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Die zweite Hälfte macht mehr Spaß.

Pollini. Ein Wort, tausend Erinnerungen.

Heuer wird Maurizio Pollini den Erwartungen nur teilweise gerecht. Pollinis eröffnende Akkorde zersplittern spröde. Schnelle Skalen (1. Satz nach Thema 2, Schluss des Finale) klingen verwaschen. Die messerscharfe, schattenlose Brillanz des Pollinispiels früherer Tage ist passé. Setzt man höchstes Pollini-Niveau, scheint Pollini dem Chopinkonzert technisch nicht mehr gewachsen.

Weitere Beispiele: Das Thema des Finale klingt seltsam vernuschelt. Hat Pollini keine Lust mehr auf Klarheit? Die Linie, die schon bei den Mozartkonzerten der vergangenen Jahre (Abbado, Thielemann) von nonchalanter Sprödheit war, handhabt Pollini noch lässiger, noch freier.

Das ist Altersstil.

Freilich gibt es Großartiges, Einzigartiges. Wie Pollini das zweite Thema im Nachsatz so weit lockert, als kümmere es Pollini nicht mehr, dass zweitausend Leute zuhören. Pollini strebt da einer neuen Einfachheit zu. Wie der Nachsatz des dritten Themas derart freien (nicht übertriebenen! nicht willkürlichen!), im Grunde holzschnittartigen Temporückungen unterworfen wird.

Bei aller phasenweisen (Welt-)Klasse ist es ein nachdenklich stimmender Pollini-Abend. Die Zeiten, da Pollini als Zugabe die Polonaise op. 53 in furchterregender Differenziertheit hindonnerte, sind vorbei.

Christian Thielemann lässt Chopins lyrische Themen honigweich fließen. Das Tutti ist breit, daher das Thema im ersten Seit recht behäbig, das energische Schlussgruppenthema indes feurig.

Schumann, Genoveva-Ouvertüre: Auch hier herrscht symphonisch-gesangliche Breite. Langsames Tempo in der Einleitung, flottes im Hauptteil. Abbado betonte einst die fließende Lyrik. Rattle die packende thematische Vernetzung. Thielemann bringt die glänzend bewegte Buntheit heraus.

Aribert Reimann, Sieben Schumann-Fragmente: Bei solchen Stücken ist man dankbar, dass die Berliner Philharmoniker spielen. Das Stück kennt große Ausdrucksmomente: Zu Beginn türmen sich die Geigen sich wie eine hyperkomplexe Regenwand. Großartig die verrätselten Blechattacken. Die Holzbläser-dominierten Teile (3, 4, 6) scheinen mir konventioneller. Uraufführung 1988.

Strauss, Zwischenspiele aus der Oper Intermezzo, Uraufführung 1924. Thielemanns Programmen ist von jeher ein augenzwinkernder Snobismus nicht unbekannt. Die Berliner Philharmoniker reagieren beflügelt. Dieser Strauss verströmt sich mit glühend-konzentrierter Intensität. Da ist ein sinnlich-filigranes Linienspiel, da sind die süßen, feinen Streicher, da ist deren geschmeidiges Mitgehen. Glenn Gould wäre heute Abend ausgeflippt.

Ein hervorragendes Konzert.