Bericht. Maurizio Pollini begann genau eine Woche nach Alfred Brendels Klavierabend mit der Kühle, die vertieft, weitet, wärmt, entzückt. Pollinis Programm: Schumanns Toccata, die Kreisleriana und nach der Pause Chopin. In schattenloser Klarheit ziehen die Stücke Schumanns vorüber. Pollini scheint unbeteiligt, das Publikum reserviert. Pollini scheint mit den Stücken allein. Als Zuhörer muss man bereit sein, in die dünne Höhenluft, in der Pollini sich bewegt, aufzusteigen. Die technische Überlegenheit Brendel gegenüber ist enorm, was kein Wunder ist. So dachte man mehrere Male. Die Töne sind aneinandergereiht wie spitze Diamanten. Das Fortissimo knallt trocken, doch ohne ein Hauch von Donnern. Es fällt das Fehlen von Mitteilungsfreude auf…

Pollini ist ein kleiner, älter gewordener Mann, der mit gebeugtem Rücken in kleinen Schritten und vollkommen lautlos aus dem Künstlerzimmer den langen Weg zum Flügel eilt (watschelt hätte ich fast gedacht – wie ein Pinguin). Wäre da nicht die erschütternde Vielstimmigkeit, die undurchdringliche Klarheit, die Pollini herauf zu rufen vermag, es läge der Schluss nahe, Pollini sei ein kühler Exerzitienmeister der Tradition.

Pollinis Chopin ist ein mathematisches Monument, ein Wunder an Exaktheit, hinter dem eine unbändige Liebe zur Musik spürbar wird. Pollini wirft diese Liebe nicht unters Publikum (den Applaus nimmt er ohne besondere Regungen leicht abwesend entgegen). Doch dieser Abend sollte alle jene nachdenklich gemacht haben, die die Kälte von Pollinis Perfektion beklagen. Es scheint vielmehr so zu sein, dass Pollini seine Liebe zur Musik nicht dem Publikum, sondern eben der Musik zur Verfügung stellt.

Wäre Schumann zugegen gewesen, er wäre vor Verwunderung darüber bleich geworden, wie viel Logik den Kreisleriana innewohnt. Chopin nach der Pause wurde immer besser und komplexer. Pollinis großartiger Instinkt für bereinigte Formen wurde deutlich. Der Wille zu Perfektion ist bei kaum einem anderen Musiker in der Faser jeder Note spürbarer.