Macht die nicht gerade zu den vielgespielten Opern zählende Arabella nur Fans von Richard Strauss glücklich?
Das muss Regisseur Tobias Kratzer vermutet haben. Denn Kratzer inszenierte Arabella an der Bismarckstraße stark modernisierend, ziemlich jetztzeitelnd und obendrein reichlich genderfroh. Die bezaubernde Oper Arabella steht eigentlich für ein super Libretto plus hinreißende Musik und fesche Charaktere. Aber denkt man beim lebensfrohen Rosenkavalier an ein entspannt sinnenfrohes Wiener Neo-Rokoko, so bei Arabella unweigerlich an verarmten Adel und Hotelsalons mit staubigen Lambrequingardinen. Und Lambrequingardinen sind genau das, was Kratzer im ersten Akt mit offensichtlicher Zeigelust vorführt.
Das Motto von Regisseur Christof Loy an der Deutschen Oper Berlin lautet Einhegung. Er verpasst Schrekers Der Schatzgräber, diesem üppig schwelgerischen, hitzig sensualistischen, aber auch dramatisch anrührenden Opernprachtstück eine prunkvoll-düstere innenarchitektonische Einfassung.
Wie das aussieht? Eine schräg gestellte Marmorwand, massiv und bühnenhoch. Mittig ein Kamin und ein geheimnisvoll blindes Fenster. Rechts und links je ein monumentales Türportal, Typ 30er-Jahre-Einschüchterungsarchitektur. An den Seiten Fenster in Palastgröße. Ein unschuldsweiß gedeckter Tisch dient neben einer Pantherskulptur als einziges Bühnenmöbel (Bühne: Johannes Leiacker). In diese schwarze Marmorpracht des Bühnenraums, die autoritäre Machteliten von 1910 bis 1945 symbolisiert, stellt Loy eine Hofgesellschaft männlicher Anzug- und Uniformträger (Kostüme: Barbara Drohsin), die aber nur als Nebenfigurenfolie für das hohe niedere Paar Els und Elis bildet.
Ich finde die Produktion sehr gut. Eine gute Inszenierung, eine gute Bühne, gute Sänger. Eine gute Dramaturgie und eine Personenführung, die auch an den Nebenschauplätzen für Abwechslung sorgt.
Gerade wo die Musik Gefühlstemperatur und Nervenerregung hoch hält, ist Loys Kühle von Nutzen. So kann man sich auf dieses seltsame Außenseiterpaar Els und Elis konzentrieren, sie Bedienung mit einem pechschwarzen Geheimnis, er Musikgenie ohne Heimat. Schrekers Musiktheater, das schönheitstrunken das Leben feiert und fasziniert das Böse skizziert, ist geeignet für schlanke, hellstimmige, durchsetzungsstarke Tenöre. Daniel Johansson (im kühlen White-Collar-Habit) hat Timbre, Energie und sieht blendend aus. Sein Tenor klingt auch bei ruhigen Passagen. Die Stimme von Elisbet Strid (trägt als erdbeerrote Servicekraft Servierschürzchen) ist intensiv und transportiert Leidenschaft. Beide singen hinreichend textverständlich.
Albrecht Selge fragt zurecht, ob die Oper Die Frau ohne Schatten nötig sei im Rahmen eines Musikfests, das sich 2019 mit Berlioz, Neuwirth. Eötvös, Varèse und Andriessen schmückt. Doch der schwierigen, von der Bürde eines überreichen Librettos belasteten Oper tut die Protektion durch ein renommiertes Festival immer noch gut. Das mächtige, prächtige Werk steht weiterhin unter Kitsch- und Unerheblichkeitsverdacht. Fast schon als Musikfest-typisch erweist sich die hohe Dichte an Liebhabern und Kennern im Publikum.
Premiere von Richard Strauss‘ Salome. Hans Neuenfels inszeniert.
Kaum eine Oper bietet dem Regisseur mehr Spielwiese. Der Plot: ein rasanter Sexthriller. Die Hauptfigur: ein durchgeknallter Rotzlöffel. Das Libretto: ein komprimiertes Meisterwerk (von Oscar Wilde). Die Musik: 100 Minuten Hochspannung.
Hans Neuenfels inszeniert die Salome-Oper in asketischem Schwarz-Weiß. Der Regisseur kappt alles, was an Fin-de-siècle-Dekadenz erinnern könnte.
Blaue Stunde in Gralslandschaften: Stölzls Parsifal an der Deutschen Oper Berlin / Foto: facebook.com/DeutscheOperBerlin, Matthias Baus
Philipp Stölzls Zentenar-Parsifal (Mit der Inszenierung feierte die Deutsche Oper ihr 100-jähriges Wachsen und Gedeihen) steht wieder auf dem Spielplan der DOB. Und immer noch changiert Stölzls Berliner Parsifal zwischen Revoluzzer-Regie und turbulenter Texttreue. Es ist eine Stärke von Stölzls Parsifaldeutung, dass der Zuschauer auch nach wiederholtem Besuch nicht weiß, ob Stölzl sich bierernste Bibeltreue oder ideologiekritisch um sich ätzendes Regietheater auf die Fahnen geschrieben hat. Das kultige Bühnenweihfestspiel als ergebnisoffenes postmodernes Wunschkonzert, wer hätte das gedacht! Weiterlesen →
Die Spielzeit 2016/2017 an der DOB steht im Zeichen der letzten Aufführung des Götz-Friedrich-Rings aus dem Jahre 1984. GMD Donald Runnicles dirigiert. Stefan Vinke ist Siegfried, Evelyn Herlitzius und Ricarda Merbeth sind Brünnhilde, Thomas J. Mayer singt Wotan, Samuel Youn den Wanderer.
„You know, that’s what man trägt now on Oxford Street. Und what’s das Beste, Magdalena is so crazy about it.“ – Simon Rattle als überzeugter Wagnerianer.
Es gab einen Augenblick, da bekam Simon Rattle diesen Abend in die Hand. Es sind die Celli nach „Schmecktest du mir ihn zu?“ („Sehr Langsam“), als sich eine Tür öffnete. Andere mögen das anders erlebt haben. Bei mir waren es die intensiven Celli. Irgendetwas ist zwischen dem Orchester und Rattle jetzt da. Ich höre was wachsen. Erstes Etappenziel ist der erste Aktschluss, groß gedacht und straff exekutiert – allerdings, den letzten Schlag rumst die Staatskapelle doch besser runter. Im zweiten Akt kommen dann die genialen Stellen,
Carl Rihas Inszenierung ergeht es wie allen gar nicht so schlechten Tosca-Inszenierungen. Der dritte Akt ist ein Graus. Ist bei der DOB-Tosca nicht anders (damals mit Guleghina, seufz).
Kraftvolles Vorspiel mit energischen Farben. Ein echter Nelsons. Das straffe Orchester tut nach Thielemanns Soft-Tempi gut. Sehr rhythmisch. Die Chöre bekommt Nelsons wunderbar bewegt hin. Klar und schnörkellos auch die Piano-Linie der Celli zu Anfang des 2. Aktes. Genialer Galopp des Fortissimo nach Telramunds „Meine Ehr ist hin“. Das Vorspiel zum 3. Akt hat im lyrischen Teil Schumannsches Melos. Hervorragend die kraftstrotzende, präzise Orchestereinleitung zur 3. Szene, 3. Akt.