Fuß hat. Die Besetzung erklimmt nicht unbedingt ungeahnte Verdi-Höhen, ist aber immerhin sehr hörenswert.

Als leidenschaftliche, leidende Leonora punktet María José Siri (als Einsiedlerin mit aufreizendem Top, klasse die üppig rote Rosenkrone, mit der sie ins Kloster geht) mit vollem, dramatischem Klang, wenn auch das schwer zu bändigende Vibrato und der breit malende Sopran-Pinsel Geschmacksache bleiben. Siris innige Momente brodeln vor untergründigem Lebenswillen. Ein Genuss sind die schönen Bögen über dem Pilgerchor im 2. Akt und die empfindsam geformten Phrasen im weltabgewandten Gebet Madre, pietosa vergine, das im leuchtenden Piano verklingt.

Den Mestizen Alvaro gibt Russell Thomas mit attraktiver, dunkel-männlicher Mittellage und einem erregend deklamativen Singen. Della natal sua terra wird durchtränkt von Trauer, zwiespältig allerdings die anschließende romanza mit anfangs klanglos-saftloser Kopfstimme und plötzlich heldisch aufstrahlender Höhe (O tu che in seno). Bei Markus Brück stehen packende Momente neben eher fragwürdigen. Für den auf tödliche Rache sinnenden Bruder Leonoras führt Brück seine aggressiv geführte Baritonstimme ins Feld. Die ungezügelten Hasstiraden singt er mit gefletschten Zähnen und klingt dabei fast als Karikatur. Der Ausdrucksmusiker fegt den Techniker hinweg. Ein grenzwertiges Porträt.

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Erstaunlich, wie sämtliche Genreszenen szenisch und musikalisch glücken. Elena Maximova präsentiert als Preziosilla dunkle Farben und zeichnet ein temperamentvoll-lebendiges Porträt der Zigeunerin. Ihre Mezzostimme: fruchtig-säuerlich. Eine Zurbarán-Gestalt in kantiger Mönchskutte ist der Guardian, gesungen von Marko Mimica mit junger, schwarzer, schön timbrierter Bassstimme, die (noch) nicht ganz den Ton von franziskanischer Würde transportiert. Schön und kühl wie eine Statue spielt und singt Amber Fasquelle die Zofe Curra, ein Hingucker mit firnweißer Schwesternhaube. Ein köstlicher Trabuco ist Buffo-Tenor Michael Kim, während der Calatrava, der Vater Leonoras und Don Carlos‘, recht flach klingt (Stephen Bronk). Hörenswert die weiteren Nebenrollen: der Arzt im blutverschmierten Kittel (Byung Gil Kim), der Alkalde, der Carlos im 2. Akt zur Rede stellt (Padraic Rowan, mit angenehmer Baritonstimme: Non so nulla, non so nulla) und der grob egoistische, komische Melitone, von Misha Kiria wendig und hellstimmig (Che noia!, Chi siete?) gesungen.

Der Chor der Deutschen Oper legt sich ins Zeug. Das Rataplan ist ein zugespitztes Kabinettstück. Es klappt nicht alles, aber wenn es klappt, klingt es eindrucksvoll.

Über den Spanier Jordi Bernàcer muss man nicht zu viele Worte verlieren. Am besten gelingen die Massen- und Chorszenen, die frei strömen dürfen. Die Ouvertüre gerät erschreckend harmlos. Ich hoffe, ich werde Jordi Bernàcer erst wiederhören, wenn er mit dem Orchester etwas anfangen kann. Schön die Klarinette vor Alvaros romanza, schön die Harfe als „Vertraute“ der Leonora.

Der Castorf-Deckel passt gut auf den Verdi-Topf. Schön auch, dass wenig oder gar nicht gekürzt wurde.

Foto Nr. 1: Thomas Aurin


Kritik zur Premiere: derb ätzend, aber nett geschrieben Manuel Brug, kritisch wohlwollend Kai Luehrs-Kaiser.