Es ist Liederabend! Im mit Laaser Marmor ausgelegten Apollosaal Unter den Linden, wo 36 Säulen Gebälk und Galerie tragen, verlebte einst Adolph Menzel gewiss manche Opernpause skizzierend, und heute singt dort Katharina Kammerloher, begleitet von Eric Schneider, vor der Pause Mahler, nach der Pause Wolf.
Im Marmor-kühlen Säulenrund des Apollosaals singt Katharina Kammerloher Brahms. Nur Brahms, was ausgezeichnet ist, denn es ist ein energisch zusammengestellter Liederabend. Vor der Pause erklingen Lieder und Gesänge von Liebe und Glück, nach der Pause trübt sich die Stimmung ein bis hin zu düsterer Hoffnungslosigkeit.
Immer wieder geht es Katharina Kammerloher um die Spannung zwischen Volkston und Kunstlied. Bleiben wir bei den Volksliedern. Äußere Schlichtheit und innerer Elan kennzeichnet Die Schwälble ziehet fort. Das Lied besteht aus zwei kurzen Strophen. Der Text ist anonym, der Ton auswegloser Verzweiflung umso direkter: Es isch a böse, schwere Zeit. Brahms schrieb auch „Volkslieder“, die stärker ihren Kunstliedcharakter durchfühlen lassen. Eines, In stiller Nacht, lässt die kunstvoll schmucklosen Melodielinien unentwegt auf- und absteigen. Kammerloher singt die Emotion verhalten und aufregend zugleich.
Wie bist du meine Königin aus Brahms‘ op. 32 taucht das langjährige Ensemblemitglied der Staatsoper in dunkle Farben, trägt in jedem Moment innig intensiv vor. Dieses Lied kann ja so leicht misslingen. Man kann es ohne Gefühl singen oder mit zu viel. Im zweiten Fall droht altbackene Schwärmerei, die Gespreiztheit des Texts macht dann alles noch schlimmer. Ähnlich packend gelingt Wie rafft‘ ich mich auf (nach Platen). Es ist Wanderlied und Nachtgesang zugleich. Aus den Farben schmerzgequälter Resignation macht die Mezzosopranistin ein großbogig pochendes Ausdruckswagnis.
Lise Davidsens Recital im Großen Saal der Staatsoper folgt im zweiten Teil beliebten Lieder-Bahnen (Strauss op. 27, Wesendonck). Doch im ersten Teil singt die junge Sopranistin von Edvard Grieg, dem hierzulande Seltengehörten, die Sechs Lieder op. 48 nach Texten deutscher Dichter sowie den Zyklus Haugtussa op. 67.
Doris Soffel singt in der Deutschen Oper Strauss, Sibelius, Weill. Und zum Einsingen zwei Wunderhornlieder Mahlers. Soffel hörte ich vor der Pandemie als Oceane, Chrysotemis und Fricka, stets stellte sie Charaktere auf die Bühne. Da war plausible Rollenintensität, die auf eindringlicher Deklamation, dramatischer Färbung und stimmlichem Gewicht fußte. Im Pausenfoyer der Deutschen Oper ist am heutigen Abend um zehn vor zehn Schluss. Da hat Doris Soffel schon einmal die Garderobe gewechselt, drei Zugaben gesungen und schlussendlich sechs Komponisten programmiert.
Zu Beginn, in Mahlers neckischem Rheinlegendchen, hängt noch Flugrost in der Kehle der Mezzosopranistin. Als dann Lob des Leidens dran ist, die Nummer drei aus Strauss‘ eher unbekanntem Opus 15, in dem, für Strauss ungewöhnlich genug, viel von Gram und Qual die Rede ist, wölben sich die Bögen, der Ausdruck ist intensiv. Auch bei der versöhnlichen Heimkehr singt Soffel mit artikulatorischem Aplomb und vokaler Finesse. Mein Eindruck ist, dass in den feinen Phrasierungsdetails ein ganzes, langes Mezzo-Leben steckt.
In den Berliner Konzertsälen beginnt wöchentlich ein neues Zeitalter. Am Montag erst wurde 2G eingeläutet. Und schon steht 2G plus vor der Tür. Warum auch nicht? Impft euch halt, ihr, die ihr draußenbleiben müsst. Vorbei ist Unter den Linden erst auch einmal die schöne maskenlose Zeit auf den Sitzplätzen, die es in der Philharmonie seit Herbst 2020 nie gab.
Dort, im Apollosaal, widmet Anna Samuil ihr Recital Pauline Viardot-García, die nicht nur einer der großen Sängerinnen des 19. Jahrhunderts und Schwester von Maria Malibran war, sondern auch komponierte. Sieben ihrer Lieder singt Samuil, die seit 2003 Unter den Linden aktiv ist, im lüsterstrahlenden Apollosaal. Die Lieder bieten einen kleinen und feinen Überblick über das Schaffen von Viardot-García, die fast neunzigjährig 1910 in Paris starb. Haï-luli! ist das Lied einer verzweifelten Verliebten, die zu allem bereit ist, weil sie die Untreue des Liebsten ahnt. На холмах Грузии (Auf den Hügeln Georgiens) spiegelt in der meisterhaft knappen Landschaftsschilderung Puschkins pure romantische Seelenbefindlichkeit. Das kokett rhythmisierte L’Oiselet evoziert nicht ohne Humor eine verwickelte Herzensangelegenheit. Und intensiv C’era una volta, ganz mit Verdi’scher Verve erfüllt.
Samuil singt das herrlich deklamationsüppig und mit feinhörig kontrollierter Dynamik, nicht selten fast im Widerstand gegen die klangvolle Stimme. Oder das sehnsuchtsvolle Melodya von Chopin. Das wird wunderbar gestuft gesungen – widmen tut Samuil Melodya der verstorbenen polnischen Sopranistin Aga Mikolaj. Ja, ich erinnere mich an sie, Rheingold, Götterdämmerung, Don Giovanni.
Aber der Reiz des Recitals liegt gerade in der Vielfalt der Werke. Es ertönen von Franz LisztÜber allen Gipfeln ist Ruh und Die Loreley nach Goethe und Heine. Es folgen auch zwei kleine Berühmtheiten, TschaikowskysОтчего? (Warum?) und Brahms‘ Von ewiger Liebe (Dunkel, wie dunkel). Samuil singt mit klanglicher Emphase, feurig, aber immer in die Linie eingebunden.
Sabine Devieilhe? Da war doch was. Richtig. Devieilhe sagte im Frühjahr die konzertante Dinorah-Premiere an der DO ab, was den Wert der Vorstellung doch etwas herabsetzte (und dann fehlte auch noch Florian Sempey). Aber das ist Opern-Schnee von gestern. Jetzt ist Madame Devieilhe in Berlin, dieses Mal im Aluminiumblechzelt an der inzwischen autoverkehrberuhigten Herbert-von-Karajan-Straße.
Mit lyrischer, klarer, fein abgemischter Sopranstimme singt Elsa Dreisig in der hiesigen Staatsoper mélodies, песни und Lieder von Duparc, Rachmaninow und Strauss. Weiterlesen →
Sapperlott! Das ist ein Überflieger unter den Liederabenden. Dabei fügt ein Engländer – der Tenor Ian Bostridge in Hochform – im Berliner Kammermusiksaal zusammen, was kaum zusammengehört, Robert Schumann und Brad Mehldau.
Christian Gerhaher ist ein gern und häufig gesehener Gast in der Berliner Philharmonie. Im Kammermusiksaal ist er nun mit einem Programm abseits ausgetretener Programmpfade zu hören. Weiterlesen →
Andreas Schager, der zur Zeit Lohengrin in Wien singt (am Freitag zuletzt, erneut übermorgen), gastiert im Apollosaal der Staatsoper Berlin. Auf dem Programm stehen Lieder von Wagner, Beethoven und Strauss. Seine Frau, die Geigerin Lidia Baich, steuert im Reißverschlussverfahren Stücke von Wagner, Prokofjew und Strauss bei. Es ist ein gelungenes Lied-Recital. Weiterlesen →
Im Konzerthaus Berlin mischen die fünf Akteure Kammermusik und Liedrecital, mixt man frech und frei Brahms, Wagner und Mahler. Der Abend spielt mit Echtem und Fast-Echtem, koppelt das ehrwürdige Klavierquartett op. 60 von Brahms an Klavierquartettbearbeitungen von Liedern Gustav Mahlers und Richard Wagners. Und hebt dann auch noch das ehrwürdige Opus 60 häppchen- bzw. satzweise unter das Liedgut. Und – Überraschung! – es funktioniert. Weiterlesen →
Thomas Hampson sagt sehr kurzfristig ab, Patricia Petibon sagt sehr kurzfristig zu.
Statt Schubert nun also ein Programm, das sich kapriziös und kalkuliert exotisch gibt: französische, spanische, lateinamerikanische mélodies und canciones, dazwischen Populäres, ja Gewagtes. Petibon singt Opernschnipsel (O mio babbino caro), schmettert Granada, bietet de Falla, Poulenc, Turina. Das Recital bricht auf, was man gemeinhin unter Liederabend versteht. Man soll merken: Hier werden keine Klassiker beweihräuchert. Es ist ein eloquentes Plädoyer für (zumindest in Mitteleuropa) selten Gehörtes. Weiterlesen →
Liedrecital von Katharina Kammerloher im Apollosaal der Berliner Staatsoper.
Sängerisch intelligent angepackt und auf einem Spannungsbogen entfaltet erklingt jedes der zwölf Lieder Robert Schumanns aus dem Liederkreis nach Eichendorff op. 39. Da wird Mondnacht weitgespannt entwickelt