Zwischenzeitlich war ich bei Sokolov, den, wie etwa Martha Argerich, eine verschwörerische Berühmtheit umgibt. Draußen herrschen eisige Temperaturen, Ostwind, Eis auf dem Landwehrkanal, eine streikende Berliner S-Bahn und so weiter. Sokolov spielt ein Programm mit Bach und Schumann. Ich war nie ein heißer Verfechter von Schumanns Klaviermusik, immer aber von dessen Kammermusik und Sinfonik. Ich würde gerne behaupten, ich wäre wenn schon nicht ein Fan von Sokolovs Bachs, dann aber gewiss einer von dessen Schumann. Is aber nich so. Sokolov ist gut, aber wahrscheinlich nicht sehr gut. Er ist weder ein Genialiker wie Daniel Barenboim, noch ein Fanatiker der Genauigkeit wie Maurizio Pollini, noch so unbestechlich wie Mitsuko Uchida, aber in etwa von so seriöser Langweiligkeit, um nicht zu sagen von so durchdringender Pantoffeligkeit, wie Andras Schiff.
Sokolovs Schumann besteht zu Hundert Prozent aus Rubati; und ich dachte immer, Schumanns Klaviermusik bestünde aus Vierteln, Achteln und Sechzehnteln. Sololov hängt jener Schule an, die die Meinung vertritt, bei Schumann drehe sich alles um das Aufblühen und Zurückdrängen von allerhand Gefühlen. Sokolovs Bach ist die ersten zehn Minuten mächtig beeindruckend, dann verliere ich immer mehr das Interesse, und zuletzt wundere ich mich, warum Bach von einigen – von einigen wenigen, ich gebe es zu – als bedeutender als Schumann gehalten wird. Sokolov gibt sechs Zugaben. Bei jeder unterließ er es, den während des regulären Programmes gewonnen Eindruck zum Besseren zu korrigieren. Die Begeisterungsfähigkeit des Publikums war enorm. Sokolov sieht von Block C aus wie eine Mischung aus Flaubert und Turgenjew, etwas füllig, Typ sensibler, nicht ganz uneitler, aber im Grunde höchst ehrenwerter Künstler.
Kritik Sokolov: mäßig angetan