Ein merkwürd’ger Fall, dieser Neu-Münchner Tannhäuser.

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Romeo Castellucci, der Regisseur aus Italien, verpasst Wagners Sorgenkind-Oper zweifelsohne einen Facelift. Wie das? Castelluccis Regie zielt auf opulent-üppiges Tableau-Theater ohne jede dramatische Unterfütterung.

Dabei fängt es gut an. Ja, die Regie schafft bildmächtige Szenerien. Zu nennen sind das fidele Bogenschießen eines Rudels von Amazonen, das die Venusbergmusik vielsagend begleitet. Aber schon im zweiten Akt stehen mystisch wehende Gardinen im Zentrum, und der Sängerkrieg vollzieht sich als Look-Alike einer Zen-Zeremonie in blendend weißen Karate-Outfits. Dazu formen weißbezopfte Balletteusen rätselhafte Menschenmuster. Das ist so blässlich wie konventionell und enträt jeden dramaturgischen Pepps. Unter den Chorsängern befürchtet man infolge Dauerstehens gar bleibende Gesundheitsschäden. Die faustdicke Überraschung hält indes der dritte Akt bereit.

Der frönt nämlich offener Nekrophilie. Da verwest Elisabeths Leiche in kühner Zeitraffung eklig-grün auf dem Seziertisch, bis von ihr nur noch Schrumpfskelett und Knochenstaub übrig bleiben – während Anja Harteros dies, oh Wunder!, in tiefsinniger Denkerpose vom Bühnenrand aus verfolgt. Überhaupt, der Tiefsinn. Der scheint Castelluccis Metier zu sein. Ob Flitzebogen, Liebespfeil, Riesenohr, Tierkadaver, Nackedei – alles hat eine Bedeutung. Nur welche? Und in Sachen Dramatik ist bei Castellucci dann aber endgültig tote Hose.

Castelluccis Vorliebe für ästhetisierte Nacktheit treibt im weiteren Verlauf zunehmend seltsame Blüten: Vergessen wir nicht den Hirtenknaben mit Efeukranz, ein Leckerbissen für Pädophile, oder die Jungmädls vom Sängerkrieg mit den zarten Teenager-Brüsten. Am Ende bleibt der Tannhäuser eine Revue zeitgenössischen Kunstkitsches und selbstreferentiellen Hokuspokus. Ist der Tannhäuser nicht Musiktheater? Schrieb Wagner nicht Theatermusik? Man fühlt doch, dass Romeo Castellucci danebengreift, wenn er zu allem seinen Esoterik-Senf dazugeben muss.

Sängerisch gesehen ist der neue Tannhäuser der Bayerischen Staatsoper sehr bemerkenswert. Keiner der Zuschauer wird auch nur einen annähernd vergleichbar klingenden Tannhäuser gehört haben.

Debüts: Klaus Florian Vogt, Anja Harteros, Kirill Petrenko

Klaus Florian Vogt ist als Tannhäuser ein arger Grenzfall – doch ein äußerst interessanter. Vogts Tamino-Timbre, das in Parsifal und Lohengrin wie der sprichwörtliche Topf auf den Deckel passt, bedarf im Tannhäuser der Eingewöhnung. Doch dann öffnet Vogts feiner Leichtmetall-Tenor neue Erfahrungsfelder. Nie reizlüstern, immer textgenau, stets kunstbewusst, so verkörpert der Tenor den singenden Sünder. Im Duett des zweiten Akts wird Klaus Florian Vogt zum zweiten Parsifal, zu einem jungenhaften, von weltlichem Schmutz unverwundbaren Tenorhelden. Vogt ist mehr denn je ein Künstler der Verfeinerung. Sein Tenor scheint zugleich unsinnlich trocken und sehnig-biegsam, die Stimme bleibt auch in der Romerzählung lyrisch und hell.

Die Elisabeth der Anja Harteros singt klar und linear. Nie war eine Elisabeth mehr die tapfer leidende Frau (aber eher nicht die reine Jungfrau) als nun in München. Dass Castellucci die Personenregie schnuppe ist, wurde in den Premierenkritiken zu Genüge angemerkt. So gestaltet Anja Harteros die Elisabeth quasi aus sich selbst, kontrolliert detailversessen Dynamik und Vibrato und dosiert am laufenden Band die herb schillernden Klangfarben. Faszinierend, wie ihre Augenbrauen Text und Musik wirkungsmächtig spiegeln. Die Hallenarie – mit nicht ganz

glaubhaftem, leicht angesäuertem Jubel – und das stets heikle Zurück von ihm! Nicht ihr seid seine Richter! gelingen doch weniger als die berückend weltweh ausgesponnene Trauermeditation des dritten Akts (Allmächt’ge Jungfrau).

Christian Gerhaher lässt den wackeren Wolfram in kammermusikalischer Innigkeit und Diskretion glühen, verpasst ihm liedhafte Geistes-Einsamkeit, was mitunter bis an die Grenze des Gekünstelten geht – besonders im Mezza-Voce-satten Blick‘ ich umher in diesem edlen Kreise, aus dem die pathetischen Ausbrüche der Vollstimme erratisch hervorstechen, aber auch im Lied an den Abendstern mit seinen Inseln vibratolosen Singens.

Die Textverständlichkeit dieser drei Sänger ist ein Labsal.

Als Liebesgöttin singt Elena Pankratova mit dem bekannt schnellen Vibrato, klangsatt brodelnd, mit gutturaler Klangbeimischung und scharfer Höhe, das ist alles gut, sehr gut, doch verpanscht sie den Wagner-Wein mit verwaschener Diktion. Dass der Regisseur sie als Opfer und nicht als Quelle der Fleischeslust sieht, wirkt so spöttisch wie ironisch. Derart konsequent verleiblicht hat man Venus jedenfalls noch nicht gesehen. Landgraf Georg Zeppenfeld gebietet über einen kräftigen Bass von körniger Textur und schwarzem Grund, doch mit hellen,

metallischen Einsprengseln, und agiert im Ausdruck natürlich – nur etwas zu konventionell im pompös-festlichen Gar viel und schön, andererseits auch ehrlich erzürnt im kurzen Zurück das Schwert! Ihr Sänger, haltet Frieden!. Zeppenfelds darstellerische Bandbreite reicht vom Onkelhaft-Sanften bis zur kernigen Rhetorik des Landgrafen. Auffällig der coole Stirnring. Als Walther von der Vogelweide agiert Dean Power energisch und schlanktimbriert, Peter Lobert setzt sich als Biterolf emphatisch für die Tugend ein (seine Stimme klingt nach einer rappelvollen Münchner Saison bisweilen angestrengt). Heinrich den Schreiber singt Ulrich Reß, Ralf Lukas den Reinmar, für den Hirten zeichnet Elsa Benoit verantwortlich.

Es ist ein Abend der Rollendebüts: Pankratova, Vogt, Harteros.

Auch für Petrenko ist es der erste Tannhäuser. Den verschiedentlich gemachten Vorwurf, Kirill Petrenko leite „ohne klare interpretatorische Haltung“, kann ich nicht vollziehen. Es herrscht Klarheit, Mendelssohn’sche Spannkraft erfreut. Der erste Aktschluss gewinnt straffe Zugkraft, die stets durchhörbar bleibt. Die Sänger (besonders Vogt, Harteros und Gerhaher) folgen Petrenkos Konzept eines liedhaft-gelockerten, sächsischen Belcantos. Einen Tannhäuser mit solch optimistischem Schwung, aber auch mit solch vertrackter Ausgewogenheit der Stimmen gab es schon lange nicht. Der genauen Phrasierung der Staatsopern-Geigen zuzuhören, bereitet fortwährend Vergnügen. Fesselnd genau wird beim zweiten Aktschluss musiziert, im requiemhaften dritten Akt dann oft gar bedachtvoll-bedächtig. In den Ensembleszenen bleibt der Dirigent andererseits Feuer und pfeilschnelle Kraft nicht schuldig.

Sänger und Dirigent sonnen sich nach getaner Arbeit in den wärmenden Strahlen der Beifallssonne.


Kritiken der Tannhäuser-Premiere an der Staatsoper München:

Es gibt wieder Gammelfleisch im Gardinenladen“ (Die Welt)