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Opern- & Konzertkritik Berlin

~ Klassik-Blog für Konzertberichte und Opernkritiken aus Berlin

Opern- & Konzertkritik Berlin

Kategorien-Archiv: Daniel Barenboim

Berliner Philharmoniker: Barenboim+Argerich Schumann Brahms

07 Samstag Jan 2023

Posted by Schlatz in Daniel Barenboim, Johannes Brahms, Martha Argerich

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Vormittags pfeifen es die Berliner Spatzen von den Dächern. Barenboim wird sein Amt als Generalmusikdirektor Unter den Linden zu Ende des Monats abgeben. Acht Stunden später umschwebt das Philharmonikerkonzert eine hochspezielle Abschiedsaura.

Sonderbarerweise entbehrt der Abend jeder programmatischen Überraschung. A-Moll-Konzert und D-Dur-Sinfonie in selber Besetzung, nur mit der Staatskapelle, waren Unter den Linden vor noch gar nicht langer Zeit zu hören. Erschien das anfänglich programmierte Klavierkonzert von Tschaikowsky plötzlich zu fordernd?

Also das Schumannkonzert a-Moll, das so warm impulsiv durchpulst in den Saal getragen wird wie sonst kaum. Martha Argerich spielt Rubato, wohin das Ohr hört. Ist überhaupt irgendwo nicht Rubato? Die Berliner Philharmoniker schwelgen in durchsichtigem Zartklang, klingen wie nach tiefem Atemholen. Argerich gestattet sich Überraschungen, die nur sie kann, Ausbrüche zwischen hitzig und herrisch. Deren Passagenwerk nicht mehr ganz geschmeidig, mithin auch mal eckig schallen darf. Dieser Schumann schwingt weit aus, unnachahmlich deutsch-jüdisch-argentinisch angereichert mit Tiefe und komplexem Lyrismus.

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Neujahrskonzert Wien 2022

02 Sonntag Jan 2022

Posted by Schlatz in Christian Thielemann, Daniel Barenboim, Eduard Strauß, Kaiserwalzer, Kirill Petrenko, Neujahrskonzert, Radetzky-Marsch

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Erster Januar, Neujahrsvormittagskonzert. Ich folge auf Ö1, und, weil in Katerstimmung, nur der zweiten Hälfte. In der Zweidrittel-besetzten Goldschachtel des Musikvereinssaals präsentieren die Wiener Philharmoniker ihren altbekannten „Exportschlager auf dem TV-Weltmarkt“ (Wiener Zeitung).

Haben Barenboim und die Musiker geheime Botschaften im Programm versteckt? In der ersten Konzerthälfte wahrscheinlich schon. Denn aus Phönix-Marsch und Phönix-Schwingen-Walzer lässt sich ein beschwingtes, 4/4- respektive 3/4-Takt-geprägtes Aus-der-Asche-Emporsteigen heraushören, nämlich aus der Virus-Malaise.

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Staatskapelle Schumann, Ádám Fischer Philharmonie

25 Montag Okt 2021

Posted by Schlatz in Adam Fischer, Cellokonzert, Daniel Barenboim, Joseph Haydn, Kian Soltani, Robert Schumann, Wolfgang Amadeus Mozart

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Zweites Abokonzert der Staatskapelle. Ein reiner Schumannabend im Großen Saal der Staatsoper. Dritte, Vierte, Cellokonzert. Über gelungene Schumannkonzerte ist besonders schwer zu schreiben. Jeder kennt die Sinfonien: Frühling, Rhein, Dom, Es-Dur, d-Moll. Dazu dann Frau Schumanns kluge Kommentare und Brahms‘ Klage über die Zweitfassung von Nr. 4. Aber zuerst kurz zu Schumanns Violoncellokonzert, uraufgeführt vermutlich 1860 in Oldenburg. Das Autograph nennt es noch Concertstück. Der Österreicher Kian Soltani spielt es mit sehnsüchtig schlankem, immer auf Linie gehaltenem, frischem und nie ausfransendem Ton. Das Spätstilstück packt gerade durch das verhaltene Tutti, durch den von Innigkeit gebremsten Sonatenschwung. Dies lyrisch durchpulste Terrain liegt Soltani. Er deklamiert innig.

Und ins Ohrwurm-Finale stürmt er feurig, um es nobel drängend zu bewältigen. Ich dachte manchmal, Soltani wäre eine Art Barenboim-Protégé. Aber hier gibt es nichts zu protegieren. Der Mann kann es einfach. Die Sinfonien Nr. 3 und 4 spielt die Staatskapelle weniger reaktionsschnell als die Philharmoniker. Dafür warmtöniger. Warm, rund, dunkelgrundiert, plastisch holt Barenboim den Klang in den Saal. So leuchten die genrehaften Kerne der Binnensätze (besonders der Dritten) keinesfalls nur im behäbigen Biedermeier. Sondern erhalten Weite und Breite. Die rahmenden Lebhaft-Sätze sind ganz Sprache, Ausdruck. So hört man die radikalen Form-Abbrüche, die sämtliche Schumannsinfonien durchziehen, in neuer Unmittelbarkeit. Da tauchen ja immer und überall vollständig neue Themen auf, in der Durchführung, in der Coda. Oder die Reprise kommt fast ohne Hauptthema aus. Mozart machte solche Tollheiten auch.

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Premiere Staatsoper: Così fan tutte Huguet Barenboim

04 Montag Okt 2021

Posted by Schlatz in Barbara Frittoli, Daniel Barenboim, Gyula Orendt, Lucio Gallo, Paolo Fanale

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Da ist sie, die übliche Staatsfeiertagspremiere an der Staatsoper, heuer mit Mozart und wie immer mit Barenboim. Es inszeniert der eifrige und solide Vincent Huguet, der binnen zwölf Monaten alle drei Da-Ponte-Opern Unter den Linden auf die Bühne bringen darf. Figaro gab’s als Stream-Premiere im Frühjahr, jetzt folgt die doppelbödige Liebeskomödie Così fan tutte vor 3G-Publikum, zu den Festtagen kommt dann Don Giovanni. Und anders als in der preußisch strengen Philharmonie wird auf dem Platz maskenfrei gesessen und gehört. Herrlich! Huguets Rezept für Mozart lautet: edles Setting, gediegener Plot. Die Inszenierung spielt in bella Napoli.

Napoli, Vesuvio: F-Dur-Quintett 1. Akt / Foto: Matthias Baus

Die Zeit: Flower Power, Ende 60er, Anfang 70er. Huguet setzt das ansehnlich und Buffa-munter um – aber weit entfernt von mitreißend. Irgendwie war die alte, offen slapstickende Dörrie-Produktion auch nicht schlechter. Das Bühnenbild wechselt: hier zwanzig Meter italienischer Stadtstrand (betonierte Kaimauer, vorne paar Felsen, Leitern), dort eine luxuriöse Terrasse mit stylischem Sixties-Mobiliar, hinter der mediterran kubistische Betonarchitektur aufragt (Bühne Aurélie Maestre). Sprich, molto Oberklasse, wo man malinconia („Langeweile“ übersetzen die Übertitel) mehr fürchtet als alles andere und für die Verführungsszene des zweiten Akts auf edel beplankter Jacht in See sticht.

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Musikfest: Staatskapelle Argerich, Saunders/Webern

12 Sonntag Sept 2021

Posted by Schlatz in Anton von Webern, Cellokonzert, Daniel Barenboim, Enno Poppe, Martha Argerich, Rebecca Saunders, Robert Schumann

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Staatskapelle Berlin

Das Musikfest läuft auf Hochtouren. Bei der Staatskapelle glänzt die alterslos bezaubernde Martha Argerich mit Schumann. Und der zeitgenössische Ableger des Luzerner Festivalorchesters präsentiert Saunders und Webern.

Unter den Linden (3G, mit Maske drinnen, aber ohne, wenn man sitzt) pfeift man auf die Festivaldramaturgie und bringt Teil 1 eines kleinen Schumannzyklus (Sinfonien, Klavier-, Cellokonzert). Da ist Martha Argerich. Gleicher Rock mit Zahlenmuster wie letztes Jahr. Auf dem Weg zum Flügel steigt sie über Aufnahmekabel, quetscht sich zwischen Flügel und Mikrofonständer hindurch. Der Gang etwas unsicher. Dann geht es los. Orchesterschlag, drei Takte abstürzende Akkorde, Thema Oboe, Thema Solistin: Argerich spielt wunderbar phrasierte acht Takte, inklusive einer kleinen, drängenden, scharfen Tempoanhebung, inklusive eines Aufblühens der Melodie, getragen von traumhaft sicheren Spannungsmodifikationen, inklusive eines unglaublich farbreichen Piano (das fast übertrieben sein kann, denkt man). Der Anschlag: Als würde Mona Lisa das Auge aufschlagen. Das hat Argerich trotz 80 Jahren noch im Köcher: vollgriffiges Temperament, die Bereitschaft zu träumerischem Chiaroscuro, Ausdruck. Kann es besser vielleicht als all die restlichen Pianisten der Welt.

Martha Argerich: heute Abend schnuppe

Die Attacke der Linken: scharfgeschnitten, kühn, fortreißend. Manchmal auch wie verschleiert, als wollte sie die Emphase weniger offensichtlich machen. Die Solo-Reprise des Themas: unendlich schattierungsfähig. Die Kadenz: 52 Takte Verhalten und Vorwärtsdrängen, die überleitenden Triller leuchten scharfkantig, mit die schönste Musik, die ich in Jahren gehört habe. Ist ja klar, dass Argerich mittels Rubato und Akzent expressiv phrasiert, wie es Jüngere sich nicht mehr erlauben können (weil sie auch den Ton dazu nicht haben). Wenn da manches breit, radikal uneben (die Rechte), heftig pedalisiert, verwaschen oder schlicht wackelig klingt (Durchführung, Oktaven der Rückkehr zum tempo primo), ist das heute Abend schnuppe. Barenboim ist nicht zimperlich mit der Lautstärke, Transparenz interessiert ihn nur, wenn Transparenz den Ausdruck steigert. Übrigens ist der Saal an den Flanken (sitze rechts Seite) heute ungnädig mit der Klarheit des Klangbildes.

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Berliner Livestream-Lese II: Ticciati+DSO, Poppe+Musikfabrik, Pahud+Berliner, Joana Mallwitz im Konzerthaus

29 Sonntag Nov 2020

Posted by Schlatz in Daniel Barenboim, DSO, Emmanuel Pahud, Enno Poppe, Joana Mallwitz, Robin Ticciati

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Berliner Philharmoniker, Konzerthausorchester

Es gibt zwei Arten von Livestreams: Die einen kosten was, die andern kosten nichts. Das gilt auch für die Berliner Streams.

Ohne Login und ohne Kreditkarte schaut man bei den großen Berliner Orchestern. Nur die Philharmoniker scheren aus. Die versilbern die Nachfrage nach Konzert-Erlebnissen nämlich in der hauseigenen (Corona-)Concert-Hall. Während kleinere Veranstalter eher auf Bezahl-Streams setzen und das fokussiert interessierte Nischenpublikum anpeilen.

Montag, 23. 11., 20:00, Friedrichwerdersche Kirche. Robert Ticciati ist zwei Tage nach dem Wagner-Stream mit dem DSO wieder auf Sendung. Es wird nicht im strengen Sinn gestreamt, da ohne Bild, aber das DSO ist live und real hörbar per Radio – wenn auch schrecklich verhallt. In Gabrielis zehnstimmigem Canzon in echo duodecimi toni à 10 produziert das Blech in der frisch renovierten Kirche gewaltige Hallfahnen. Aber für Glücksgefühle reichts dank der 1/16-Jauchzer der Trompeten dann doch. Eiserne Regel beim Streamen: abschalten wenn’s nicht passt. So gemacht bei Strawinskys Apollon, den ich auf Teufel komm raus nicht mag. Frei nach dem Rosenkavalier: Es is ja all’s net drumi wert. Aber es kommt ja noch Mozarts Sinfonie Nr. 41, dargeboten mit Darmsaiten und Naturhörnern und ganz ohne hechelnde Kurzatmigkeit. Dafür beweisen die Tuttis Grandeur, und die Ton-Spannung kommt von innen. Der langsame Satz tönt fast nüchtern vor Genauigkeit der Phrasierung und vor Ausgewogenheit der Proportionen. Da ergibt jede Pausendehnung Sinn. Schließlich die erregten Pulsschläge, die unermüdliche Kraft, die ungenierte Gelehrtheit, die unübersehbaren symphonischen Entwicklungen dieses immer aufs Neue verblüffenden Finales. Der DSO-Mozart mit Ticciati ist was Außergewöhnliches. Der RBB überträgt.

Wann kehren die Publikumskonzerte zurück? Nicht so bald.

Christoph Igelbrink, Solène Kermarrec, David Riniker / Foto: Livestream Digital Concert Hall

Sonntag, 22. 11., 19:30, Leipzig. Über Vimeo streamt das Ensemble Musikfabrik die Uraufführung von Enno Poppes Prozession. Ich höre das Ding nachts unter der Woche. Man zahlt 5 Euro, kann den Stream 1 Monat sehen. Das ist auch gut so. Denn mehrmaliges Hören ist ratsam. Durchaus lange 52 Minuten dauert das Stück. Man fühlt sich, als triebe man als einsames Blutkörperchen durch die unendlichen Weiten des menschlichen Organismus. Beim zweiten Hören klingt Prozession, als hätte jemand Pattex in die Partitur injiziert. Aber jetzt tauchen Formen wie Berge aus dem Nebel auf. In sich gegliederte Abschnitte, abstrakte Duos, hartnäckige Höhepunkte. Der dritte Durchgang steht nächste Woche an. Enno Poppe dirigiert im Streifenanzug über lässigem Hemd im Bothe-Muster. Eine Freude ist wieder die bis zur Dürre gehende Klarheit seines Dirigats. Die Aufführung fand statt im Rahmen des Ensemblefestivals Aktuelle Musik Leipzig.

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Bunte Berliner Livestream-Lese: Staatskapelle, DSO, Neue Synagoge

23 Montag Nov 2020

Posted by Schlatz in András Schiff, Daniel Barenboim, DSO, Robin Ticciati, RSB

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Berliner Philharmoniker, Staatskapelle Berlin

Schlimmer als ein Lockdown im Dezember wäre nur ein Lockdown, der gar nicht mehr aufhört. Bye-bye Lohengrin-Premiere mit Yoncheva, adiós Wiederaufnahme Tannhäuser mit Groissböck und Schager, пока́! Jeketerina-Sementschuk-Liederabend im Boulezsaal.

Anders als im Frühjahr höre ich nun auch in Livestreams rein. Das geht dann so: Stream aufnehmen und spät abends als mp3 anhören. Rein optisch sind die Corona-Streams kein Genuss. Sicherheitsabstände und leere Säle, wohin das Livestream-Auge guckt.

Sonntag, 15. 11., 20 Uhr, Staatsoper. Die Staatskapelle Berlin spielt Beethoven, 4. Klavierkonzert, 3. Sinfonie. Von der Eroica spare ich mir das meiste. Ich habe sie im Januar und September schon gehört. Bei Opus 58 dirigiert Barenboim, András Schiff sitzt am Flügel. Schiff eröffnet die Berliner Livestream-Lese mit Hang zum Genießerisch-Spielerischen. Farbenreich funkelt der Anschlag, leuchtend setzt sich das Piano in Szene, ohne jede Härte der Diskant. Verspielt auch Temporückungen und Figurationen, Nobles und Lyrisches stehen direkt nebeneinander. Das funktioniert souverän, verführerisch beiläufig, locker, ohne dass auf den gebotenen Beethovn-Ernst verzichtet werden muss. Keine Phrase, die nicht gestaltet, spezifisch „angefasst“ wäre. Ist halt schon erstaunlich, wie hoch das technische Niveau im Kreis der Pianisten-Spitzenklasse ist.

Der RSB-Livestream mit Manacorda und Brahms – ich glaube aus dem Rundfunkhaus an der Masurenallee – war von Youtube schon wieder runter, als ich ihn mir endlich anhören wollte. Dann also weiter mit dem DSO.

Samstag, 21. 11., 20 Uhr, Philharmonie. Wo Ticciati ein Programm mit Schlag zusammenstellt. Rachmaninow Toteninsel, Wagner Götterdämmerung – ihr Völker, hört die sinistren Signale. Aber tönen tut es dann ganz anders. Die Götterdämmerung-Auszüge klingen wunderschön dunstfrei, klangkontur-bewusst, perfekt abgemischt. Los geht’s mit dem Schicksalmotiv der Posaunen bei Tagesgrauen im Vorspiel, und was dann kommt, ist für extra-feine Ohren bestimmt. Die Solisten haben zwingende Auftritte. Eine Prise böhmische Wälder und Felder weht hinein. Der Ticciati-Stil: ein Tutti ohne jede Düsternis.

DSO mit Götterdämmerung: Ticciati beim Schicksalmotiv / Foto: DSO-Livestream

Hier klingt Wagner einmal nicht als gewalttätiger Rhetor und düsterer Metaphysiker. Da tönt Noblesse, die Wagner eben auch auszeichnet. Das Orchester spielt auch die Toteninsel tadellos. Das Stück ist eigentlich ein Hort spätromantisch sublimierter Schwermut. Das DSO taucht es in linienleichte Eleganz. Ticciati outet sich eben doch als Meister der millimetergenauen Ton-Mischungen, der superexakten Entwicklungsbögen – und eines Klangs aus Farbe und Licht. Stichwort Licht. Zwischen Toteninsel und Wanger passt noch die bildungsbürgerliche Flimmer-Studie Ionisches Licht von Klaus Lang. Ganz nett kommt das Lichtkonzept im Weinberg-Saal der Philharmonie daher. Brauch ich zwar nicht zwingend, hat aber was.

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Kritik Berliner Philharmoniker: Má Vlast Barenboim

24 Samstag Okt 2020

Posted by Schlatz in Daniel Barenboim

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Berliner Philharmoniker

Die Philharmoniker spielen Mein Vaterland, diese Musik-Inkunabel, komponiert aus Mythos, Natur und tschechischer Geschichte.

Daniel Barenboim ist am besten, wo es breit fließt, Stimmungshöhepunkte angepeilt werden. Das Tutti: eine rauschende Pracht, von Barenboim nicht gefordert-fördert, sondern fintenreich hervorgelockt. Das Blech strahlt in dunkler Patina. Die Streicher: präzisionsverliebt, aber ohne jenen buttrigen Klang, der das Naturgefühl aus der Partitur quetscht wie aus einer Tube Senf. Barenboim liebt diese uneingeschränkte Wärme des Melos.

Erwartbar brillant die solistischen Auftritte: die doloroso-Klarinette in Šárka und Flöte und Klarinette als die zwei Moldauquellen (M. Dufour?, W. Fuchs), die sich in ihrer lieblichen Helle als klarer erweisen als tschechischer Schnaps.

Der Höhepunkt vielleicht Z českých luhů a hájů (Von tschechischem Wiesen und Wäldern). Das Fugato tönt als meisterhaft ausgedünnter Streicherklang. Man kennt Má vlast ja doch zu wenig. Seltsam die Posaunen- und Hörner-Stelle im Nymphenreigen, die 15 Jahre später in Bruckners Achter wiederkehrt. Packend der Beginn von Šárka aus Walküre-Gewitter und Schneidigkeit des Don Juan.

Die Nutzlosigkeit der Garderoben

Es ist ein ungewohnter Abend. Nie, wirklich nie hat man die Gelegenheit, sechs sinfonische Dichtungen an einem Abend zu hören, außer bei dem Tschechen Bedřich Smetana.

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Staatsoper Berlin Premiere: Quartett von Francesconi

04 Sonntag Okt 2020

Posted by Schlatz in Daniel Barenboim, Luca Francesconi, Mojca Erdmann

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Luca Francesconi ist 64, seine Oper Quartett von 2011. Und 2020 schickt die Staatsoper Berlin Quartett als ihre erste Corona-Premiere ins Rennen. Keine 1:30 Stunden dauert das Werk, das Textbuch beruht auf der Adaption von de Laclos‘ Gefährliche Leidenschaften durch Heiner Müller (1981). Das Libretto (gekürzt, aber oft Originaltext Müller) ist gar nicht so schlecht: 13 Szenen, die Marquise Merteuil und der Vicomte Valmont lagen früher oft zusammen in der Kiste, aber das ist lange her, der Ofen ist aus, wenn auch das Begehren noch da.

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Alle Neune: die Staatskapelle Berlin mit Beethoven und Barenboim

05 Samstag Sept 2020

Posted by Schlatz in Daniel Barenboim, Ludwig van Beethoven

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Staatskapelle Berlin

Sehen so Oper und Konzert für die nächsten Monate aus? Die Zuhörer sparsam verteilt und meist zu Pärchen gruppiert, dazwischen ziemlich verloren einzelne Musikhörer. Das Parkett schütter wie eine Partitur von Anton Webern. Einlass durch die Seitentür, als ginge es zu einem konspirativen Treffen. Keine Pause, adiós Pausen-Espresso. Man kann von Glück reden, dass die Garderobe besetzt ist. Aber dafür schafft vermutlich kein einziges Virus den Sprung auf den neuen Wirt, und sei es noch so Beethoven-begeistert und noch so eifrig bemüht, mit seinen Saugrüsselchen (Sie wissen schon, diese Spike Proteine S) an eine Zielzelle anzudocken.

Der Beethovenzyklus mit der Staatskapelle? Im Großen Saal der Staatsoper wird er viermal als Doppelpack serviert, chronologisch gruppiert, als Abschluss dann am Sonntag die Open-Air-Neunte auf dem Bebelplatz. Ich höre in drei Konzerten die Sinfonien 3 bis 8, wobei das jeweilige Werkpaar am Abend selbst gegenläufig chronologisch angeordnet erklingt: also erst die 4. dann die 3., erst die 6., dann die 5., entsprechend die 8. vor der 7. Das Gelingen ist in den Sinfonien 7 und 8 am höchsten, so sehr werden sie als leidenschaftlich und differenziert redende, mit hoher symphonischer Spannung erfüllte, unmittelbar neu berührende Meisterwerke dargeboten.

Im Lauf der drei Abende gelingt nicht jeder Satz auf höchstem Niveau. Luft nach oben gibt es in der moll-gewaltigen Fünften. Die 3. beginnt fahrig, die 6. beginnt zu gleichförmig, dem Finale der 4. verweigert Barenboim etwas an Komplexität. Dennoch bliebt die Beethoven-Ernte reich. Die langsamen Sätze dehnen sich in ihren unablässigen Themenverwandlungen zu überreicher Länge (leichte Einschränkung: das zu wenig transparente Allegretto der Siebten).

Die Scherzi (bzw. das Tempo di Menuetto der 8.) sind an allen Abenden Höhepunkte, so selbstverständlich austariert zwischen Vorwärtsdrängen und Unveränderlichkeit des Materials präsentiert die Staatskapelle Berlin sie, auch so klanglich üppig entfaltet wie im schon schumann’sch abgetönten Trio der 8., dem vielleicht schönsten Trio, das Beethoven für Orchester geschrieben hat. Auffällig: Gerade die vermeintlich unscheinbaren Sätze geschehen eindringlich, etwa der strikt themen-dualistisch organisierte 2. Satz der Fünften mit seinen Steigerungen und Entladungen, der 3., wieder in der Fünften, mit dem gorillahaft wild ausgreifenden Trio, das Allegretto der 8. als unerklärlich vieldeutiger Komponier-Coup des fast schon späten Beethoven.

Mittwoch: Sinfonien Nr. 4 und 3

Fesselnd schon der erste Abend. Straff und nuancenreich die Sinfonie Nr. 4, Schumanns griechisch schlanke Maid, von Paul Bekker 1922 als schwärmerisch heitere B-Dur-Phantasie tituliert, wie gesagt mit leichten Abstrichen im Schlusssatz. Die Eroica beginnt fahrig, Themen, Gedanken, Motive ertönen als markige Statements, werden weniger als Einheit gedacht. Wie weitermachen bei Beethoven? Die Durchführung findet zu prima weiträumiger Spannung, die lange Rückkehr zur Reprise in der Vierten, die nicht enden wollende Durchführung der Dritten werden da mit einem Mal unmittelbar erlebbar, toll die in all ihrer Formstrenge frank und frei lodernde Coda der Eroica.

Wer wie Hanssen im Tagesspiegel historisch informierte Durchhörbarkeit einfordert, plädiert nörgelnd dafür, dass die Staatskapelle besser nach Academy of St Martin in the Fields klänge als nach Staatskapelle. Man kann das schon so vertreten, aber ob das viel Sinn ergibt, steht in den Sternen. Der spezifische Klang, das warmtönige Timbre, aus dem sich die Holzbläser und Hörner differenziert tönend herausschälen, zählen vermutlich eher zu den Qualitätsmerkmalen der Staatskapelle.

Zu eindringlicher Anschaulichkeit – und zwar mit den einfachsten Mitteln der Welt: mit Konzentration, Genauigkeit, Hingabe -, findet das hintergründige Adagio des B-Dur-Werks. Dessen Ende, die 1/32 der Streicher über den langgezogenen Horn- und Holzbläserfiguren (aus dem Nachsatz des 2. Themas) löst die symphonische Spannung des Satzes geheimnisvoll, ohne sie ganz aufzuheben. Kommt man hier etwa dem, was musikalische Zeit bedeutet, nahe?

Eher als Einleitung, als Vorbereitung klingt der Beginn des Trauermarschs, jene zweimalige Abfolge von Thema und Gegenthema und anschließendem (drittem) Maggiore-Thema. Doch da ist ja noch jene Umschalt-Stelle vor dem Fugato mit ihrem Höhepunkt im ff mit nachfolgendem Erlöschen, dem neuerlichen Wechsel ins Moll und dem fahlen Neu-Ansetzen. Das ist symphonische Musik, packend präsentiert, packend umgesetzt. Das gilt auch für das folgende Fugato. Und dann die Überraschung. Der reprisenartige Einsatz des Themas gerät wieder etwas zügig, und plötzlich passt das Tempo genau. Da wird man Zeuge davon, wie das Orchester über das Fugato hinweg zurückgreift, zurück bis zum Satzbeginn, und doch ist jedem Hörer klar, dass nichts ist wie vorher.

Wie enden bei Beethovn? Das einzigartige Prometheus-Finale der Eroica, ein einziger, großer Satz-Salat von überbordendem melodischem Reichtum, glückt gerade, weil die Musiker den Sinn und das Ohr für die Momente des Innehaltens vor dem Presto-Sturm der Coda haben.

Tempo? Was für’n Tempo?

Tempomäßig spielt die Staatskapelle den Beethovenzyklus ein, zwei Nuancen langsamer als heutzutage üblich. Das Gesangliche wird breiter. Blech- und Holzbläser können ihre Farbe entfalten. Der emotionale Ertrag wird reicher, das Finale der 7. verständlicher. Das intensive, einleitende Adagio der 4. – jede Note behauptet ihr eigenes Gewicht – erinnert an Barenboims überraschend langsamen Fidelio aus dem Schillertheater. Das Finale der Sinfonie Nr. 4 ist tatsächlich einmal ein Allegro non troppo, kein verkapptes Presto, andererseits auch nicht ganz das gemütliche Allegretto, welches Richard Strauss empfiehlt. Die Tempodehnungen in der gesamten 5. machen fast schmunzeln, doch sie gehören dazu, werden ja auch meist – oft nachträglich – von der Architektur gerechtfertigt. In der Achten wiederum beginnt das Allegretto scherzando Metronom-haft zügig beschleunigt.

Donnerstag: Sinfonie Nr. 6 und 5

Schwer tue ich mir mit dem gewiss heiklen, fast Moll-freien ersten Satz der 6. Sinfonie, der allzu unprofiliert dahinfließt. Ganz anders der zweite Satz, die Szene am Bach, dessen Länge Barenboim mit nie versiegender Wärme des Melos und selbstverständlichem Nuancenreichtum füllt. Erstaunlich, dass der krasseste Realismus, die berühmten Vogelrufe und das Gewitter, zugleich besonders intensive Momente von Beethovens Kunst sind. Von souveräner Kaltblütigkeit die Trompeten im Gewitter, ruhig erfüllt und meisterhaft ausgebreitet wird das Allegretto-Finale der Sechsten musiziert, und zwar mit untrüglichem Gefühl für Architektur im Großen und fürs Detail im Kleinen.

Kopf- und Finalsatz der Fünften gehen komplett in die Hose. Ich denke, Barenboims Pathos steht sich selbst im Weg. Der Klang bleibt pauschal, irgendwie farblos, kaum differenziert, sozusagen Takt für Takt einen auf dicke Hose gemacht. Im Finale schwimmt der Oberbau auf dem Unterbau. Manches scheint unverhohlen furtwänglerisch: so die deutlich getrennten Achtel des Schicksalsmotivs in den ersten Takten. Anderes nicht, Barenboim erreicht nicht das ekstatische Tempo für die Coda des Finales. Aus anderen Beethoven-Welten dann das reich bewegte 3/8-Andante der Fünften. Es straft diejenigen Lügen, die es für unbedeutend halten. Thomas Guggeis liest in der Loge Partitur mit.

Freitag: Sinfonien Nr. 8 und 7

Aber die 7. und die 8. Die Staatskapelle gibt den ganzen Beethoven, natürlich barenboimisch schattiert, und das Ergebnis ist unverwechselbar: Die beiden Werke klingen Dur-prall, voller Steigerungen und loderndem Feuer. Dirigent und Orchester legen sie großzügig, im Inneren und Äußeren pulsierend, in den Saal. Beide „sitzen“ perfekt, glänzen von ungebändigter Energie, fesseln in beinah jedem Moment, zuerst die Nr. 8 mit ihrer F-Dur-Verhaltenheit und den strahlenden F-Trompeten, dann die Nr. 7 mit ihrem A-Dur-Flug. Barenboim hält hier überzeugend das Gleichgewicht zwischen symphonischer Form und subjektivem Inhalt. So frei und doch sich dem Ganzen einordnend hört man die Pauke in einer der berühmtesten Final-Codas selten.

Im Allgemeinen wird die Exposition nur bei den kürzeren Kopfsätzen wiederholt, also bei den Sinfonien Nr. 5. und 8. Ich habe gebetet, dass die Exposition im Finale der 5. wiederholt würde. Aber ich wurde nicht erhört.

Kritik Staatsoper Berlin: Carmen Rachvelishvili Fabiano Karg Gallo

12 Donnerstag Mär 2020

Posted by Schlatz in Anita Rachvelishvili, Carmen, Christiane Karg, Daniel Barenboim, Georges Bizet, Lucio Gallo, Michael Fabiano

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Nun, da das Berliner Opern-Universum aufgehört hat sich zu drehen, die Stimmen verstummt sind, die Instrumente schweigen und die Häuser versuchen, mit Livestreams und Nebenbühnenaktivitäten etwas vom alten Glanz in die hässliche, neue Virus-Welt hinüberzuretten, hier also noch ein Bericht aus Unter den Linden, als die (Opern-)Welt noch halbwegs in Ordnung schien.

Musikalisch ist diese Carmen hörenswert. Anita Rachvelishvili als vokal und szenisch üppige Titelheldin, Michael Fabiano als schüchternscheuer José, Lucio Gallo als selbstironisch souveräner Escamillo, Christiane Karg als makellose Micaëla und Barenboim als feuriger Impuls- und Input-Geber erfüllen die Erwartungen. Der Applaus ist groß. 

Man hätte kaum für möglich gehalten, dass diese Carmen wiederkehrt. Martin Kušej besorgte 2004 die Inszenierung, die auf Flamencokleid und Zigarette konsequent verzichtet. Ich hörte sie 2006 im noch unrenoviert muffelnden Haus, auf der Bühne standen der mit offenem Visier singende Villazón und eine knackigen Mezzo-Charme versprühende Domaschenko.

2020 konterkariert (und konzentriert) die in staubigem Weißgrau strahlende Bühne (Jens Kilian) immer noch Bizets Feuer.

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Gedenkkonzert 75 Jahre Befreiung Auschwitz

28 Dienstag Jan 2020

Posted by Schlatz in Daniel Barenboim, Thomas Quasthoff

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Staatskapelle Berlin

Einige Notizen zum gestrigen Konzert.

Dass die Grußworte von Mateusz Morawiecki und Angela Merkel in die jeweils andere Sprache übersetzt werden, ist wichtig, dass dies bei der Rede von Herrn Morawiecki durch eine Österreicherin mit mittelmäßiger Aussprache und etlichen eingestreuten „Äh“s geschieht, dürfte eher nicht im Sinne des Erfinders von Gedenkkonzerten sein. Habe ich richtig verstanden und gesehen, so nimmt im Großen Saal der Staatsoper die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch bei Merkel Platz.

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Staatskapelle mit Lahav Shani Rachmaninow, Elgar, Strauss

15 Dienstag Okt 2019

Posted by Schlatz in Daniel Barenboim, Lahav Shani, Richard Strauss, Sergej Rachmaninow, Till Eulenspiegel

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Staatskapelle Berlin

Bekanntes und Unbekanntes spielt die Staatskapelle Berlin im ersten Abonnementkonzert.

Zuletzt hab ich das 3. Klavierkonzert (1909) von Rachmaninow zwei Mal mit Trifonow gehört. Lahav Shani spielt

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Berlin Staatsoper: Götterdämmerung mit Schager

30 Montag Sept 2019

Posted by Schlatz in Andreas Schager, Daniel Barenboim, Der Ring des Nibelungen, Götterdämmerung, Iréne Theorin, Richard Wagner

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Auf den letzten Metern lerne ich die Inszenierung von Guy Cassiers beinahe schätzen. In Götterdämmerung stimmt die Personenregie. Triftig zumindest gelingen die ersten beiden Szenen in der Gibichungenhalle samt Rache-Terzett. 

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Festtage Staatsoper: Die Meistersinger mit Vogt, Kleiter, Koch

17 Mittwoch Apr 2019

Posted by Schlatz in Andrea Moses, Daniel Barenboim, Die Meistersinger, Julia Kleiter, Katharina Kammerloher, Klaus-Florian Vogt, Martin Gantner, Matti Salminen, Reiner Goldberg, Richard Wagner, Siyabonga Maqungos, Wolfgang Koch

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Nach der Prokofjew’schen Verlobung im Kloster am Vortag tue ich mir schwer mit dem „biederen Pomp“ (Thomas Mann) der Meistersinger. Doch die Sänger höre ich gerne.

Andrea Moses denkt Wagners Festoper von der Gegenwart aus. Hier bevölkern die Meistersinger als honorige Mittelständler-Chefs eine holzgetäfelte Führungsetage, umwuselt von schmucken Büro-Lehrbuben. Das Prügelprogrom der Johannisnacht kommt direkt aus einer durcheinandergewürfelten deutschen Gesamtgesellschaft, ebenso die lärmende Festwiesenfreude vor nagelneuer Berliner Schlosskulisse, die nach Sachsens Ansprache strahlend Rasengrün weicht. Das sieht so steril aus, dass man sich fast nach der unwirtlich urbanen Neon-Nacht des 2. Aktes sehnt. Der 2. Akt ist ansonsten eine recht fade Angelegenheit, obwohl Sachs beim Fliedermonolog an der hauseigenen Hanfplantage schnuppert. Einen einzigen Lacher gab’s dafür am Sonntag. Akt 1 und Akt 3 funktionieren hingegen gut in gut bespielten Räumen (Bühne Jan Pappelbaum).

A Meistersinger Staatsoper Berlin Festtage 2019 Applaus

Hans Sachs (Wolfgang Koch) ist als erfolgreicher Schuhunternehmer inszeniert, der ein Alt-68er geblieben ist und dennoch um Tradition und Altvordere weiß, wertkonservativ gesinnt und doch offenen Herzens, eine Art Winfried Kretschmann auf der Opernbühne. Am allesentscheidenden Morgen steht Sachs im Schlabberhemd am Lesepult seiner 20.000-Euro-Bibliothek (nur die Regale) und beherrscht die Bühne durch Lässigkeit. Koch ist ein suggestiver Darsteller von hohen Gnaden und er setzt dem Sachs eine Seele ein, generös menschelnd und jovial singend, in der Mittellage ausnehmend schön, in der Höhe nicht so brachial-schallend wie Michael Volle, doch beherrscht Koch auch die transparente Halbstimme in der Höhe. Koch singt mit der Kraft der Schönheit, mit einer sozusagen modernen Wagnerstimme, in der sich dezentes Metall und weiche Umhüllung schmeichelnd vereinen.

Auch Klaus Florian Vogt singt einen aufregend anderen Stolzing. Mit konsequent lyrischem Vortrag und selten klarer Diktion. Das Konzept von Vogts Ton: hell und leicht, dazu ein Schuss Naivität. Was für ein Genuss! Das Preislied ist purer Wohltat-Wagner zwischen Parnass und Paradies. Ausdrucksträger ist stets der fast kammermusikalische Stimmklang, das gilt selbst in der von einer attraktiven Leichtmetalllegierung getragenen Höhe. Was mich bei Vogt immer noch stört, ist die Phrasierung ohne Spannung. Doch ich halte Vogts Walther von Stolzing für den derzeit besten in Wagners weiten Landen. Dass Vogt sehr kurzfristig einspringt, ist Grund zur Freude. Doch der Tenor singt tags zuvor die gleiche Rolle in Salzburg unter Thielemann. Ist dies nicht unverantwortlich gegen sich selbst, auch wenn Vogt sich im 1. Akt flink frei singt?

Die Eva Pogner ist bei Regisseurin Moses nicht das Ev’chen von züchtig deutscher Gefühlstiefe, sondern eine patente junge Dame in schrecklichen Liebesnöten, die sich erst in allerletzter Sekunde für den Junker entscheidet. Julia Kleiter spielt die nicht ganz stressresistente, daher Zigarette qualmende Eva bravurös und nervös gestikulierend. Sie brilliert im Quintett, singt dort rein und leuchtend, hat für meinen Geschmack in den berückend hell gesungenen rezitativischen Passagen wenig Intimität oder Ausdruck in der Stimme. Auch Martin Gantner (Beckmesser), für Kränzle eingesprungen, verkörpert seine Rolle hell und dazu auch noch markant und ohne charaktertenorales Gedöns. Beckmesser – einmal nicht als Außenseiter-Karikatur, sondern als gestandener Mann, der allerdings als jämmerlich Versagender im Wettsingen erstaunlich wenig Mitleid auf sich zieht.

Neben Vogt und Gantner ist der Pogner von Matti Salminen eine weitere kurzfristige Umbesetzung. Salminen, unvergessen als Gurnemanz und Marke an beiden Berliner Häusern, singt einen äußerst problematischen Auftritt im 1. Akt (für den er zwei schallende Buhs beim Schlussapplaus bekommt) und einen respektabel kraftvollen im 3. Akt. Eine helle Freude ist der David des Südafrikaners Siyabonga Maqungo mit deutlicher Aussprache, kunstfertiger Belcanto-Kultur, gutem Deutsch und Stimmreserven. Dass ein Afrikaner in den ach so deutschen Meistersingern singt und reüssiert, fügt der Vorstellung eine hochinteressante Note hinzu, die das Publikum beim Schlussapplaus auch zu honorieren scheint. Die hochgewachsene Lene von Katharina Kammerloher gerät drahtig und gerade heraus. Ein bleibender Publikumserfolg ist die Riege der altgedienten Meistersinger mit Franz Mazura (Schwarz), Graham Clark (Vogelsang), Siegfried Jerusalem (Zorn), Reiner Goldberg (Eisslinger) und Olaf Bär (Foltz). Der Nachtigall von Adam Kutny, der Kothner von Jürgen Linn, der Moser von Florian Hoffmann und der Ortel von Arttu Kataja komplettieren die Meisterriege. Als Nachtwächter versieht Erik Rosenius seinen Dienst.

Wie gesagt, mir fehlte nach der musikalisch fulminanten Prokofjew-Premiere das Ohr für die Meistersingermusik. Es wird anfangs auch schlampiger musiziert. Freilich hält Barenboim das Tempo zu Beginn enorm hoch. Zur Staatskapelle und Daniel Barenboim deshalb nach der Ostersonntagsvorstellung mehr.

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