In den Berliner Konzertsälen beginnt wöchentlich ein neues Zeitalter. Am Montag erst wurde 2G eingeläutet. Und schon steht 2G plus vor der Tür. Warum auch nicht? Impft euch halt, ihr, die ihr draußenbleiben müsst. Vorbei ist Unter den Linden erst auch einmal die schöne maskenlose Zeit auf den Sitzplätzen, die es in der Philharmonie seit Herbst 2020 nie gab.
Dort, im Apollosaal, widmet Anna Samuil ihr Recital Pauline Viardot-García, die nicht nur einer der großen Sängerinnen des 19. Jahrhunderts und Schwester von Maria Malibran war, sondern auch komponierte. Sieben ihrer Lieder singt Samuil, die seit 2003 Unter den Linden aktiv ist, im lüsterstrahlenden Apollosaal. Die Lieder bieten einen kleinen und feinen Überblick über das Schaffen von Viardot-García, die fast neunzigjährig 1910 in Paris starb. Haï-luli! ist das Lied einer verzweifelten Verliebten, die zu allem bereit ist, weil sie die Untreue des Liebsten ahnt. На холмах Грузии (Auf den Hügeln Georgiens) spiegelt in der meisterhaft knappen Landschaftsschilderung Puschkins pure romantische Seelenbefindlichkeit. Das kokett rhythmisierte L’Oiselet evoziert nicht ohne Humor eine verwickelte Herzensangelegenheit. Und intensiv C’era una volta, ganz mit Verdi’scher Verve erfüllt.
Samuil singt das herrlich deklamationsüppig und mit feinhörig kontrollierter Dynamik, nicht selten fast im Widerstand gegen die klangvolle Stimme. Oder das sehnsuchtsvolle Melodya von Chopin. Das wird wunderbar gestuft gesungen – widmen tut Samuil Melodya der verstorbenen polnischen Sopranistin Aga Mikolaj. Ja, ich erinnere mich an sie, Rheingold, Götterdämmerung, Don Giovanni.
Aber der Reiz des Recitals liegt gerade in der Vielfalt der Werke. Es ertönen von Franz Liszt Über allen Gipfeln ist Ruh und Die Loreley nach Goethe und Heine. Es folgen auch zwei kleine Berühmtheiten, Tschaikowskys Отчего? (Warum?) und Brahms‘ Von ewiger Liebe (Dunkel, wie dunkel). Samuil singt mit klanglicher Emphase, feurig, aber immer in die Linie eingebunden.

So geht es eben auch: kein Liedzyklus, stattdessen ein unterhaltsames Bäumlein-Wechsel-Dich von Komponisten und Komponistinnen. Brahms, der selten zu hörende Liszt, der noch seltener zu hörende Chopin, Tschaikowsky – und Viardot. Charmant und locker wirkt die Programmierung. Melancholisch und fein klingen zwei Meisterwerke von Tschaikowsky. Нет, только тот, кто знал (Nur wer die Sehnsucht kennt, nach Goethe) mit bezwingender Kantilene sowie die Vergänglichkeitsklage Забыть так скоро (So schnell vergessen), dessen Titelzeile mottoartig so lange wiederholt wird, bis sie sich mit Lebensbitterkeit vollgesogen hat wie ein Schwamm. Durch Novecento-Schwermut bezwingt Утро туманное (Morgen im Nebel, nach Turgenjew) des hierzulande vollkommen unbekannten, im Krimkrieg 1855 umgekommenen Erast Abaza. Samuil macht das gesanglich souverän. Zuverlässig bespielt Matthias Samuil den Abend auf dem Flügel. Die Mazurka Chopins gefällt mir in ihrer eigenwilligen Robustheit am besten.
Ein inspirierender Vokalabend, gut besucht trotz Doppel-G, mit zwei Zugaben: Strauss mit dem anspielungsreich mutmachenden Morgen und Dvořák mit dem wunderschönen Lied Rusalkas.
Da wäre ich gerne dabei gewesen!
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Zum Glück singt sie keine Musetta mehr.
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Aber die Ariadne macht sie gut. Habe das Stück in den letzten Jahren aber fast zu oft gehört
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Elsa Dreisig ist auch hier
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Diana Damrau
nach ihrem Met-Debüt in dieser Arie gab’s 70 Sekunden Dauer-Applaus. Das ist was besondres angesichts der U-Bahn-Rhythmen in NY.
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