Maurizio Pollini Schumann Konzert ohne Orchester Schumann Fantasie Chopin Nocturnes Chopin Sonate b-moll
Pollini eilt schnurstracks zum Flügel. Etwas steif vorgebeugt, den Kopf vorgestreckt, die Arme hängen affenartig herab. Kein Blick zur Seite, ein nervöser Gentleman mit Stil. Einmal beginnt er ein Stück, als er noch nicht richtig sitzt. Im Niedersetzten haut er in die Tasten. Es gibt ihn nicht, den Augenblick, in dem Maurizio Pollini im Applaus stillsteht. Entweder er steht links am Flügel, die Rechte auf dem Instrument, und dreht sich einmal um die Achse, kleine, knappe, scheue Verbeugungen ausführend, oder er steht rechts am Flügel, die Linke auf dem Instrument, und verbeugt sich rundum. Vor dem Eingang Richtung Potsdamer Platz steht der kleine italienische Kasten-LKW, der Pollinis Flügel bringt. Ist der Innenraum beheizt? Ich zittere vor jedem Konzert, das Pollini gibt. Spielt er so abstrakt, dass ich auf einmal merke, wie ich nicht mehr folgen kann? Reißt der Kontakt und ich bin dann der Astronaut, dessen Schnur beim Weltraumspaziergang riss. Oder ist es etwa Pollini, der Weltraumspaziergänge macht? Es war beim Konzert ohne Orchester so. Lauterstes Klavierspiel – doch meinem Gehirn nicht zugänglich.
Liszts h-moll-Sonate verschwand vom Programm. Die b-moll-Sonate hörte ich von Daniel Barenboim im Herbst technisch schlechter, doch packender. Das Scherzo spielte Barenboim atemlos durchleuchtet, den Trauermarsch in einer Größe, in einer Größe, die Hand und Fuß hatte. Pollini spielt wie mit dem Röntgengerät. Man fühlt sich in jeder Beziehung als blutiger Anfänger neben Pollinis betäubender Klarheit. Mehr Transzendental-Etüde als packendes Leben. Aber die Nocturnes waren unbeschreiblich, höchste Kunst. Barenboims Nocturnes fand ich zu… suppig (ich leiste Abbitte, indem ich an Barenboims erstes Beethovenkonzert mit den Philharmonikern erinnere, die größte Interpretation eines Beethovenkonzerts seit Jahren). Am hörbarsten schnauft Pollini im Trauermarsch der Sonate. Einiges entgleitet mir während des Hörens, Figurationen, die Pollini in unvorstellbarer Klarheit auflöst und für den Zuhörer unhörbar werden. Ich habe den Eindruck, Pollini könne 30 Tasten gleichzeitig spielen. Morgens in der Matinée in der Staatsoper gewesen. Barenboim begleitet Dorothea Röschmann. Manche Sachen kann Barenboim unvergesslicher als jeder andere…
Schließlich war dies der Abend, an dem Maurizio Pollini fünf Zugaben gab. Was bei András Schiff oder Murray Perahia dann doch langsam zu viel würde. Bei Pollini fühlte man sich wie Papageno, wenn die Geharnischten Wein und Würste herzaubern. Zwei der schnellen Chopin-Etüden, einmal Schubert (?), einmal früher Skrijabin (??), das fünfte Stück habe ich vergessen.
Pollini Kritik: immer noch eine Klasse für sich.