Da ist sie, die übliche Staatsfeiertagspremiere an der Staatsoper, heuer mit Mozart und wie immer mit Barenboim. Es inszeniert der eifrige und solide Vincent Huguet, der binnen zwölf Monaten alle drei Da-Ponte-Opern Unter den Linden auf die Bühne bringen darf. Figaro gab’s als Stream-Premiere im Frühjahr, jetzt folgt die doppelbödige Liebeskomödie Così fan tutte vor 3G-Publikum, zu den Festtagen kommt dann Don Giovanni. Und anders als in der preußisch strengen Philharmonie wird auf dem Platz maskenfrei gesessen und gehört. Herrlich! Huguets Rezept für Mozart lautet: edles Setting, gediegener Plot. Die Inszenierung spielt in bella Napoli.

Napoli, Vesuvio: F-Dur-Quintett 1. Akt / Foto: Matthias Baus

Die Zeit: Flower Power, Ende 60er, Anfang 70er. Huguet setzt das ansehnlich und Buffa-munter um – aber weit entfernt von mitreißend. Irgendwie war die alte, offen slapstickende Dörrie-Produktion auch nicht schlechter. Das Bühnenbild wechselt: hier zwanzig Meter italienischer Stadtstrand (betonierte Kaimauer, vorne paar Felsen, Leitern), dort eine luxuriöse Terrasse mit stylischem Sixties-Mobiliar, hinter der mediterran kubistische Betonarchitektur aufragt (Bühne Aurélie Maestre). Sprich, molto Oberklasse, wo man malinconia („Langeweile“ übersetzen die Übertitel) mehr fürchtet als alles andere und für die Verführungsszene des zweiten Akts auf edel beplankter Jacht in See sticht.

Spannung zwischen Gefühlsernst und Vergnügungsverlangen

Huguet erzählt das ohne allzuviel Entdeckerlust runter (und ohne versteckte Kritik). Hausfreunde und Diener rekrutieren sich aus hüftschwingenden Hippies, die auch mal Penis-nackt auf dem Strandtuch fläzen (Kostüme Clémence Pernoud). Interessierte Besucher in den ersten Reihen bekommen ausgiebig weibliche Brust einer freizügigen Gespielin zu sehen. Der nette Regieeinfall des Schlusses – die Schwestern haben für die eilig anberaumte Hochzeit verkleidenderweise die Identitäten getauscht und verblüffen (und beschämen) damit ihrerseits die Verlobten – wirkt wie auf die Schnelle untergeschoben. Harmlos. Aber eben auch gefällig anzusehen. Und einigermaßen unterhaltsam.

Federica Lombardi, Marina Viotti, Lucio Gallo / Foto: Matthias Baus

Barenboim gibt fast alle Rollen dieser desillusionierenden Verwechslungs-Buffa italienischen Stimmen. Allen voran Federica Lombardi als auf die erotische Offerte der schnurrbärtigen Albaner introvertiert zögernde Fiordiligi (cremigweich leuchtender Sopran, der überzeugender Gefühlsprojektionen fähig ist). Marina Viotti (schwarze Zottelmähne) gibt farbreich und mit aufregendem Mezzo-Temperament die emotional handfestere der beiden Schwestern.

Gyula Orendt (leidenschaftlich und flexibel, viel Wärme im Bariton) und Paolo Fanale (ohne Gefühls-Sfumato, dafür mit vorzüglich festem Tenortimbre) bilden das Liebhaberpaar. Lucio Gallo gibt den Alfonso einmal nicht als schmierig chargierenden Sophisten, sondern mit der noblen Selbstsicherheit (und edlen Bräune) eines Skippers im besten Alter. Gallo ist bestens bei Baritonstimme. Sehr gut. Und was der patenten Despina von Barbara Frittoli an jugendlicher Stimmfrische fehlt, gewinnt sie an deklamatorischer Genauigkeit.

Barenboim: tempogemächlich, beredt

Die Staatskapelle Berlin spannt die endlosen dramaturgischen Bögen der Nummern, Ensembles und Finali. Wie sie das Ensemble über die Wellen von Anspannung und Entspannung trägt, bei Affektausbrüchen mitgeht, präsent ist, wenn die Protagonisten plötzlich innehalten, um der eigenen Gefühle gewahr zu werden, das ist große Opernkunst. Unheimlich beredet klingt das: Die Musiker lassen unter Daniel Barenboim immer auch hören, worum es in der drittletzten Oper Mozarts geht. Da ist der Bezug zum Bühnengeschehen mit seiner unauflösbaren Spannung zwischen Gefühlsernst und Vergnügungsverlangen stets fühlbar, ohne dass sich die Musik in diesem Bezug erschöpfte. Barenboim macht das tempogemächlich, treibt aber auch zu hitzigem Buffo-Tempo an, um Ensembleschlüsse turbulent herauszubringen.

Das Publikum taut erst nach der Pause auf. Kein Applaus für die Così-Ouvertüre, kein Applaus für Fiordiligis flammende Treuebekundung Come scoglio. Die Premiere war nicht ausverkauft, vermutlich einer noch nicht gewichenen Corona-Skepsis geschuldet. Die Publikumsreaktion am Schluss: als Kritik ein paar Buhs für das Regieteam, aber auch Beifall. Viel Beifall für Sänger und Musiker.


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