Luca Francesconi ist 64, seine Oper Quartett von 2011. Und 2020 schickt die Staatsoper Berlin Quartett als ihre erste Corona-Premiere ins Rennen. Keine 1:30 Stunden dauert das Werk, das Textbuch beruht auf der Adaption von de Laclos‘ Gefährliche Leidenschaften durch Heiner Müller (1981). Das Libretto (gekürzt, aber oft Originaltext Müller) ist gar nicht so schlecht: 13 Szenen, die Marquise Merteuil und der Vicomte Valmont lagen früher oft zusammen in der Kiste, aber das ist lange her, der Ofen ist aus, wenn auch das Begehren noch da.
Es ist eine gute Inszenierung und ein guter Start in eine gewiss nicht leichte Staatsopern-Saison.

Heiner Müllers Text ist etwas pornographisch, aber nicht zu sehr, und erstaunlich kurzweilig. Parolen wie „Tugend ist eine Infektionskrankheit“ stören nicht sonderlich. Barbara Hanicka baut dazu einen in Schieflage geratenen, kuglig runden und betongrauen Atombunker, dessen Inneres eine beinah großbürgerliche Weite aufweist. Krähen fliegen auf, pikante Fotos senken sich herab, oben schwebt ein Oculus. Die Farben beschränken sich auf schmutziges Grau. Die Stimmung ist schlecht. Laut Textbuch haben die Marquise (Mojca Erdmann) und der Vicomte (Thomas Oliemans) gerade den dritten Weltkrieg überlebt. Barbara Wysocka bringt das Kunststück fertig, diesem Endzeitspiel eine schnörkellose und poetische Deutung zu verpassen, die Heiner Müllers Text den Vortritt lässt.
Die Marquise trägt weißes Trägerkleidchen, der Vicomte schwarze Anzughose und weißes Hemd oder Rüschenrock (Kostüme: Julia Kornacka) – zwei Typen, die dafür, dass der Ofen lange aus ist, ziemlich cool über Lust und Liebe diskutieren. Wysocka verzichtet auf Rammelszenen, eine Tänzerin (Francesca Ciaffoni) darf Bein und Brust zeigen, die Berliner Inszenierung aber ist kurz, illusionslos, wortwitzig – und wohl auch weniger nihilistisch als die Mailänder Uraufführung. So was passt dann irgendwie auch in den Berliner Corona-Herbst. Dazu hat Mojca Erdmann für Francesconis Oper das perfekte Sopran-Eisen im Feuer, und Thomas Oliemans glänzt mit streitbarem Bariton. Den muss man sich merken. Beide spielen hingebungsvoll. Dazu agiert die auf Kammerorchester-Größe geschrumpfte Staatskapelle unter Barenboim. Es klingt gut. Die öden Zuspielungen kommen vom berühmten Pariser IRCAM, darunter kurze Chor-Passagen.
Aber die Hauptsache ist doch: Luca Francesconis Musik hat Pfeffer unterm Hintern. Von den an den großen Berliner Bühnen gezeigten zeitgenössischen Opern der vergangenen zwei, drei Jahre zählt Quartett zu den gelungensten.
Wenn nur nicht die Krux mit Corona wär. Der Saal ist voller als im September, das Parkett stellenweise halb gefüllt. Dafür aber gilt Maskenpflicht vom ersten bis zum letzten Ton. Schwierig. Sehr schwierig.
Weitere Kritik zur Premiere „Quartett“ an der Staatsoper: Kalte Boshaftigkeit (Peter Uehling), „Nihilistisches Urgrunzen“ (Albrecht Selge) Gähnkrampfige Inszenierung (Andre Sokolowski), Öder Modernismus-Zweier (Manuel Brug), „Saison-Eröffnungspremiere an der Berliner Staatsoper“ (Peter Pachl)
Das hört sich aber sehr interessant an!
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Ah, klingt nicht schlecht. Ich werde zur 2. Aufführung am 8.10. gehen. Die zeitgenössischen Premieren der Staatsoper in den vergangenen Jahren (UA von „Violetter Schnee“ und dann diese Babylon-Chose) fand ich recht durchwachsen.
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Bei Vio. Schnee war das Textbuch auch behämmert, die Musik nicht mal. Bei Francesconi (den ich vorher nicht mal dem Namen nach kannte) hat der Heiner Müller Klasse und ist auch nicht schlechter gealtert als andere 80er-Texte. Bin gespannt wie Sie das sehen. Der Treichel-Text zu Oceane hatte so einen gewissen Muff, trotz gewissen Charms, wobei ich Oceane nochmal im Corona-Stream der DOB nachgehört habe und sie sich viel vorteilhafter anhörte als zur Premiere. Ist schwierig mit Libretti… Ich schätzte auch die Nietzsche-Texte von Rihms Dionysos, das ist dann schon per se eine Qualität, die in die Musik ausstrahlt, aber man muss sich einlassen. Heart Chamber? Musik und Text waren nicht schlecht, aber irgendwie auch ziemlich mittelprächtig. Immerhin hat die Staatsoper nicht eine vermeidbare UA gemacht, sondern eine verdienstvolle Berliner EA. Nächste Saison soll es dem Vernehmen nach einen Saul von Rihm an der SO (UA) geben – falls Rihm fertig wird. Ich tipp mal, dass Rihm eine bunte Collage aus dem Alten Testament zusammenbastelt.
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Muss ich auch noch hin. Bruggie fand es mal wieder abscheulich wie alles was Barenboim macht
https://brugsklassiker.de/karger-berliner-opernauftakt-eine-solonummer-fuer-dagmar-manzel-und-ein-oeder-modernismus-zweier-an-der-lindenoper/
Wahrscheinlich musste er wieder im 2 Rang sitzen wie letztens und dann gefällt ihm automatisch gar nichts mehr
Hanssen im TSP blass Hat es ihm nun gefallen oder nicht?
https://www.tagesspiegel.de/kultur/erste-saisonpremiere-der-staatsoper-die-visionen-der-marquise-von-m-/26242106.html
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Dafür schreibt Herr Brug unterhaltsam. Wäre ja schrecklich, wenn alle in Berlin einer Meinung wären. Hanssen hält von Barenboim ja auch wenig, frag mich immer aufs Neue, warum er da noch hingeht, der Tagesspiegel hat ja etwas Personal. Lustig auch Göbel in seinen schnuffigen RBB-Rezensionen, wo er die Orchesterkonzerte in der Philharmonie immer solala findet, egal ob Philharmoniker oder RSB, aber kaum geht es in den Nikolaisaal oder kommen Spezial-Ensembles, flippt er aus.
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Lohengrin wird natürlich abgesagt. Haben sich sowieso schon alle gewundert, warum Barenboim Francesconi macht und Lohengrin Pintscher überlässt. Als ob er was geahnt hätte. Frosch im Januar müsste eigentlich stattfinden — Chor nur aus dem oFF.
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Leipzig macht Lohengrin ohne Pause, mit Chor
https://www.oper-leipzig.de/de/programm/lohengrin-gekurzte-fassung/92848
Kostet dann auch nur max. 67
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Hätte gut mit der Wiederaufnahme vom Herheim-Lohengrin leben können. Der Vergleich zwischen Ring an der DO und frischem Jugendwerk an der SO wäre lehrreich gewesen. Ist eine Schande, was alles weggeschmissen wird.
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sorry
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Wahnsinn, wollte Rattle Mozart MCO im November buchen, ohne jede Chance. Ist ja auch krass dass im großen Saal K und G gleich kosten. G rechts Reihe 1 mittig sind richtig gute Plätze, bei K hast du verschissen wenns nicht 100 Mann und mehr auf der Bühen sind
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Ach ja, der Rattle mit den Mozart-Symphonien. Hätte mich auch interessiert. Es gibt noch Andsnes mit Mahler Chamber Orchestra, Mozart-Klavierkonzerte, nicht grad mein Fall, skandinavische Pianisten sind nicht meins… Bin gespannt, wann die erste post-Corona Brucknersinfonie gewagt wird. Sehe gerade, dass die DO eine weitere Gala wagt, mit Groissböck, Radwanowski, Stroppa. Könnte man mal rein. Es ist erschreckend, aber ich bin grad nicht für abendfüllende Oper und große Symphonik zu haben, war heute dabei, Orfeo zu buchen, dann nach viel Überlegung im letzten Moment den Bestellvorgang abgebrochen.
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Immer dasselbe. Die Frage ist : gibt es noch was schönes (oder sinnvolles)außerhalb ?
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la speme d’amore bisogno non ha
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ABER, es ist doch ganz sicher, dass solche Musik ohne Gefühl niemals einen Einfluß habewn wird.
Schön wärs.
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