Premiere von Richard Strauss‘ Salome. Hans Neuenfels inszeniert.
Kaum eine Oper bietet dem Regisseur mehr Spielwiese. Der Plot: ein rasanter Sexthriller. Die Hauptfigur: ein durchgeknallter Rotzlöffel. Das Libretto: ein komprimiertes Meisterwerk (von Oscar Wilde). Die Musik: 100 Minuten Hochspannung.
Hans Neuenfels inszeniert die Salome-Oper in asketischem Schwarz-Weiß. Der Regisseur kappt alles, was an Fin-de-siècle-Dekadenz erinnern könnte.

Die Bühne ist ein geheimnisvoll technoider Raum. Geschwungene Raumteiler, an Querspante eines Schiffs erinnernd, gliedern streng symmetrisch die Seiten (Reinhard von der Thannen). Man darf wohl an kühle Abstraktionen barocker Theaterkulissen denken. Als visuelles Motto der Neuenfels-Inszenierung entpuppt sich allerdings die silberglänzende Sputnikkapsel, in der der Prophet Jochanaan vom Himmel schwebt. Sie ist halb Roy-Lichtenstein-Lipstick, halb Leichtmetall-Phallus. Verblüffend multifunktional angelegt, fungiert das drollige Ding zugleich als Eremitenkapsel und Einzelhaftzelle.
Klug variiert Neuenfels die allüberall grassierende Inszenierungsmode, Geschlechtergrenzen zu verwischen. So ist Salome ein faszinierend kühles Zwitterwesen, aufreizend androgyn, derweil Jochanaan im schwarzen, hochgeschlossenen Rüschenrock (eine prickelnde Nuance Cosima Wagner spielt da rein) sein Unwesen treibt.
Doch damit nicht genug. Neuenfels stellt Oscar Wilde höchstpersönlich auf die Bühne. Als (stumm bleibender) Einflüsterer leitet und bezirzt Wilde seine eigenen Figuren – durchaus zu ihrem eigenen Verderben. Unter seiner Leitung entsteigt Salome dem zeremoniellen Tüllkleid (auf dem Scheitel prangt ihr ein kecker Minimond), lockt er Jochanaan aus seiner asketischen Phalluszelle, wobei der sich sträubt wie ein wildes, raues Tier. Wilde, ein verführender Verführer, verkuppelt schier Salome mit Jochanaan. Beide kommen sich gefährlich nahe. Es knistert gewaltig.
Askese auch beim Schleiertanz. Denn der, immer heikel, bedient keinen Voyeurismus. Salome bleibt bekleidet. Dafür trägt Oscar Wilde Bondage-Fessel-Geschirr. Rollentausch und rätselhafte Personen-Osmose also auch hier. Die Inszenierung gleitet kurz in Sadomaso-Sphäre ab, doch nicht zu sehr (ist regiemäßig ja ziemlich ausgelutscht, das Thema). Etwas unerwartet weidet sich Salome auf dem Höhepunkt des Tanzmusik (wunderschön die Staatskapelle) sodann an den Eingeweiden Wildes, doch dies scheint eher Emanzipationsritual, eher Option einer verstörend vielschichtigen Persönlichkeit als realer Vollzug. Salome als Kannibalin ihres eigenen Autors!

Listig implementiert Neuenfels also den Schockmoment in den Schleiertanz. Denn der Kopf des Jochanaan – sonst der Schocker schlechthin – kommt so steril als nur möglich in 42-facher Ausführung auf die Bühne gefahren – als anonymes Serienprodukt aus dem 3D-Drucker, vielfach multipliziert und gespiegelt und doch geheimnisvoll ungreifbar, ein Fetisch des Todes und der Liebe, der so kalt ist wie der Mund des Jochanaan. Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes, singt Salome traumverloren im Moment ihres größten Triumphes, der zugleich ihren Todes besiegelt. Wenig später wird sie von den Palastsoldaten, die in ihren jungfräulich weißen Wüstenuniformen aussehen wie Knallchargen, massakriert. Übrigens, zu diesem Zeitpunkt hat Oscar Wilde schon längst klammheimlich die Biege gemacht. Arme Salome.
Die Sänger: Ausrine Stundyte, Thomas J. Mayer, Marina Prudenskaya, Gerhard Siegel
Die spielt Ausrine Stundyte, die Schmalztolle streng in die bleiche Stirn drapiert. Stundytes Salome ist ein schönes, einsames Kind, weniger laszive Femme fatale als verstockt und frühzeitig bitter geworden. Deshalb die reduzierte Körpersprache. Weder verrucht noch unschuldig, doch ein verlorenes Wesen, ständig auf der Hut, rettungslos verkapselt in ihre eigenes Ich. Ausrine Stundyte spielt das erstaunlich. Man sieht, wie es in ihr arbeitet, wie sie aus der Deckung kommt, wie sie mit Herodes zu spielen beginnt wie die Katze mit der Maus. Aber es ist ein verzweifeltes Spiel.
Dazu passen die Leidenschaft, die Flamme, die in ihrer Sopranstimme brennt. Während der Enthauptungsszene flattert ihr Sopran wie ein panischer Vogel, der immerzu gegen Scheiben fliegt. Bewundernswert ist die klangvoll strömende Kantilene. Stundytes Sopran überträgt Gefühl direkt in Klang (man weiß, wie stimmgefährdend solches Singen auf Dauer sein kann), sie spielt und singt mit beängstigender Intensität. Nur bei leisen, tiefen Stellen klingt die Litauerin seltsam flach, kippt ihr Singen gar in rezitativisches Sprechen. Doch wer hätte sie je gehört, die perfekte Stimme für diese 16jährige Prinzessin mit der Isoldenstimme (R. Strauss)?
Den Propheten Jochanaan gibt Thomas J. Mayer nicht als Zottelwesen in härenem Gewand, sondern als Hünen voll stolzer Manneskraft. Kreidig weiße Haut, Prophetenbart und das schon erwähnte symbolisch vielschichtige Kleid sind seine Erkennungsmarken. Imponierend seine kernig donnernde Vollhöhe, sein sicherer vokaler Zugriff. Als Salomes Mutter Herodias feuert Marina Prudenskaya (platinblonde Monroe-Mähne und kaltes Glitzerkostüm) ohne Unterlass gefiederte vokale Giftpfeile auf ihren Gatten ab.

Wie Herodias, so belässt Neuenfels Salomes Stiefvater Herodes im gewohnten Rollenrahmen. Ein geiler, gar nicht mal so alter Sack will seiner Stieftochter an die Wäsche. Ein speckigschmieriger Lustmolch, wie er im Buche steht. Gerhard Siegel pendelt indes etwas unfroh zwischen Helden- und Charaktertenor, ohne sich für den Zwischenbereich, das kantable, biegsame Strauss-Parlando, recht zu interessieren. Er singt hauptsächlich laut. Wehmütig erinnere ich mich der Weltklasse eines Reiner Goldberg, damals unter Jordan.
Zu den Nebenrollen. Erfreulich singen Nikolai Schukoff (ein leicht angeschwulter Narraboth unter leuchtend rotem Turban, gesungen indes männlich markant) und Annika Schlicht (als vollstimmiger Page). Den Sklaven verkörpert Corinna Scheurle. Die palavernden Juden singen Andrés Moreno García, Dietmar Kerschbaum, Linard Vrielink, Michael Smallwood und David Oštrek, vokal patent, optisch als Comedian-Harmonists-Doubles. Die beiden Nazarener in geometrisch strengen Kutten sind bei Adam Kutny und Ulf Dirk Mädler in guten Händen, die beiden Soldaten bei Arttu Kataja und Dominic Barberi.
Das fröhliche Dirigentenkarussel fand ein gutes, ein sehr gutes Ende. Christoph von Dohnányi ersetzte Zubin Mehta. Thomas Guggeis ersetzte Dohnányi, der wohl vor den Zumutungen der freudianisch angehauchten Psychodeutung floh. Thomas Guggeis also dirigiert die Premiere. Nach wenigen Minuten war der Rang des Dirigats klar. Guggeis leitet energisch, äußerst lebhaft akzentuiert und fabelhaft flüssig. Er hat weder den vivisektorischen Blick eines Simon Rattle noch den rauschhaften Zugriff Barenboims (Chéreaus Elektra). Guggeis hält die Mitte und ist doch keinen Augenblick unbedeutend. Er lenkt das Vor- und Zurückfluten des Orchesters mit feinem Gefühl für Tempo und Spannungskurve und vor allem sorgt er für ein Orchester, das singt wie selten. Wie hellsichtig klingt das Prophetenmotiv, und wie sicher integriert Thomas Guggeis es in den schillernden, diffizil ausinstrumentierten Überschwang der Musik. Guggeis ist nie zu laut. Und was ist die Staatskapelle für ein geschmeidiges, warmtöniges, vielzüngiges Salome-Orchester. Ein überzeugenderes Debüt im Operngraben der Staatsoper gab es schon lange nicht mehr.
Der erste Solovorhang gerät beinahe zu einem Buhorkan.
das gerade gelesen über die Salome Sängerin……
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Für einen „Buhorkan“ reichen allerdings oft schon zehn oder elf Kehlen.
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das stimmt auch wieder, aber was so zu lesen ist, scheint ihre Stimme ja wohl sehr gewöhnungsbedürftig zu sein, wurde ja von einigen schon nach den Gezeichneten geschrieben.
Aber zu Buhen halte ich auch für lächerlich.
Nö, die schlimme und langweilige an der DO hat mir gereicht, vorläufig keine mehr,
Ich gehe heute in den Komzertsaal zur Giovanna d Arco
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Ich hatte jedenfalls einen total erfüllten Abend mit Sängern, die hierzulande ausser Daza, wohl unbekannt sind, und mich vom Sitz rissen….
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Das glaube ich. Habe mir überlegt hinzugehen und schon geschaut, wo Sopran und Tenor auftreten (hörte sich sehr gut an, zB Scala). Aber direkt nach Salome Giovanna d’Arco – nein, zu großer Kontrast.
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Kann ich nachvollziehen, würde mich auch so gehen. Wäre aber ein entspannender Kontrast gewesen. Hoffe, die beiden mal wieder zu hören.
Aber wenn ich n Termine und den Maispielplan der DO denke, wird hart..
Ähnliches engen Termine gibts ja auch in der nächsten Spielzeit.
Um auf die Frau Stundyte zurückzukommen, habe ja selten so unterschiedliche Kritiken über eine Sängerin, wie jetzt, gelesen
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O, das klingt reizvoll. Werde es in einer Woche hören und sehen. Dass der letzte Dirigentenwechsel gut tun würde, konnte man sich fast denken. Auf Ausrine Stundyte bin ich gespannt, sie wurde ja schon vorab derart kritisiert, die differenzierte Bewertung hier freut mich.
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Nein danke, die Deutung von Hans Neuenfels fand ich geschmacklos, ja, vulgär und ziemlich fadenscheinig. Da hilft es auch nicht, wenn zwischendurch manche interessante Idee aufblitzte. Doch wer wie der Regisseur darauf setzt, aus Versatzstücken des Regietheaters eine in sich schlüssige und vor allem angemessene Inszenierung zu stemmen, ist schlecht beraten und sollte die Finger von dieser wunderbaren Oper lassen. Musikalisch war ich sehr zufrieden, wobei ich bei der Salome nicht alles toll fand, doch die Buhs kamen mir wirklich deplatziert vor. Die Staatskapelle war eine einzige Freude!! Diesen Thomas Guggeis muss man sich merken! Die launige Ansprache vor der Aufführung war echter Flimm
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Ich verstehe Ihre Kritik. Manchmal sieht (und hört) man klarer, wenn man ein zweites Mal geht. Generell ist Neuenfels ja nicht einer der schlechtesten. Ihr Wort von den Versatzstücken ist nicht ganz unbegründet, doch um die gesamte Inszenierung zu charaktierisieren doch wohl fehl am Platz.
Die Buhs kamen meiner Meinung nach von zwei, drei Leuten, waren dafür aber beständig.
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Schlimmer als die bescheuerte „Inszenerung“ von Guth an der DO kann gar keine Aufführung sein. Fand gerade mal wieder statt, so in etwa vor maximal 500 Zuschauern
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Komme grad aus der Vorstellung.
Ich fands ganz gut – nach dem Zerriss im Tagesspiegel habe ich es mir schlimmer vorgestellt…
„erschreckend magere Opernausbeute“ etc etc.
Dass die Leute sich immer noch Palmwedel und Bauchtanz wünschen..
Das bisschen Abstraktion und Verruchtheit sei dem Regisseur gestattet die Oper heißt ja nicht Hänsel und Gretel.
Alles halb so schlimm.
Wahnsinn, wie Stundyte und Mayer in ihren Rollen aufgehen, der Mayer spielt den Jochanan wie ein Tier und Wilde führt ihn vor wie eine Attraktion in der Manege
Hab gleich an Lulu gedacht
Und Wilde als Homo naja
Faszinierend der Pas de deux zum Schleiertanz
Total beknackt im Tagesspiegel: Salome muss „im lyrischen Zauber…… einiges schuldig bleiben“ Hää? Wenn da was zu hören war dann ganz gewiss lyrischer Zauber.
Weiter im Tagesspiegel: „Thomas J. Mayers überaus soliden Jochanaan scheint Gesang kein echtes Kommunikationsmittel“ Der Mayer war eine Wucht…
btw habe zum ersten Mal die Staatskapelle mit einem anderen Tubaspieler als Thomas Keller gesehen
So long
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Ich habe Salome zum zweiten Mal gehört.
Stundyte hatte faszinierende Stellen. Sie hat Hysterie und tiefes Gefühl. Manchmal schwimmt sie, aber selten und absolut vertretbar.
Bei „keusch wie der MOND“ zauberhaftes, leuchtendes Piano. Ebenso bei „wie Musik in meinen OHREN“, wunderschön ausgesungen.
Auch das „Ich habe deinen Mund geküsst“ vom Schluss technisch gewiss nicht makellos, aber wie viel wahrer Impetus war darin.
Die Schwäche bei Passagen in der Tiefe bestehen ganz klar, etwa bei schnellerem Parlando. Aber bei „als das Geheimnis des Todes“ hat sie eine wundervolle tiefe Stimme.
Mayer grandios: „Er ist in einem Nachen“. Schöner und strömender kann man das nicht singen.
Siegl gefiel mir besser als bei der Premiere aber mögen tu ich sein Porträt immer noch nicht. Er singt den Herodes mal als Siegfried, mal als Mime. Für die enorme Lautstärke ist die Artikulation zu wenig prägnant.
Einige Details: Schukoff war nicht restlos intonationssicher, besonders zu Beginn. Annika Schlicht hat große Registerunterschiede, aber sehr schön.
Guggeis lässt die Musik manchmal nach Brahms und öfters nach Mahler (nach melodiösem Mahler) klingen, was nicht das Schlechteste ist. Was für eine schöne, stolze, biegsame Musik ist die Salome bei ihm, nicht so aufgeputscht.
Tolles Kontrafagottsolo vor der Köpfungsszene übrigens. Der helle Schimmer der Streicher beglückt (etwas wie Wiener Philharmoniker)
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btw Stundyte heimste heute lautstarke Bravos ein wenn die auch etwas künstlich klangen
Kein einziges Buh
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