Doris Soffel singt in der Deutschen Oper Strauss, Sibelius, Weill. Und zum Einsingen zwei Wunderhornlieder Mahlers. Soffel hörte ich vor der Pandemie als Oceane, Chrysotemis und Fricka, stets stellte sie Charaktere auf die Bühne. Da war plausible Rollenintensität, die auf eindringlicher Deklamation, dramatischer Färbung und stimmlichem Gewicht fußte. Im Pausenfoyer der Deutschen Oper ist am heutigen Abend um zehn vor zehn Schluss. Da hat Doris Soffel schon einmal die Garderobe gewechselt, drei Zugaben gesungen und schlussendlich sechs Komponisten programmiert.
Zu Beginn, in Mahlers neckischem Rheinlegendchen, hängt noch Flugrost in der Kehle der Mezzosopranistin. Als dann Lob des Leidens dran ist, die Nummer drei aus Strauss‘ eher unbekanntem Opus 15, in dem, für Strauss ungewöhnlich genug, viel von Gram und Qual die Rede ist, wölben sich die Bögen, der Ausdruck ist intensiv. Auch bei der versöhnlichen Heimkehr singt Soffel mit artikulatorischem Aplomb und vokaler Finesse. Mein Eindruck ist, dass in den feinen Phrasierungsdetails ein ganzes, langes Mezzo-Leben steckt.

Dann kommt Zueignung – langsam, ausdrucksvoll deklamiert, mit innig ausgeleuchtetem zweitem Strophenteil (Liebe macht die Herzen krank und Und du segnetest den Trank). Können Sängerinnen unter 50 überhaupt so phrasieren? Und wie viele über 50 artikulieren so (Frau Fleming, bitte mal hinhören)? Ich habe es wieder gehört, Hermann von Gilms Gedicht hat durchaus seine Meriten, und dass Strauss es für die Nachwelt bewahrte (wie auch Allerseelen und Nacht), ist ein nicht ganz geringes Verdienst. Jedenfalls war der graue November 2021 für mich netter, weil Irmgard Seefried die am 31. 10. 1885 komponierten, drei kurzen Strophen so unvergleichlich singt (hören Sie mal das „a“ in Seefrieds krank!).
Nach der Pause Sibelius. Svarta rossor (Schwarze Rosen) singt Soffel intensiv und mit feinem dramatischem Gespür. Wie bei Strauss hat sie die Energie für die Höhepunkte und die Kunst, die Stimme stufenlos ins Piano zu führen. Es folgen die Weill-Lieder. Für Youkali, dem Traum vom Glücklichsein, der um seine Nichtigkeit weiß, findet Soffel Aufrichtigkeit und Autorität der Diktion. Sie weiß um den richtigen Ton für das schnippisch-desolate Nanna’s Lied (nach Brecht) und brilliert im Reklamelied Berlin im Licht auf einen eigenen Text. Manuel Lange begleitet unauffällig.
Der Zugabenstrauß umfasst Poulencs Lob der Faulheit, Hôtel, Bizets stolze Proklamation der Liebe (L’amour est un oiseau), und noch mal Zueignung, diesmal noch langsamer, noch feierlicher, und mit charmantestem, schwer verschmitztem Habe Dank an das wild klatschende Publikum.
„Sie können ruhigen Gewissens in die Grube fahren, ohne Hermann Gilm zu kennen“, sagte zu Studienzeiten mal ein Professor zu uns Studenten.
Noch nie einen Liederabend im Pausenfoyer der DO gehört. Ist das akustisch okay?
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War erstaunlich gut und ich saß in der letzten Reihe ganz außen.
Schlechter wie das Meiste von Fontane ist der Gilm gewiss nicht.
Gerade passend vom guten, alten Neuruppiner: „Noch ist der Herbst nicht ganz entflohn, / aber als Knecht Ruprecht schon / kommt der Winter hergeschritten, / und alsbald aus Schnees Mitten / klingt des Schlittenglöckleins Ton.“
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Ich hab sie nur ein einziges Mal auf der Bühne gesehn, aber das zählt zu den Sternstunden meines Opernlebens. Und zwar als Sesto in der Clemenza di Tito vor ca. 75 Jahren in Köln. Die Oper hab ich auch nur ein einziges Mal gesehn.
Jedenfalls, Soffel schmetterte ihre Arie, sank hernach auf die Knie und verschwand in den Kulissen, als der Beifall kein Ende nehmen wollte. Pavarotti wäre zurückgekehrt und hätte ein Bis gegeben.
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das zeigt fast alles
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Doch nicht Chrysothemis – Klytämnestra! (Nix für ungut …)
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Es sind Mörder*innen im Haus
Aegisth, gegendert
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