Der Münchener Ring wird länger und länger und runder und runder. Und Elisbeth Kulman postet an Ringruhetagen immer so nette Fotos.

Kirill Petrenko dirigiert wunderbar engagiert. Er ist ein Vollblutmusiker. Es läuft rund. Nur: Ich finde das Dirigat bisweilen äußerlich. Statt Wärme höre ich „nur“ Klangrundung, statt Leidenschaft die Härte des großen Apparats, die Petrenko gerne einsetzt. Das wirkt dann wie Aufblendlicht bei 35 Grad. Doch man findet schwerlich einen derart präsenten und souveränen Ring-Dirigenten.

Das sängerische Personal ist gar nicht schlecht. Also klar, es ist hervorragend.

Schön, dass die Inszenierung von Andreas Kriegenburg unterhält und bildet. Die Idee, ein choreographiertes Rudel von huschenden und wogenden Damen und Herren Naturkräfte (Feuer, Wasser, Flora, Fauna) ebenso wie historisch nicht verbürgte Untiere (Riesen) oder psychische Zustände (Furcht, Liebe, Aggressivität) darstellen zu lassen, geht auf (Choreographie Zenta Haerter). Das ist so kurzweilig wie tiefsinnig, da stets zugleich doch Ausgangspunkt, von dem aus ich Wesentliches des Rings begreife. Jedenfalls habe ich nach aktuell 22 absolvierten Stunden Ring nur einen Schnarcher gehört, eine historisch niedrige Rate. Dramaturgie und Bühne (Schmidt/Tiedtke und Thor) lassen dem Zuschauer Gewohnt-Liebgewonnenes, die Schmiede ebenso wie den Ehezank. Der Charakter Siegfrieds, dessen dynamischer Rohheit eine Regie nur durch veritable Eingriffe gegen Wagner beikommen könnte, wird subtil ins Drollig-Bärenhafte variiert, wobei Stephen Gould ein angemessen guter Darsteller ist.

Die nette Stampffußeinlage der Walkürenschar ist eine nette Sascha-Waltz-Reminiszenz, und wird bebuht. Ach, ihr Münchener…

Zu den Sängern, die Kontinuität über viele Ring-Stunden hinweg schaffen, zählen der Wotan/Wanderer von Thomas J. Mayer, der bis in die letzte Stimmfalte von Hass und Gier erfüllte Alberich Tomasz Konieczny, der unermüdliche Mime Andreas Conrad und allen voran der Siegfried von Stephen Gould, dessen Tenor in keinem Register enttäuscht. Angenehm angedunkelt in der Tiefe und Mitte, durchsetzungsfähig, nicht metallisch, aber eben konzentriert in der Höhe. Das Timbre vereint Tonschönheit und Männlichkeit, ohne in einem der beiden Punkte geradezu konkurrenzlos zu sein. Dies alles in Verbindung mit einem sehr klugen Einsatz der Stimme – und fertig ist ein sehr guter Siegfried. Wenn es Verbesserungswünsche GÄBE, so WÜRDEN sie sich LEDIGLICH darauf beschränken, mehr Glut im Siegfriedfinale und generell noch mehr Nähe zum Wortsinn zu fordern.

Christopher Ventris war ein Siegmund mit heller Stimme, der aufgrund trockenen Charakters sich und seiner Wirkung selbst im Weg stand, was offensichtlich nur die Sieglinde Anja Kampe nicht bemerkte. Frau Kampe hat eine Stimme, bei deren Klang umgehend die Tannhäuser-Elisabeth vor meinem inneren Auge entsteht. Ein Timbre, in dem sich 17-jährige und Endvierzigerin fesch mischen, ein aufregendes Vibrato, ein leicht ansprechender Sopran mit warmen Aromen, leichter Muskatnote und etwas Metall.

Enttäuschend ist Catherine Naglestad als Siegfried-Brünnhilde. Ihrem Sopran fehlen Ausdauer, Kraft und – Idiom. Denn es stören nicht nur Amerikanismen der Aussprache. Besonders im stimmlichen Souterrain verformen sich die ‚E’s zu lustigen Westküsten-‚Ö’s. Mir missfällt das Fehlen jeglicher „natürlicher“ Deklamation. Man weiß gar nicht, ob sie weiß, worum’s gerade geht. Man hört dem StimmKLANG nicht an, ob sie gerade vom letzten Picknick oder von Siegfrieds blauen Augen singt. Nur die klangdominierten Höhepunkte, die beeindruckend fluten, tragen. Besser macht es Evelyn Herlitzius, die ihre Walküren-Brünnhilde zwar mit kargeren Hojotohos begann als 2012 oder 2014 – beides Mal unter Rattle – in Berlin gehört. Ich befürchtete schon Spuren einer tiefergehenden Überlastung. Aber dann sang Herlitzius die Walküre intensiv und aufregend wortpräzise. Die beiden Szenen Wotan-Brünnhilde aus zweitem und dritten Akt der Walküre sind Höhepunkte des gesamten Rings.

Dem eleganten Thomas J. Mayer liegen die heroisch deklamierenden Passagen. Einige Stückerln, in denen Wotans Jammer- und Heftigkeitsrhetorik alles andere plattwalzt, dürfte zum derzeit wotanmäßig Bestmöglichen gehören. Für die weniger zahlreichen sehr leisen Stellen („Was keinem in Worten ich künde“) fehlt ihm – noch – der Schlüssel. Der Dialog mit seiner lieben und wohllauten Fricka Elisabeth Kulman im zweiten Walküreakt war auf gutem Pfeffer-Niveau. Um die finale Chili-&-Tabascosoßenstufe zu erklimmen, hätte Frau Kulman ihrer Empörung noch schärferen Hohn beimischen müssen – klanglich sowohl als auch deklamatorisch.

Im Rheingold und in Siegfried entledigten sich Günther Groissböck und Christof Fischesser ihrer Aufgabe als Fasolt und Fafner sehr gut. Groissböck mit wohllautendem, fließend-körnigem Bass. Die Erda von Qiu Lin Zhang war souverän, wenn auch nicht einzigartig. Eine hübsche Leistung bot Iulia Maria Dan als Waldvogel.

Im Rheingold war der Beifall ein bissl verhalten. Dann wird’s immer mehr.