Jetzt leitet Andris Nelsons die Achte. Es ist ein getrübtes Vergnügen.
Auch wenn die Berliner Philharmoniker Streicher aufbieten, die mit weicher Delikatesse ganz entspannt gelöst spielen. Es will was heißen, wenn im ersten Satz die Durchführung nicht pathetisch, sondern in wunderlicher Sattheit losgeht. Dazu tönen die Einwürfe der Bläser gelockert bis zum Anekdotischen. Nelsons, der lettische Dirigent, will uns sagen: Diese Einwürfe sind keine trockenen Motivabspaltungen, sondern lebensvolle Gesten aus dem Herzens-Hier und Jetzt.
Das dritte Thema schmettert. Der Klang ist weich, das Stimmengewebe stretchy wie gepolstertes Spaghetti-Top. Doch hat man die Sinfonie Nr. 8 selten so souverän, so aus einem gelungenen Augenblick heraus gespielt gehört.
Besser gelingt das 1944 in New York uraufgeführte Klavierkonzert von Schönberg.
Unter Andris Nelsons spielen die Philharmoniker dieses viersätzige, in seiner ganzen Spätwerkschwierigkeit heikle Werk gelassen, souverän, ungezwungen. So hätte man das gerne immer.
Es gibt wenige Aufnahmen des Schönbergkonzerts. Sämtliche nach 1970 klingen dünn. Die spannenden, von vor 1970, stammen entweder von Glenn Gould oder von Eduard Steuermann.
Nelsons und Uchida waren heute zwar gefühlt nur halb so schnell, wie Steuermann damals war. Aber so kann der geliebte, ja verehrte 1940er-Schönberg eben auch klingen: feinfühlig spannungsvoll, geschmeidig, symphonisch ernst und vergnüglich farbreich. Mitsuko Uchida findet sich in die verzwickte Faktur, indem sie hier individuell versonnen Zwölftonlinien zieht, da expressiver Gestik frönt. Und mit den zwölftausend Schattierungen des Streicherklangs kommuniziert. Ein fabelhaft lässiger Schönberg wird da gespielt, herrlich unaufgeregt und gar nicht schnöde Klang-ausgedünnt.
Berliner Pult mit Brucknerpartitur
Vor rund zehn Jahren kombinierte Barenboim bei der Staatskapelle Vokales von Schönberg mit Bruckner, es sangen Katharina Kammerloher, Christine Schäfer, Thomas Quasthoff. Schönberg und Bruckner passen auch heute gut.
Bei der Siebten, die es zu oft zu hören gibt, entsteht unter Andris Nelsons gelassene Weitläufigkeit. Die freilich durch eine charakteristische Schwere von Klang und Duktus angereichert, aufgeladen, eingefärbt und erweitert wird. Der Lette hat nichts übrig für Phrasierungsfinessen (die bei Thielemann nerven können). Bei ihm sind die Musiker kenntnisreiche Sachwalter, keine hohen Klassikpriester. Dafür haben die Philharmoniker heute Zeit für souveränes Laufenlassen, gestatten sich das Entfalten großer Bögen, am eindrucksvollsten auch bei den Celli-Einsätzen von Thema 2 der Durchführung. Der Repriseneinsatz wirkt beiläufig, wie eine Modulation unter vielen – es passiert halt. Beinahe Understatement hört man auch aus dem verhaltenen dreifachen Forte heraus – das sind keine Zufälligkeiten, sondern bedeutende Merkmale eines stellenweise doch großen Brucknerabends.
Der Berliner Musikdezember ist bei weitem besser als das Berliner Dezemberwetter.
Stéphane Denève dirigiert beim DSO Elgar, Roussel und Ravel, und bei Elgars Cellokonzert sitzt der junge Brite Sheku Kanneh-Mason am Instrument. Da StephaneDenève wie ein hartgesottener EU-Brexit-Unterhändler gegen jede Art von aus der Zeit gefallenem Viktorianismus zu Felde zieht, erklingt Elgars Altersmeisterwerk mit einer leicht nüchternen Note. Die viersätzig-suitenhafte, von zusätzlichen Rezitativ-Introduktionen bereicherte und zugleich von Satzungleichgewichten belastete Form fasziniert mich auch heute. Weitere Interpretationstendenzen: Solist und Orchester drängeln in den raschen Sätzen (Scherzo im 4/4-Takt und Finale). Dafür lässt Sheku Kanneh-Mason das Cello in den beiden Adagio-Sätzen gefühlvoll singen.
Kommen die Konzertorchester besser durch die Krise? In der nicht endenwollenden Lockdown-Misere wirken sie agiler als die Opern mit ihren Hunderten von Mitarbeitern. Auch wenn die Staatsoper gerade den Lohengrin gestemmt hat und die Komische Oper ein kleines, feines Weihnachts-Stream-Festival auflegt.
Umtriebiger sind dennoch die Orchester. Das DSO startet dieser Tage sein Konzertfilm-Projekt. Das RSB kredenzt am 23. sein Weihnachtskonzert mit Bach, Bartholdy, Williams. Am preußischsten machen es mal wieder die Philharmoniker. Die machen eisern Corona-Dienst nach Vorschrift. Immer samstags, 19 Uhr, öffnet die hauseigene Concert Hall fürs Bezahlpublikum. Glücklich ist, wem die Deutsche Bank so was sponsort. Das 24-Stunden-Ticket kostet 9,90, das 30-Tage-Ticket 19,90. Eines gilt aber für alle Konzerte: Die Programme werden munter immer wieder neu zusammengestellt. Es lebe die Spontaneität jenseits des Zwangs von Abonnement oder Vorverkauf.
Ich will das erste Mal seit langem wieder Digital Concert Hall hören, weil ich schon 2 Tristans hinter mir habe und gestern Buchbinder in der Komischen Oper dran war Weiterlesen →
Der neue Nelsons ist gefunden. Bayreuth kann durchatmen. Der Dirigent der Bayreuther Neuproduktion des Parsifal heißt Hartmut Haenchen. Das teilen die Bayreuther Festspiele in einer Presseerklärung mit. Der aus Dresden stammende Haenchen, Jahrgang 1943, gilt als erfahrener Wagnerdirigent. Er leitete Wagneropern u.a. an der Pariser Opéra de Bastille, an der Nationale Opera, Amsterdam, am Teatro Real, Madrid, an der Opéra de Lyon sowie am Royal Opera House of London. In Bayreuth wird er mit Parsifal nun sein Dirigierdebüt geben.
Für die Premiere war ursprünglich Andris Nelsons vorgesehen. Nelsons hatte Ende Juni um die Aufhebung des Vertrages für dieses Jahr gebeten. Gerüchten zufolge ist es zu Unstimmigkeiten zwischen Nelsons und dem Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, Christian Thielemann, gekommen.
Die Bayreuther Festspiele 2016 haben ein Problem. Andris Nelsons wird nicht die diesjährigen Parsifal-Aufführungen in Bayreuth dirigieren. Grund hierfür sind dem Anschein nach Differenzen mit Christian Thielemann. So soll Thielemann den lettischen Dirigenten während der Proben zu Parsifal mit unangebrachten Ratschlägen überhäuft haben. Thielemann ist Musikdirektor der Bayreuther Festspiele. Die Premiere von Parsifal soll am 25. Juli stattfinden. Regie führt Uwe Eric Laufenburg. Klaus Florian Vogt singt Parsifal, Elena Pankratova Kundry.
Die ersten Takte Parsifalvorspiel rufen Karajan-Gefühl hervor (1984, Peter Hoffmann).
Parsifal ist ja Glaubensfrage. Nicht nur wegen des Grals, sondern wegen des Tempos. Aber es gibt neben der Tempofrage (Nelsons ist da vom langsamen Volk, aber Knappertsbuschs Trödeln bleibt unangefochten) auch eine Religionsfrage.
Es zieht sich. Unerwarteterweise steht der Nachfolger für Berliner-Philharmoniker-Chef Simon Rattle um 21.06 Uhr immer noch nicht fest.
Die Bekanntgabe des Nachfolgers für Simon Rattle war im Laufe des Tages immer wieder verschoben worden. Zuletzt sollte das Wahlergebnisses um 19.30 Uhr bekannt gegeben werden. Zuvor ließen die Philharmoniker weitere angekündigte Termine für die Bekanntgabe um 14 Uhr, um 16 Uhr, um 18:30 Uhr und um 19.30 Uhr verstreichen. Im Laufe des Spätnachmittages gab es erste Gerüchte, dass der lettische Dirigent Andris Nelsons gewonnen habe. Unter andrem twitterte der Account von Sarah Willis, Hornistin der Philharmoniker, dass „Nelsons did it.“ Kurze Zeit später dementierten die Philharmoniker eine Einigung („disregard rumours“). Kurz nach 19 Uhr twitterten Alban Gerhardt und Lang Lang Gratulationen an Nelsons. Gerhardt dementierte kurze Zeit später. Lang Lang und Willis löschten ihre diesbezüglichen Posts. Willis‘ Account war wohl Opfer einer Hacker-Attacke geworden.
Keep you posted? Papperlapapp.
Kein Wunder, dass es die ersten Falschmeldungen gab. Weiterlesen →
Andris Nelsons wird 2014 Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra. Zu den Kandidaten zählten ebenso Stéphane Denève, Riccardo Chailly und Wladimir Jurowski. Zuletzt waren wohl nur noch Nelsons und Daniele Gatti im Rennen. Gatti leitet das Orchestre National de France und das Zürcher Opernhaus. Wie einige Medien berichten, hatte das Bostoner Orchester schon konkret bei Gatti anfragen lassen. Das BSO wurde zuvor von James Levine geleitet, der wegen Gesundheitsproblemen im September 2011 von der Leitung zurücktrat. Nelsons‘ Vertrag wird fünf Jahre laufen.
Die Angelegenheit besitzt Berliner Relevanz. Es ist unwahrscheinlich, dass Nelsons Vertragsunterzeichnung das Aus des Letten aus dem Rennen um die Nachfolge Simon Rattles bedeutet. Simons Sessel ist ab 2018/19 vakant. Nelsons ist ab 2019/20 frei. Für Nelsons wird es kein Problem darstellen, während einer Spielzeit zwei renommierte Orchester zu leiten – oder um eine vorzeitige Auflösung des Vertrags mit dem Boston Symphony Orchestra bitten.