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Schlimmer als ein Lockdown im Dezember wäre nur ein Lockdown, der gar nicht mehr aufhört. Bye-bye Lohengrin-Premiere mit Yoncheva, adiós Wiederaufnahme Tannhäuser mit Groissböck und Schager, пока́! Jeketerina-Sementschuk-Liederabend im Boulezsaal.
Anders als im Frühjahr höre ich nun auch in Livestreams rein. Das geht dann so: Stream aufnehmen und spät abends als mp3 anhören. Rein optisch sind die Corona-Streams kein Genuss. Sicherheitsabstände und leere Säle, wohin das Livestream-Auge guckt.
Sonntag, 15. 11., 20 Uhr, Staatsoper. Die Staatskapelle Berlin spielt Beethoven, 4. Klavierkonzert, 3. Sinfonie. Von der Eroica spare ich mir das meiste. Ich habe sie im Januar und September schon gehört. Bei Opus 58 dirigiert Barenboim, András Schiff sitzt am Flügel. Schiff eröffnet die Berliner Livestream-Lese mit Hang zum Genießerisch-Spielerischen. Farbenreich funkelt der Anschlag, leuchtend setzt sich das Piano in Szene, ohne jede Härte der Diskant. Verspielt auch Temporückungen und Figurationen, Nobles und Lyrisches stehen direkt nebeneinander. Das funktioniert souverän, verführerisch beiläufig, locker, ohne dass auf den gebotenen Beethovn-Ernst verzichtet werden muss. Keine Phrase, die nicht gestaltet, spezifisch „angefasst“ wäre. Ist halt schon erstaunlich, wie hoch das technische Niveau im Kreis der Pianisten-Spitzenklasse ist.
Der RSB-Livestream mit Manacorda und Brahms – ich glaube aus dem Rundfunkhaus an der Masurenallee – war von Youtube schon wieder runter, als ich ihn mir endlich anhören wollte. Dann also weiter mit dem DSO.
Samstag, 21. 11., 20 Uhr, Philharmonie. Wo Ticciati ein Programm mit Schlag zusammenstellt. Rachmaninow Toteninsel, Wagner Götterdämmerung – ihr Völker, hört die sinistren Signale. Aber tönen tut es dann ganz anders. Die Götterdämmerung-Auszüge klingen wunderschön dunstfrei, klangkontur-bewusst, perfekt abgemischt. Los geht’s mit dem Schicksalmotiv der Posaunen bei Tagesgrauen im Vorspiel, und was dann kommt, ist für extra-feine Ohren bestimmt. Die Solisten haben zwingende Auftritte. Eine Prise böhmische Wälder und Felder weht hinein. Der Ticciati-Stil: ein Tutti ohne jede Düsternis.

Hier klingt Wagner einmal nicht als gewalttätiger Rhetor und düsterer Metaphysiker. Da tönt Noblesse, die Wagner eben auch auszeichnet. Das Orchester spielt auch die Toteninsel tadellos. Das Stück ist eigentlich ein Hort spätromantisch sublimierter Schwermut. Das DSO taucht es in linienleichte Eleganz. Ticciati outet sich eben doch als Meister der millimetergenauen Ton-Mischungen, der superexakten Entwicklungsbögen – und eines Klangs aus Farbe und Licht. Stichwort Licht. Zwischen Toteninsel und Wanger passt noch die bildungsbürgerliche Flimmer-Studie Ionisches Licht von Klaus Lang. Ganz nett kommt das Lichtkonzept im Weinberg-Saal der Philharmonie daher. Brauch ich zwar nicht zwingend, hat aber was.
Sonntag, 22. 11., 19 Uhr, Neue Synagoge. Beim Abschlusskonzert der Internationalen Tage Jüdischer Musik an der Oranienburger Straße ist der Saal kleiner, der Ton trockener. Aber nach kurzem Hoppla!-Effekt höre ich prima, wenn David Geringas und Jascha Nemtsov Kammermusik für Cello und Klavier spielen. Hier geht es um jüdisch-europäische Interferenzen, um unbezähmbare Neugier auf Kleinmeister und Kulturlandschaften. Vorne weg aber spielt man einen Klassiker, Bruchs unverwüstliches Kol Nidrei. Dann lassen die Musiker feinste Repertoire-Rara glänzen. Von Grigori Klein, dem Glière- und Reger-Schüler, höre ich zum ersten Mal. Von ihm erklingt das jüdisch-volksmusik-inspirierte, ganz intim verspielte Poeme op. 41. Auch Anatolijus Šenderovas kannte ich nicht. Dessen spätzeitlich-nachmodernen Drei Stücke für Violoncello solo spendiert Geringas souveränen Schwung und subtile Leidenschaft.

Ganz ohne folkloristischen Einschlag kommt Walter Braunfels‘ nachgelassener Sonatensatz aus. Kargheit, fesselnde Spätromantik, von sparsamer Melodik getragen, zeichnen das Stück aus. Braunfels gefällt mir am besten. Der Abend ist zugleich eine Reise in eine untergegangene Epoche europäischer Kultur. Braunfels heiratet 1909 eine Tochter des Bildhauers Adolf von Hildebrand. Die kurzweiligen Vier jüdischen Tanzstücke für Klavier solo stammen von Joachim Stutschewsky, der in den 1920ern neben Rudolf Kolisch (Rudi versteht meine Musik wohl am besten, meinte Schönberg) am Pult des Wiener Streichquartetts (das spätere Kolisch Quartett) saß. Jascha Nemtsov hält die Stücke zusammen und gibt ihnen die klingende Mitte. Schlussendlich dann Mieczysław Weinberg. Von ihm, dem Schostakowitsch-Vertrauten, kennt man mittlerweile das Violinkonzert, aber eher nicht Weinbergs großangelegte Sonate Nr. 2 op. 63. Für die setzen sich Geringas und Nemtsov ein.
Hanssen hat auch Geringas gehört
https://www.tagesspiegel.de/kultur/juedische-musik-in-berlin-damit-die-erinnerung-weiterlebt/26640738.html
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Und der Goldberg DSO war auch ganz happy bei Götterdämmerung
https://www.rbb-online.de/rbbkultur/themen/musik/rezensionen/buehne/2020/11/philharmonie-berlin-dso-unter-robin-ticciati.html
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Alagna probt Unter den Linden
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Und erst der Diskant. Warum nicht einfach schreiben : es gefällt mir ? Oder, ich mag es.
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Nicht : Ich Weiß.
was auch immer.
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oder ich hab die Ironie nicht verstanden
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MUSS ich jetzt die neue Musik gutfinden, weil mir andres nicht gegeben ist, oder weil ich
nichts andres kenne ?
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Tolle Rinaldi, wäre ich glücklich drüber wenn so was mal an der DO
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taci, il piangere von vale..
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Parsifal hab‘ ich, entschuldigt mich, nur ein einz’ges Mal im Leben gesehn. Und möcht es nicht wiederholen.
Placido stürmte auf die Bühne, machte jeden nieder, nachdem er davor dafür hormonell gesorgt hatte. Rene Pape gab sein Rollendebüt – und der New Yorker im Aufzug sagte _ I love Papee !
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Der Klassik-Betrieb sonnt sich etwas zu sehr in seiner ach so tollen Bekämpfung des Virus. Deshalb klingt das Jammern über die ach so ungerechten Einschränkungen scheinheilig. Die Liste der Infizierten ist lang. Netrebko, Domingo, Vengerov, Jansen, Grazinte-Tyla, Meli. Das Bolshoi schießt im September wegen mehrere Fälle, die Scala im November. Diese Fälle stellen sicherlich nur die Spitze des Eisbergs dar. Die Zuschauer mögen bei den großen Veranstaltern sicher sein. Aber schon bei Konzerten in kleinerem Rahmen wurde es mit der Maskenpflicht nicht mehr so genau genommen, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann. Für Schlagzeilen gesorgt hat auch der Fall der Madrider Oper, wo im Rang die Zuschauer dicht an dicht saßen und daraufhin einen Abbruch der Vorstellung erzwangen. Der Betrieb hinter der Bühne scheint weniger sicher zu sein. Hinzu kommen die wie eh und je durch die Welt jettenden Starsolisten, die das Virus von Musikmetropole zu Musikmetropole tragen.
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Auf bayerischen Bierfesten oder im Kölner Karneval ist das nicht anders. Wer sich in Gefahr begibt …..
steht in der Bibel.
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Miknevičiūtė singt Elsa.
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