Wie macht sich der Staatsopern-Fidelio 2018? Vor zwei Jahren, im feinen, eleganten Schillertheater, wurde der spartanischen, szenisch sparsamen Inszenierung von Harry Kupfer allenfalls lauwarm applaudiert. Rettet Kupfer Unter den Linden die Rettungsoper?

Kupfers fast säuerliche Kargheit steht dem Werk nicht übel an. Das strenge Konzept lässt zusammenwachsen, was nur bedingt zusammengehört: Spießbürgeridyll und himmelstürmende Gefangenentragödie. Dass Kupfer beides inszeniert und nicht ironisch bricht, ist ein Argument dafür, dass Idyll und Tragödie dazugehören wie das glücksschmetternde C-Dur des Finales. Die schieferschwarze Bühne (Hans Schavernoch) ist eine Art Niemandsland zwischen Torwänden. Fast wären auch die Figuren Niemandsfiguren, allenfalls der Rocco erhält Relief, nämlich als Pantoffelheld, dem Gewissensnot nicht fremd ist. Einige fingerzeigende Requisiten kann sich Kupfer dann doch nicht verkneifen. Flügel, Beethovenbüste und Musikvereinstapete stehen für 200 lange Jahre Freiheit und Hoffnung in den Musiktempeln der Welt (aber besonders in deutschen). Ulkig die Idee – wenn man es überhaupt Idee nennen kann -, den Gefangenenchor monotone Gefängnishofrunden drehen zu lassen.

Falk Struckmann Pizarro Staatsoper Unter den Linden

Musikalisch gibt es Licht und Schatten. Hochinteressant ist das hohe Paar. Florestan Klaus Florian Vogt tönt hell, jünglingshaft, weggewischt ist der übliche, gequälte Heldentenorgestus. Endlich mal einer, der die Rolle nicht stemmt, sondern singt. Vogt geht den Florestan lyrisch, innig an. Die drei zweigestrichenen B’s der Kerkerszene sind Vogt zu hoch (der Lohengrin braucht nur das A), doch diesen Florestan ohne Fehl und Kehl-Tadel sollte man hören.

Das gilt auch für die Leonore von Simone Schneider, die klug die Gefahr von Heroinen-Pathos umschifft. Sie bringt die heroischen und lyrischen Teile ihrer Partie glaubhaft zusammen. Die Stimme ist gut fokussiert, die Höhe hat Durchschlagskraft, das Timbre ist wenig brillant, doch überaus individuell. Für die Sprechdialoge hat sie Gefühl, auch wenn ihr Spiel etwas altbacken ist, was übrigens auch für den Rocco von René Pape gilt, der den Kerkermeister bemüht jovial und mit Freude zum Detail spielt, aber imposant kraftvoll singt. Diesem Kerkermeister nimmt der Zuschauer Roccos moralische Wende (O was ist das! Gerechter Gott!) im Finale ab.

Die patente Marzelline singt Mandy Fredrich mit beweglichem und hellem Sopran (Frau Novak spielte bei der Premiere kesser). Ihr zur Seite steht der draufgängerische Jaquino von Florian Hoffmann. Falk Struckmann als skrupelloser Gouverneur Pizarro und klassischer Beamtentäter mit Aktentasche beeindruckt in den Kraftakzenten, doch das Bosheits-Metall ist rau und schartig geworden. Arttu Kataja, wertvolles und wohlklingendes Ensemblemitglied, fehlt für den Fernando die Bass-Autorität.

Es ist des Wunderns über Fidelio kein Ende. Über die Kraft der idealistischen Botschaft, aber auch über die putzigen Dialoge, über Roccos biedere Arien, über den neckischen Auftrittsmarsch Pizarros, überhaupt über das nicht enden wollende Kuddelmuddel aus Kreuzbrav und Himmelhoch. Aber der Fidelio von 1814 – das Jahr der achten Sinfonie – ist nur eine Version unter mehreren (weitere Versuche datieren von 1805 – das Jahr der dritten Sinfonie – und 1806). Sprich, der Fidelio, auch der von 1814, ist Beethovens Schmerzenskind, das unvollkommene Ergebnis eines Ringens um die Rettungsoper.

Dem wird Karl-Heinz Steffens, einst Soloklarinettist bei den Philharmonikern, kaum gerecht. Er macht den Fidelio zu einer Trockenübung in a-Moll (Grabduett), D-Dur (Quartett 2. Akt) und C-Dur (O Gott! O welch ein Augenblick!). Steffens ruft pauschal Emotionen ab, ohne für die Schwärze des Stücks noch für dessen glückhafte Überhöhung Töne und Farben zu finden. Die straffen Tempoverschärfungen zaubern kein Brio herauf, sondern nur Verwunderung. Das Tutti quietscht holzig, als säße da ein Sträflingsorchester, das zwei Wochen lang nur Wasser und Brot aus Blechnäpfen bekam. Wackler, Unsicherheiten, Hornschnitzer machen die Sache nicht besser. Der Abstand zu Barenboims schroffer, harscher, fast unheimlicher und deswegen beglückender Beethoven-Befragung vor zwei Jahren könnte enttäuschender nicht sein. Mein Sitznachbar ist begeistert, für mich ist es das schlechteste Dirigat seit langem. Ich fand schon Steffens‘ Dirigat der Ariadne allerbestenfalls durchschnittlich.

Im Übrigen ist das Libretto doch besser als sein Ruf. Welche Oper wiese Sätze auf wie Leonores Wer du auch seist, ich will dich retten. Und auch Leonores unverstelltes Alltagsdeutsch Warum denn nicht? Ich habe Mut und Kraft! wurde im späteren 19. Jahrhundert, bei Biedermeier, Romantik oder Wagners Alliterationen-Humbug, unmöglich.

Foto: Bernd Uhlig


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