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Berliner Philharmoniker CLAUDIO ABBADO ANNA PROHASKA MAURIZIO POLLINI Mozart Vorrei spiegarvi, oh Dio Berg Symphonische Stücke aus der Oper Lulu Mozart Klavierkonzert G-Dur KV 453 Mahler Sinfonie Nr. 10

Zweimal Mozart, zwei Mal Neoromantik, wie Glenn Gould gesagt hätte, wenn er einen Blick in das Programmheft geworfen hätte. Bei den Mozartsachen hörte ich leicht beweglichen, ausnuancierten Mozart, dessen Farbwerte umwerfend sensibel aus der Partitur gelöst wurden, ohne dass das weiche, knochenlose Gewebe der beiden Mozartpartituren des Abends zerrisse. Anna Prohaska, ein 1a Blondchen, Oscar und Anne in Rake’s Progress an der Staatsoper, singt. Ihre kostbare Lunge produziert eine schlanke, flexible, besonders ganz oben leicht belegte Sopranstimme, die frei und konzentriert geführt wird und intensiven Ausdrucks und komprimierten Klangs fähig ist. Frau Prohaska hat eine Neigung zu auffälligen Frisuren, eine Tatsache, die besondere Freude bei den Berliner Friseuren auslösen dürfte. Mozarts G-Dur-Konzert Andante: Stefan Schweigert, Emmanuel Pahud und Lucas Macias Navarro spielen wie die Schneekönige. Man vergisst bisweilen Pollini und Abbado, so sehr zieht uns der Holzbläserklang hinan. Stefan Dohr und Sarah Willis assistieren hier nur. Die Streicher laufen unter ferner liefen. Stefan Schweigerts erstaunliches Fagott zählte zu den Spitzenleistungen, zählt es ja eigentlich immer.

Das Mozartkonzert klingt im letzten Satz wie Haydn. Rumpeliges Thema, Streicher mit Unisono-Flöte. Eine eher große als kleine Überraschung gab es. Lucas Macias Navarro vom geschätzten Concertgebouworkest Amsterdam spielt Oboe. Den hat Abbado wahrscheinlich aus Luzern nach Berlin gelotst. Hilft Albrecht Mayer derweil in Amsterdam aus?

Die Mahler Zehnte (Adagio) höre ich zum ersten Mal. Man wagt gar nicht dran zu denken, wie Mahler 1920 komponiert hätte. Es ist irritierende und sehr großartige Musik, von Abbado elegant schlenkernd und bröselig in der Gestik dirigiert. Abbados Hand ragt auf wie ein verdorrter Ast. Abbados Gesten scheinen nicht die konkrete Musik zu meinen, sondern ihre Geister.

Pollini: klar, unspektakulär, kraftvoll (Kadenz), Rubati, die überexakt wirken. Eigentlich könnte man das als Pollinis Charakteristikum ansehen: kolossal leicht gespielte Rubati, die einer exakten Logik gehorchen. Keine Zugabe. Am Samstag nickt er nach dem ersten Satz allen Orchestergruppen begeistert zu.

Pahud hat viel Gel im Haar. Sitzt während der ersten Mozartarie nervös herum, hat nichts zu spielen.

La voilà. Solène Kermarrec. Ein knappes Jahr habe ich nichts von ihr gesehen, geschweige denn gehört. Neben ihr eine noch jüngere Cellistin, die aussieht wie Mélisande höchstpersönlich. Auch Herr Polonek sitzt wieder unter den Bratschern. Mir kommen die Philharmoniker immer ein Stück seriöser vor, wenn Zdzislaw Polonek da ist. Madeleine Carruzzo sitzt bei Mozart neben Guy Braunstein, bei Berg und Mahler ganz hinten.