Vormittags pfeifen es die Berliner Spatzen von den Dächern. Barenboim wird sein Amt als Generalmusikdirektor Unter den Linden zu Ende des Monats abgeben. Acht Stunden später umschwebt das Philharmonikerkonzert eine hochspezielle Abschiedsaura.

Sonderbarerweise entbehrt der Abend jeder programmatischen Überraschung. A-Moll-Konzert und D-Dur-Sinfonie in selber Besetzung, nur mit der Staatskapelle, waren Unter den Linden vor noch gar nicht langer Zeit zu hören. Erschien das anfänglich programmierte Klavierkonzert von Tschaikowsky plötzlich zu fordernd?

Also das Schumannkonzert a-Moll, das so warm impulsiv durchpulst in den Saal getragen wird wie sonst kaum. Martha Argerich spielt Rubato, wohin das Ohr hört. Ist überhaupt irgendwo nicht Rubato? Die Berliner Philharmoniker schwelgen in durchsichtigem Zartklang, klingen wie nach tiefem Atemholen. Argerich gestattet sich Überraschungen, die nur sie kann, Ausbrüche zwischen hitzig und herrisch. Deren Passagenwerk nicht mehr ganz geschmeidig, mithin auch mal eckig schallen darf. Dieser Schumann schwingt weit aus, unnachahmlich deutsch-jüdisch-argentinisch angereichert mit Tiefe und komplexem Lyrismus.

Das Andante badet in nahbare Intimität. Im Mittelteil singen Celli und Bratschen weichpfotig. Das ist ein Erlebnis. Argerich entdeckt im Finale eine bis zum Heiter-Burschikosen ausgelassene Virtuosität, die sich nichts mehr zu beweisen braucht, unter rein technischnem Aspekt aber eher nichts für die Abschlussprüfung an der Hanns Eisler wäre.

Die Einundachtzigjährige und der Achtzigjährige spielen als Zugabe aus Bizets Kinderstücken.

Dann der Brahms.

Der erste Satz der Zweiten von Brahms segelt in sommerfrischiger Wörthersee-Freundlichkeit vorbei. Nicht gut, immer etwas pauschal. Das Adagio ist um Vieles und ganz erstaunlich besser. Wo sich ein stockendes Legato an der Melodielinie entlangwindet, wo Piano-Einfälle voll der seltsamsten Bedeutung vorüberschweben, Themenwiederholungen in mühevollen Aufstiegen begriffen sind, da scheint hinter aller prachtvollen Gelassenheit, bei auffällig ausgedünntem Klang, etwas anderes auf, etwas, wo mehr Fragen gestellt werden.

Das Finale nimmt Daniel Barenboim doch, bei aller Kunst der abgeschliffenen Ecken, zu wörtlich, womöglich leitet hier nicht (mehr) Barenboim, sondern Barenboim wird (dezent) vom Orchester geleitet. Das Schumannfinale wirkte zwingender, das Brahmsfinale lässt dieses tpyisch barenboimsche rhapsodische Espressivo vermissen.

Ich wollte zuerst nicht in die Philharmonie, habe aber nach dem Eindruck vom Rücktritt Barenboims die Übertragung auf Deutschlandfunk gehört.


Weitere Berliner-Philharmoniker-Kritik zu Barenboim/Argerich: Radiokritik auf Kulturradio, Andreas Göbel), „Eine Ära geht zu Ende“ (Eleonore Büning, Bericht im Tagesspiegel)