Der Lohengrin an der Deutschen Oper ist gut.
Runnicles hat die Dinge erfahrungssatt im Griff, auch im ersten Vorspiel, wo sich die Geigen haufenweise noch im Nachmittagsnickerchen befinden. Donald Runnicles leitet mit tadelloser Gediegenheit. So kann er’s: klangwuchtig wenn nötig und schnörkellos dramatisch. Runnicles gönnt sich (und uns) auch unreflektiert schöne Holzbläser-Romantik. Das hat A-Dur-Hand und f-Moll-Fuß. Nicht zuletzt die weiträumig vorbereiteten Steigerungswellen der Chorszenen haben Atem, Ausgewogenheit, Klasse, selbstverständliche Architektur.
Gestalt und Blondmähne machen aus Klaus Florian Vogt immer noch das Idealbild des vom Gral entsandten Ritters. Vogt singt dazu immer noch im imaginären Klanggewand eines Jünglings: hell, silbern, unendlich nobel. Der „Vogt-Ton“ hat ja inzwischen verschiedene Spielarten. Im ersten Aufzug, wenn’s um Wunder und Liebe geht, kippt Vogt auch mal ins Salbungsvolle. Aber in den kraftvoll deklamierenden Stellen von Aufzug II und III klingt der Tenor formidabel, kühn, von schneidender Konsequenz. Fast könnte man sagen, Vogts Ideal wäre die Reinheit des Sprechtheaters. Man spürt: Da ist er der Sänger der unbedingten Treue gegenüber Wagners Text. Daher ist Vogts Interpretation relativ immun gegen Interpretationstendenzen des Regisseurs (hier von Kasper Holten). Das Schönste ist, dass man sprichwörtlich bei jedem gesungenen Ton an Vogts Lippen hängt.

Camilla Nylund agiert diametral entgegengesetzt. Sie singt großbogige Aufschwünge. Aber sie gibt eher Klänge als Wörter. Verkörpert eine Elsa ohne allzu viel individuelles Singen. Grau bleibt die Traumschilderung Einsam in trüben Tagen. Nicht viel besser das bräutliche Euch Lüften. Da blüht wenig. Ist wenig Legato. Sie ist ja keine expressive Sängerin. Sie steht lieber an der Außenlinie als sich in den Zweikampf zu werfen. Auch Nylunds Aussprache bleibt defensiv, sie ist nicht gerade mundfaul, aber eben auch nicht spontan ausdrucksvoll.

Den Telramund verkörpert Martin Gantner als sich ereifernde, dabei wunderbar hippelig-hagere Verschwörergestalt. Gantners nüchterne, schlanke, in den Spitzentönen durchdringend eng vibrierende Kantabilität ist so was wie ein Markenzeichen dieses erstaunlichen Sängers. Astrein gerät sein Auftritt vor dem Münster in Akt 2. Genau da ist Günther Groissböck, der im 1. Akt einen leicht dröhnend wehrhaften König bietet (großartig aber: Hab Dank! Erkenn‘ ich recht), mit allen Bass-Wassern gewaschen. Kraft und Schönheit der strömenden Stimme sind fantastisch. Nur eine gewisse vokale Nonchalance passt besser zum Landgrafen (Tannhäuser), wie ich finde (Ich glaube nicht, dass Holten dieses leicht joviale Agieren forderte). Wie schön, Groissböck einmal wieder zu hören. Heerrufer Thomas Lehman singt engagiert als königliches Sprachrohr (der trääte vor).
Schlussendlich rollt Ortrud Anna Smirnowa das Feld von hinten auf. Von Smirnowa geht Intrigantinnenbosheit aus, und zwar als dämonische Bühnenfigur. Wie sie heute spielt, packt einen. Aber auch als Vokalistin. Die Tiefe gurgelt, die Mittellage ist extrem bissig und besitzt timbralen Punch, die Spitzen sitzen. Das etwas verwaschene Deutsch fällt angesichts der sehr lebendigen Deklamation kaum ins Gewicht.
Die Inszenierung hat doch unbestritten ihre Meriten.
Zum ersten Mal seit Pandemiebeginn genieße ich die Chöre in der Deutschen Oper wieder. Es hat kaum noch Maskenträger im Chor! Dafür ist der halbe Chor krank. Deshalb wird laut Ankündigung mit Sängern und Sängerinnen von Lindenoper, Leipzig und Hamburg aufgefüllt. Trotzdem wird kraftvoll, druckvoll, lebendig, mit klar hörbaren Einzelstimmen, aber mit einer dramatischen Stimme gesungen – abzüglich vielleicht der Beginn der Münsterszene. Passt.
Merke: Immer sollst du in den Lohengrin gehen, besonders bei dieser Besetzung.
Besuchte Vorstellung: 15. Mai 2022
Als Kaiserin war Nylund damals einfach umwerfend. Einfach nur prächtig. Ist doch schön wenn man in Berlin innerhalb weniger Wochen mit Vida Miknevicute und Nylund zwei so unterschiedliche Elsas erleben darf die beide zu den besten überhaupt gehörten.
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Stimme zu, Nylunds Kaiserin war sehr überzeugend, ist aber auch eine komplett andere Rolle. Als DO-Elsa jetzt fehlte ihr auch so was wie jugendlicher Schwung, der weniger vom Alter der Sängerin abhängt als vom emotionalen Mitgehen. Wen man der Elsa die Träumerei im 1. Akt gar nicht abnimmt, funktioniert die Rolle irgendwie nicht mehr. Und wenn man erlebt hat, wie Vida Miknevičiūtė Unter den Linden im Brautgemach wie eine Löwin um ihre Beziehung zu Lohengrin kämpfte, da hatte Nylund schon was Distanziert-Damenhaftes, was man natürlich auch mögen kann. Aber mir wars zu statuarisch.
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Tremendous singing
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Wow Dirigent Tarmo Peltokoski debütiert beim Konzerthausorchester Alter: 21 Jahre
Aussehen tut er noch jünger
https://www.konzerthaus.de/de/programm/konzerthausorchester-berlin-tarmo-peltokoski/7877
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Also ich verstehe die ganze (pseudo)intellektuelle Krittelei wie immer nicht richtig. Für mich war das der beste Lohengrin meines Lebens, obwohl ich die Oper bisher nicht richtig leiden konnte. Aber, habe ich meinen Kindern gesagt, ich gehe nach 30 Jahren zum ersten Mal wieder dahin, weil es diese Besetzung gibt. Besser als so kann man es kaum haben.
Alle 6 Rollen waren sehr gut besetzt. Sogar der Heerrufer ließ aufhorchen, wer das denn sei. Die Inszenierung störte nicht, war eigentlich nicht weiter auffällig. Das ist ja schon ein Pluspunkt in den heutigen Zeiten.
Elsa war ein liebreizendes, schön singendes Mädchen, in die sich der edle Prinz wohl verlieben konnte.
Der Baß, obwohl Günter Groissböck, hatte nette Höhen, aber mir schwebte immer, ich konnte nichts machen, die Kraft eines Salminen oder Kurt Moll vor. Das ist natürlich Blödsinn, aber die konnten auch keine anständigen Ochsen.
Bariton war gut und textverständlich. Ist nicht immer so.
Ja, und ob man die Ortrud mit so einer Gewalt, völlig haßerfüllt singen muß ? man kann, sicherlich, steht ja schließlich im Text. Irgendwie fiel die aber ein wenig aus der Rolle. Es ginge auch subtiler.
Über den Tenor kann ich nur sagen, wenn er wollte, könnte er die nächsten 20 Jahre nur noch Lohengrin singen, einmal die Woche. Denn er ist wie geboren für die Reinheit, die gerade eben dem Knabenchor entwachsen ist. Und wenn der in 5-10 Jahren mit noch mehr forza Tristan singt, will ich es nicht verpassen.
Hätte man noch einen richtig großen Dirigenten wie Thielemann gehabt, dann hätte es vielleicht noch ein paar Momente mit größerem Gefühl oder mehr Exaltation gegeben. Aber man kann nicht alles auf einmal haben, und wenn Runnicles Wagner dirgiert, gehe ich meistens sehr zufrieden nach Hause.
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Was sollte eigentlich das Theater auf dem Theater auf dem Theater ? Wird man das beim nächsten Mal gleich vierfach machen, damits auch jeder buffon versteht ?
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Im übrigen singt Klaus Florian mitunter auch den Prinzen in der Rusalka. Das würd‘ ich gern mal live hören, noch vor dem Tristan.
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Hier hat mir der Günter Groissböck noch viel besser gefallen, zumindest auf die Entfernung :
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Himmlischer Friede, bald bist du mein.
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Es war übrigens alles Blödsinn, was ich über Orest, Pape und Groissböck schrieb. Pape war ein wunderbarer Orest, wie man es kaum besser wollen kann. Kein schwarzer Bass, sondern die richtige baritonale Rache auch dabei. Und daß eine Chrysotemis am Ende den meisten Beifall bekommt, ist mir auch noch nie passiert.
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Im übrigen weiß ich jetzt echt nicht, was es mit dem Guggeis so besondres auf sich haben soll, außer daß er aus Niederbayern kommt.
Habe Gerd Albrecht oder Marek Janowski in jungen Jahren in der Elektra gehört, da gab es mehr erregende oder erinnerungswürdige Einzelmomente als gestern. Das klang alles schön und voll, und er ist ja auch erst 29. Ein Thielemann ist er (noch) nicht.
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Vielleicht ist es das, was die Leute heute wünschen.
„Ich bin ein Weib, und will ein Weiberschicksal“.
So singt jedenfalls die Chrysothemis.
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