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Die ersten Takte Parsifalvorspiel rufen Karajan-Gefühl hervor (1984, Peter Hoffmann).
Parsifal ist ja Glaubensfrage. Nicht nur wegen des Grals, sondern wegen des Tempos. Aber es gibt neben der Tempofrage (Nelsons ist da vom langsamen Volk, aber Knappertsbuschs Trödeln bleibt unangefochten) auch eine Religionsfrage.
Nelsons interessiert der Gral nicht die Bohne.
Nelsons tickt anders, will nur Musik machen, und zwar auf eine tief befriedigende Art. Harten Wagneristas bereitet das Akzeptanzprobleme. Das ist an diesem Samstagabend ein Karfreitagszauber, wie man ihn nie in der Oper hören wird. Jamais. So detailversessen, so prozessverschleppend, so mit lettischer Gründlichkeit zerfasert. Diese phantastisch ausdetaillierten Streicherschlenker legen nahe, dass Gurnemanz nicht anders als nach durchzechter Nacht mit planlosem Katerblick auf seine „grüne Au“ blickt. Aber wo Albrecht Mayer Oboe spielt, da braucht es eigentlich auch keinen Gurnemanz. Herrje. Das klingt wie Disneyland. Aber das hat alles Berechtigung. Gab’s das Karfreitagsmotiv schon mal so seraphisch beseelt?
Auch das atmende Geschiebe von Holzbläsern und Streicherfäden lebt, genau dann, wenn auf der Bühne Gurnemanz sein „Du siehst, das ist nicht so“ singt. Kann man, muss man hier sagen: Ist das Kitsch? Echter Nelsons’scher Kitsch? Ja, Wagners Architektur schmilzt wie Eiscreme in der Sonne. Linie als Selbstwert? Jamais. Hin- und hergerissen zwischen Stirnrunzeln und Faszination, scheint mir Nelsons Wagner schlussendlich doch sehr hörenswert zu sein. Nelsons säkularisiert Parsifal. Das haut im Karfreitagszauber besser hin als im Vorspiel zum ersten Akt, das mehr vom Stallgeruch der christlich-mystischen Sphäre zehrt. Aber ich bleibe dabei. Der Karfreitagszauber ist sozusagen in Musik übertragene, Finessen- und Schönheits-gespickte Crème fraîche.
Nelsons dirigiert Wagner mit Partitur, akkurat umblätternd.
Bruckner Sinfonie Nr.3.
Wenn Nelsons auf musikalischem Gebiet etwas liebt, so die Schinken, die Schwarten. Strauss, Schostakowitsch, Alpensinfonie, Heldenleben etc. Es passt schon, dass Nelsons gerne in Bayreuth dirigiert.
Nelsons bespielt die Dritte wie erwartet scharf fordernd.
Der Sinn des lettischen Dirigenten für Lebendigkeit sorgt eben auch immer für Hochleistung jenseits von Bruckner-Erwartungen. Wunderbar der blühende Verlauf des zweiten (kantablen) Themas im Kopfsatz. Auch wenn knallige Tempowechsel, ruppige Überleitungspartien und auch das hart angefasste dritte Thema in Satz 1 oft hart am Effektvollen vorbeischrammen, entsteht meist großes, beeindruckendes Orchester-Al-fresco.
Wunderschön der Einstieg in die Durchführung: ungeduldig, kein misterioso. Die Scheinreprise atmet effektvollen Glanz aus (ebenso übrigens der Höhepunkt im Adagio). Andris Nelsons scheint mir Bruckners Dynamismus noch zu vordergründig zu sehen. Aber in der Reprise dürfen sich die Streicher dann des zweiten Themas unnachahmlich weichatmig annehmen. Der kraftvolle Schluss des Satzes verrät das Tannhäuser-Gen, das in Bruckners früher Sinfonik sitzt. Andris Nelsons ist ein Anwalt des Brausenden, des Jungen in Bruckner.
Höhepunkt dürfte das Adagio sein, vor allem wegen der formidablen Geigen, die in einer Stimme mehrere Timbres zulassen. Überhaupt schienen mir die Streicher bei Nelsons‘ vergangenen Konzerten nicht so frei und flüssig zu fließen wie heute. Noten werden locker ausgefüllt, bleiben frei beweglich. Das riecht mehr nach Yoga als nach Krafttraining, auch wenn Nelsons am Pult das Gegenteil suggeriert. Die Streicher-Pizzicati sind für mich der Inbegriff des „Nelson-Tempos“. Das klingt, als würde der Komponist dirigieren.
Es gibt kaum etwas, das weniger geeignet wär für ein Sinfoniekonzert als das Vorspiel zum ersten Akt. Es machte ja durchaus einen gewissen Sinn, dass der Wagner-Clan bei aller sonstigen geistigen Beschränktheit, die bei diesen Herren und Damen geherrscht hat, den Parsifal erstmal nur für Bayreuth haben wollte. Aber die Orchester wollen das halt auch mal spielen. IMNSHO ist das Vorspiel in jedem Stadttheater besser aufgehoben als im Konzertsaal und sei es die Philharmonie.
Ansonsten macht Nelsons wie immer viel Spaß, zB wenn erden Taktstock von der Linken in die Rechten wechselt, weil er mit der Rechten eine melodischen Gedanken illustrieren will. Und stimmt ja schon, warum soll das BPO wie Thielemann in Wien oder Barenboim mit der Staatskapelle klingen? Insgesmat war mir das Programm zu wagnerlastig, ist doch alles dieser gleiche spätromantische Quatsch ( Ich war am Freitag drin.). Ist doch intelligenter Bruckner 7 mit Boulez zu kombinieren, wie Rattle
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Da stimme ich zu. Auch die Ouvertüre zu Mozartopern hört man lieber in Cottbus auf der Bühne als mit den Philharmonikern. Was eigentlich für jede echte Theatermusik gilt. Trotzdem ist es natürlich interessant zu hören, wie Karajan oder Toscanini das einmal gespielt haben und sei es auf dem Podium. Bruckner und Boulez ist natürlich unschlagbar. Rattle hat für so was ein Händchen, insbesondere beim Mahlerzyklus, Tallis + Mahler 8., Lachenmann Tableau + Mahler 9, Überlebender + Mahler 2.
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Knappertsbusch hab ich natürlich wieder nicht im Ohr gehabt. Barenboim schon und Sie haben natürlich recht. Ich hätte doch eine Stoppuhr mitnehmen sollen.
Schön, was Sie dem Bruckner abgewinnen konnten. Das nächste Nelsonskonzert hör ich mir mit geschlossenen Augen an.
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Na, ich finde Nelsons schon auch optisch-dirigentisch sehr interessant. Er erreicht mit seinem Gewurschtel immerhin was, wenn das von Nelsons vermutlich auch des Öfteren ergebnisoffen konzipiert sein dürfte. Ist gut, über die Flötenkringel kann man streiten. Aber sein Tänzchen beim Bruckner-Trio spiegelte sich doch hörbar in der Musik wieder, wie ich fand. Von dieser rustikalen und zugleich lieblichen Impulsivität hört man bei Mehta und Thielemann absolut nichts. Aber insgesamt war das auch nicht mein Lieblings-Bruckner. Obwohl, jetzt 1,5 Tage später finde ich rückblichend alles, was langsam war, also die ganzen zweiten Themen und das Trio schon sehr, sehr gut.
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Pingback: 27.4.2016 – Atemlos blühend: Andris Nelsons mit Wagner und Bruckner bei den Berliner Philharmonikern – hundert11 – Konzertgänger in Berlin
Nelsons? Nein danke. Ich ziehe andere Dirigenten vor, die verstehen was Bruckner wollte und das entsprechend umsetzen auch mit den Musikern. Die Musiker wissen gar nicht was sie tun sollen wenn Herr Nelsons ihnen seine „Anweisungen“ gibt
Nicht umsonst wurde der Mann nicht gewählt.
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Ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen. Das ist doch alles Mumpitz… „andere Dirigenten“
Dann sagen Sie doch wenn Sie für „geeignet“ halten.
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Großartiges Konzert
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