Der Abend hat einige Schwachstellen. Doch es war alles in allem ein großer Abend. LESEN: Simon Rattle dirigiert Akt 1 der Walküre im Dezember 2016.

Es gab einen Augenblick, da bekam Simon Rattle diesen Abend in die Hand. Es sind die Celli nach „Schmecktest du mir ihn zu?“ („Sehr Langsam“), als sich eine Tür öffnete. Andere mögen das anders erlebt haben. Bei mir waren es die intensiven Celli. Irgendetwas ist zwischen dem Orchester und Rattle jetzt da. Ich höre was wachsen. Erstes Etappenziel ist der erste Aktschluss, groß gedacht und straff exekutiert – allerdings, den letzten Schlag rumst die Staatskapelle doch besser runter. Im zweiten Akt kommen dann die genialen Stellen,
als da wären einiges aus dem Vorspiel. Ich denke: „Wahnsinn“. Als die nächste geniale Stelle kommt, ich glaube es war nach „Nimm den Eid“, meldet sich ein tiefes Glücksgefühl.
Die wahrhaft großen Stellen sollten aber noch kommen. In der Szene Brünnhilde – Wotan im 2. Akt ist es soweit. Rattle macht hier eine ganz andere Walküre als die konzertante mit den Philharmonikern vor eineinhalb Jahren. Heuer setzt Rattle Gesten, Färbungen, Posaunenbewegungen mit untrüglichem Gespür in den Giga-Organismus namens Zweiter-Walküren-Akt ein. Es gibt mitreißende Bläserstellen voll leiser Gewalt. Herrlich das „Bewegter“ in den innig geführten Streichern, bevor Siegmund und Sieglinde auf die Bühne stolpern. In der Todesverkündigung passt einfach alles. Dann die volle letzte Szene des 3. Akts. Hat das Orchester der Deutschen Oper in den letzten 10 Jahren auch nur ansatzweise einen solchen Wagner gespielt? Gab es an der DOB in den letzten Jahren so was wie die sehrenden Geigen rund um die Fortissimo-Stelle vor Sieglindes „Hinweg! Hinweg!“? Nee, wohl eher nich.
Die wichtigen Namen sind Rattle, Herlitzius, Mayer. Und Soffel.
Der Wotan Thomas Johannes Mayers wird meiner Meinung nach immer besser. Fängt um 19 Uhr gut an, hört um 22.15 Uhr super auf. Der zweite Akt wird fast durchweg phänomenal. Mayer macht aus jenen bisweilen mit recht pompöser Umständlichkeit gepflegten Grübeleien des Wotan eine mitreißende, in aufregender Nähe zum Wortsinn agierende Interpretation.
Doris Soffel habe ich gestern anlässlich des Rheingolds ausführlich gelobt. Heute höre ich, dass Frau Soffel Tonhöhen anschleift, um einen höhnischen Ausdruck herbeizuführen. Gestern hörte ich das nicht so klar. Doris Soffels Fricka ist eine stolze, rational denkende, grundehrlich empörte Fricka. Es ist da eine interessante Nuance in Frickas Charakter, die man mit dem Begriff Gluckenhaftigkeit näher umschreiben könnte. Das superschöne „Von Menschen verlacht…“ singt Soffel so souverän, als würde sie eine in Marmor gemeißelte antike Inschrift rezitieren. Sehr gut.
Die Brünnhilde von Evelyn Herlitzius ist unschlagbar in der Todesverkündung. Und zwar ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie mit dem Walkürenhelmchen ganz entzückend aussieht. Ihre scharfe, sehnige Stimme wird von ihr mit tödlicher expressiver Effizienz gehandhabt. Frau Herlitzius ist mitreißender dramatischer Eloquenz fähig. Die Identifikation mit der Rolle wird ihr am Schluss Ovationen einbringen. Ihre Brünnhilde ist so scharf wie Düsseldorfer Löwensenf extrascharf und ihre Stimme ist ganz nebenbei voller koloristischer Nuancen, im unteren, mittleren und oberen Register.
Eva-Maria Westbroek singt Sieglinde mit vollem, wohl auch robustem, reichem Ton. Farblich könnte sie ihren reichen Klang differenzierter auf Vokale, Silben, Wörter, vokale Gesten runterbrechen. Glorios orgelnd aber ihr „Hehrstes Wunder“.
Simon O’Neill zeigt zwei Seiten. 1. Für die lyrisch-empfindsamen Passagen bringt O’Neill jene wild entschlossene Sorgfalt mit, die man Berliner Behörden bei der Durchführung großer Infrastrukturvorhaben gerne nahelegen würde, die in Walküre jedoch irritieren kann – manches bewegt sich am Rand zur Karikatur („Die Sonne lacht mir nun nnnn-o-o-ii“ und „Wihi-i-interstürme wichen dem Wohohohonnemond“). 2. Dafür hat Simon O’Neill großen Anteil am außerordentlichen Gelingen der Todesverkündigung. Einiges ist herrlich schön. Ein Kommentar in der 1. Pause: „Er brüllt“. Finde ich aber gar nicht.
Reinhard Hagen ist ein guter Hunding.
Links neben mir sitzt eine achtzigjährige Dame, die keine jener Stellen ausließ, die sich zum Losheulen besonders eignen, weder Siegmunds Tod, noch „Leb wohl, du kühnes herrliches Kind“, noch „Der Auge leuchtendes Paar“.
Die Walküren sind teilweise luxuriös besetzt. Die attraktiven Chanteusen mit einer Vorliebe zum Reitsport heißen heute Abend Christina Sidak (Rossweiße), Ronnita Miller (Grimgerde), Martina Welschenbach (Ortlinde), Ewa Wolak (Schwertleite), Rachel Hauge (Waltraute), Heidi Melton (Helmwige), Manuela Uhl (Gerhilde), Dana Beth Miller (Siegrune).
Heute war einiges anders. Es war ziemlich genau 18 Uhr, als man bei „Siegmund den Wälsung siehst du, Weib“ angelangt war, und das war der Zeitpunkt, als sich mein Sitznachbar (rechts von mir) runterbeugt, eine Weile lang konzentriert den Bildschirm seines Handys anblinzelt, sich langsam zurücklehnt, einen Grunzer der Zufriedenheit ausstößt und mir mit blitzendem, eines Wotan würdigem Auge zuraunt: „Die Ar*******er von der FDP sind nich drinne.“
Kritik Walküre: Nach dem unentschiedenen Rheingold legt Rattle mit einem sehr guten Ensemble eine Schippe drauf. Nee, zwei Schippen mindestens.
Hier eine Übersicht über ein paar Walküre-Leitmotive.
In der Tat, ein erfüllter Abend, der meine Erwartungen voll erfüllt hat. Genauso habe ich es auch erlebt, Rattle hatte einen Durchbruch. Rheingold taugt natürlich wenig zum Glänzen. Gestern fand Rattle eine Balance zwischen den Orchesterteilen und eine tonliche Brillanz und Energie, die ich lange nicht an der Deutschen Oper gehört habe. Das Orchester fand zu Farben, die man gar nicht mehr für möglich gehalten hätte. Das führte völlig zu Recht zu Ovationen. Ich habe Einschätzugen von mehreren Bekannten in der Pause gehört, die teils geradezu euphorisch waren. Ich würde die gestrige Walküre auch über einiges stellen, was ich in den letzten Jahren von Barenboim bei Wagner gehört habe.
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Great Rattle who did a great job yesterday.
Thanks, Simon.
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Ich würde Evelyn Herlitztius und Thomas Mayer etwas skeptischer sehen, dafür Eva-Maria Westbroek deutlich positiver. Westbroek bekam ja auch ihr Jubelstürmchen ab. Aber eine marvellous, England backed Aufführung an der Bismarckstraße. Die Inszenierung hat noch Saft und Kraft, was ich in Rheingold anzweifelte. OK, die Leute rennen etwas viel von vorne nach hinten und von hinten nach vorne. Aber insgesamt ist der Ring der DOB noch voll lebensfähig, was der Rohrkrepierer Ring im Schillertheater nie war, regiemäßig meine ich jetzt.
Well done, DOB
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Einhellige Ovationen für Rattle und das Ensemble, so macht Wagner Spaß. Im Ernst, ich habe schon sehr viele Wagnerabende an der Deutschen Oper gehört, aber der gestrige Vorstellung war doch ein Höhepunkt in meiner ganz privaten Historie. Am besten hat mir Thomas Mayer gefallen, nicht nur wegen seiner tollen Bühnenpräsenz, sondern weil mich bis ins Mark getroffen hat, wie er Hunding ganz am Ende des 2. Akts im wahrsten Sinne des Wortes anschrie. Dann hat mir noch imponiert, wie Mayer sich auf den toten Siegmund wirft, was mich auch tief bewegt hat.
Ein Bravo an alle Beteiligten!
Liebe Grüße
Grasci
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Doris Soffel war für mich der geheime Star des Abends. Ich finde es weniger gut, wenn Fricka als hysterische Ehefrau herhalten muss, die nichts anderes im Sinn hat, als ihren dynamischeren Ehepartner auf Teufel komm raus in die Pfanne zu hauen. Das hat Doris Soffel wohltuenderweise nicht gemacht. Sie zeichnete ein wunderbares Bild der Göttergattin.
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Ergebnis:
Großartig
Ziel:
Rattle verstärkt an die DOB engagieren
To dos:
Dietmar Schwarz trifft sich mit Rattle im Einstein und checkt weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit
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Sehe gerade, dass Herlitztius sowohl die Siegfried- als auch die Götterdämmerung-Brünnhilde singt.
Oh my god, schafft sie das?
In punkto Rattle-Euphorie:
Jajajajaja, war alles gar nicht so schlecht, aber der Walkürenritt hat mich nicht überzeugt. Das Walkürenthema war zu stark von den Begleitfiguren isoliert.
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