Dit is‘ nichts. Andrea Moses‚ Meistersinger sind so interessant wie drei Tage alte Currywurst.
Und nein, ich glaube nicht, dass der dritte Akt am Sonntag, Glock zwölf, an dieser Einschätzung etwas ändern wird.
Das voluminöse Bühnenbild (Jan Pappelbaum) strahlt optische Schwere aus und scheint unbeleckt von jeder Schlüssigkeit. Erster Akt: könnte die Vorstandsetage einer Konzernzentrale eines deutschen Weltmarktführers sein. Zweiter Akt: könnte das Dach einer Konzernzentrale eines deutschen Weltmarktführers sein. Die Hypothese, dass die Meistersinger deutsche Konzerne lenken, ist prinzipiell eine Idee, die weder schlecht noch gut ist. Fragt sich nur, ob etwas daraus folgt. Bei Andreas Moser folgt nichts daraus. Interessant ist auch die umgekehrte Hypothese, die Andrea Moses suggeriert, dass nämlich deutsche Weltmarktführer Meistersinger sind. Fragt sich auch hier, ob etwas folgt. Es folgt nichts. Jessas, wie deppert. Die Prügelszene zeigt raufende Hertha- und Unionfans. Lokalpatriotismus – wie peinlich. Klamauk in einer Operninszenierung ist per se nichts Böses. Er sollte nur mehr Biss haben. Dass dauernd diverse Darsteller die Deutschlandfahne drehen, das dünkt doppelt deppert. Trotz deutschem Fahnerl und Mittelstandsikonographie scheinen die Meistersinger von Andrea Moser so unbeschwert unpolitisch wie nur was. Zum Haareraufen.
Die Sänger.
Im Mittelpunkt steht Wolfgang Kochs geniale Präsenz. Koch gelingt ein Poetenporträt von höchst könnerhafter Schludrigkeit. Stimmlich positioniert Koch seinen Sachs zwischen Kernigkeit und differenzierter Deklamation – sehr präsent falls nötig, sehr wortpräzise falls möglich. Den großen Monolog im zweiten Akt singt er mit dem Ohr für Zwischentöne und dem Sinn für das verrätselt Tiefsinnige der Meistersinger.
Eva Julia Kleiter, optisch ein hochgewachsen-blondes Inbild, agiert wie jemand, der vor lauter Fokussierung auf den absoluten Heiratswillen die Gäule durchgehen. Kleiter brilliert sängerisch dank eines himmelblauen Soprans, der wunderbar leicht anspricht – und wenig genuine Expression hat. Stimmschönheit ja, Seelenzustände nein. Es ist deshalb überraschend, wie nah Julia Kleiters Singen im Quintett des dritten Aktes an der Perfektion ist („Selig wie die Sonne meines Glückes lacht“). Reinheit, Intonation, Empfindung, alles passt hier.
Sehr gut! Stolzing Klaus-Florian Vogt hat seinem androgynen Timbre einen Klacks Virilität beigemengt. Ich vermute bei ihm wie eh und je Tonhöhenverrutscher und zucke ob seiner bauklötzchenhaften Phrasierung hin und wieder regelrecht zusammen. Doch die charakteristische Strahlkraft der Stimme in den oberen Registern ist famos. Kurzinfo zur Stimme: leicht-lyrischer Ton, dynamisch äußerst sorgfältig, vibratoarm, neutrales Timbre, kaum rhythmische Energie, wenig spontan. Schön dass das Publikum Vogts nettes Blackout im 3. Akt denkbar humorvoll nimmt.
Der Veit Pogner von Kwangchul Youn ist René Papes Verkörperung der Rolle in der alten Harry-Kupfer-Inszenierung ebenbürtig. Youn fügt indes seiner Interpretation dem inständigen Wohllaut, der sowohl Pape als Youn auszeichnet, winzige Dramatisierungen, Akzente und unvermutet ins Fahle drehende Farben hinzu. Ein Gedicht.
Dem Sixtus Beckmesser von Markus Werba gelingt heute Abend alles. Eine Bombenstimme. Ich verstehe jedes Wort.
Anna Lapkowskaja (Magdalene) assistiert Evchen mit gutturalem Mezzosopran, ist bisweilen indes leider nur leidlich verständlich. Ach Jottchen, wie ihre Liebe zu David rüberkommt – alle Achtung. Da kann ich den David nur beneiden. Verlässlich im allerbesten Sinn der David Stephan Rügamers.
Die Meistersinger, dieser Kreis sangesseliger Singmeister, bestehen heuer aus so erlauchten alten Haudegen wie Siegfried Jerusalem, Franz Mazura, Reiner Goldberg, Graham Clark oder Olaf Bär. Jünger doch nicht minder solide singen Gyula Orendt, Jürgen Linn, Paul O’Neill und Arttu Kataja. Der in der Prügelszene ins Jenseits beförderte Nachtwächter ist Jan Martiník (voluminös, weiche Textur).
Daniel Barenboim und die Staatskapelle.
Tempo und Hitze sind echter Barenboim. Für den choralinspirierten Neobarock der Oper, der letztendlich nur eine unendlich raffinierte Variante später Romantik ist, findet Daniel Barenboim Zwischentöne en masse. Erstaunlich wie Barenboim bei Espressivo- und Rallentando-Stellen eine schier brahmsige Verhangenheit freisetzt. Ich meine das bis in die Unterströmungen der kammermusikalisch verdichteten Strukturen in den vier Schusterwerkstattszenen im dritten Akt zu hören. Ein Seitengedanke kommt unweigerlich bei Barenboims C-Dur: Wagner verstand seine Meistersinger ganz ähnlich wie Beethoven seine Achte, nämlich als vollendet virtuose Etüde in klassizistischem Aplomb.
Fazit: Andrea Moses inszeniert die ersten beiden Akte mit bleierner Uninspiriertheit. Der dritte Akt gewinnt Tempo, wenn auch nicht Tiefe. Die Besetzung ist wenn überhaupt nur noch in homöopathischen Dosen optimierbar. Wolfgang Koch ist primus inter pares. Barenboim liefert für diese vielleicht reichste Oper des 19. Jahrhunderts die alles überwölbende Musik.
Großartige Sänger, miserable Inszenierung. Das sehe ich auch so. Obwohl der dritte Akt alles in allem in Ordnung ging. Julia Kleiter gefiel mir besonders gut. Vogt dürfte Idealbesetzung sein. Das gleiche gilt für Wolfgang Koch.
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Weiß jemand, warum die Meistersinger in Samstag Abend und Sonntag morgen aufgeteilt wurden? Ich hatte gehofft, im Laufe der Inszenierung würde dieser Umstand sich selbst erklären, aber das war nicht der Fall. Und Vogt vergisst den Text, köstlich.
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Also nein, der Herr drei Reihen hinter mir, der buhte wie ein Verrückter als sich der Vorhang für das Staatsopernorchester hob. Insgesamt war es eine sehr schöne und spannende Inszenierung von Andrea Moses mit vielen Ideen und Details, über die ich mich in der U-Bahn noch lange mit meiner Bekannten ausgetauscht habe.
Danke Staatsoper für die nette Idee mit dem Meistersingerbrot!
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Experienced a light-hearted Berlin Meistersinger. Delighted to see old chap Siegfried Jerusalem again. Gorgeous Staatskapelle.
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Unverschämte Kritik. Der Herr Kritiker hatte anscheinend weder Lust richtig hinzusehen noch Interesse sich mit den Gedanken der Inszenierung ernsthaft auseinanderzusetzen. Unverschämtes, unqualifiziertes Aburteilen.
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wow https://twitter.com/search?q=Meistersinger&src=typd
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Eine Kindergarteninszenierung die sich auf eine Banane, zwei Zigaretten, zwei Deutschlandfahnen zusammenfassen lässt. Ein Grauen, noch nie wurde in Berlin Wagner so verhunzt wie in dieser vollkommen sinnentleerten Inszenierung. Berlin hat drei Opernhäuser, keine bietet überzeugende, innovative, neue Sicht auf Wagneropern, aber Andrea Moses ist der Gipfel.
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Ganz so schlecht ist die Inszenierung von Andrea Moses denn doch nicht. Sie hat sich sorgfältig um die Personen gekümmert. Dass Hans Sachs in dieser Inszenierung so groß herauskommt, ist nicht nur Wolfgang Koch zu danken, sondern ebenso der Herausarbeitung, die die Regie der Figur angedeihen lässt. Es ist wahr, dass weder Stolzing noch David oder Lene eine Neudeutung erfahren. Doch das braucht es nicht bei jeder Meistersinger-Inszenierung. Wichtiger ist, dass es Andrea Moses gelingt, zum dritten Akt hin eine kontinuierlich sich steigernde Spannung aufzubauen. Das überzeugte mich. So erhält der erste Akt den Charakter einer Einleitung, was angesichts des fehlenden dramatischen Gehalts durchaus gerechtfertigt ist. Vom musikalischen Standpunkt her bin ich zufrieden, ja glücklich. Es dürfte schwer fallen, überhaupt einen Sänger oder eine Sängerin zu finden, die nicht höchsten Ansprüchen genügte. Daniel Barenboims Identität mit der Musik ist schlichtweg ein Ereignis, und es ist großartig, wie unvergleichlich Barenboim Wagner unter Spannung setzt und diese Spannung bis zum sprichwörtlich letzten Akkord hält und noch zu steigern vermag.
LG C.W.
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Heute noch mal drin. Ich glaube der Typ, der Barenboim an der Premiere ausbuhte, buhte heute KFV nach Leibeskräften aus. Wolfgang Koch ist Bombe, er schmeißt den Laden alleine, KFV im letzten Akt Weltklasse, Kleiter obwohl etwas dünn auch sehr überzeugend. Youn Vorsprung durch Technik und Schönheit. Dickes Lob an alle Beteiligten.
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Ich verstehe diese Miesmacherei nicht. Ich war heute in der Vorstellung und habe sie sehr genossen. Die neue Inszenierung der Staatsoper ist unterhaltend und zeigt nebenbei Tiefsinn. Sie vergrätzt den Zuhörer (und Zuschauer) nicht mit abstrusen Regiekonzepten, die kein Esel versteht und wäre er auch noch so doof. Sie stellt glaubwürdige Menschen auf die Bühne und erzählt eine Geschichte so, dass sie weder verstaubt wirkt noch so dass nur Eingeweihte in der Lage wären sie goutieren zu können. So what?
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Wolfgang Koch ganz groß. Der Typ spielt ja schon genial. Aber er singt auch noch so. Dabei schafft Koch es noch, absolut modern zu klingen und Wagner vom 19. Jahrhundert direkt nach 2015 zu bringen. Ein großer Sänger-Darsteller von Gnaden, der dazu auch noch kantabel kann. Wie locker und gespannt der das macht.
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Nach den vierten gehörten neuen Meistersingern im Schillertheater war imoh die letzte Aufführung am Donnerstag die Beste. Das Ensemble strahlte gut Laune aus, das erlebt man selten. Koch fühlt sich wie der Fisch im Wasser, juxt schon fast rum. Klaus-Florian Vogt bedankt sich erneut während des Schlussapplauses bei der Souffleuse, eine sehr schöne Geste nach seinen – sympathischen – Aussetzern. Unerreicht cool, wie Barenboim am Donnerstag vor Beginn auf der Bühne erscheint und sich unter Solosänger und Chor mischt als gehöre er zur Inszenierung und sich dann auch noch zwischen Siegfried Jerusalem und Kwangchoul Youn in die erste Bank setzt und beim offiziellen Piep-Signal fürs Handy AUsstellen aufspringt und armwedelnd so tut als müsste er seines noch ausstellen. Dann rennt er hektisch von der Bühne, nur um zwanzig Sekunden später im Orchestergraben aufzutauchen. Das ist schon extremst cool von Barenboim.
Das Orchester fand ich bei der Donnerstagsvorstellung noch dichter. Unbeschreiblich war das Vorspiel zu Akt 3. Akt 3 war State off the art — wie Barenboim strafft und dehnt, oft auf engstem Raum, Tempo rausnimmt, Details einbindet, Stimmungsumschwünge antizipiert etc. etc. etc. Julia Kleiter hörte sich am 22. dünner an, vor allem im mittleren Register – eventuell die Spuren von 6 Vorstellungen und sie dosierte ihre Kräfte. Vogt wurde mM seit der Premiere besser und besser – – natürliches und organisches Legato, fokussierte Stimme, völlig schmalzfreie Interpretation.
Absolute Prachtvorstellung
Ich sage es ungern, doch die Inszenierung von A. Moses gewinnt bei mehrmaligem Ansehen und dürfte sich wider Erwarten als brauchbar für die nächsten Jahre erweisen, sofern ja sofern die musikalische Seite so hochkarätig bleibt wie sie sich aktuell darstellt, wiewohl ich mich mit dem zweiten Akt immer noch nicht anfreunden kann. Zu zufällig ist da zusammengerührt, was man so oder ähnlich schon besser gesehen hat.
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