Der Tag der Einheit gibt sich Unter den Linden frühherbstlich mild, fast spätsommerlich warm. Vor und neben dem rosa Knobelsdorff-Quader finden kleine Demonstrationen statt.
Drinnen geht Die Walküre ihren Gang. Das Institut ESCHE von Göttervater Wotan bleibt der bestimmende Bezugspunkt. Neu ist die vollkommen durchsichtig gläserne Wohnung – durchsichtig auch den Blicken der beobachtenden Forscher -, in der die Wälsungentragödie ihren Lauf nimmt. Siegmund (im Übergrößen-Parka) ist ein schmuddeliger Häftling auf der Flucht mit leicht autistischen Tendenzen, Sieglinde (gelbe Strickweste) wechselt nicht weniger autistisch von dumpf verzweifelt zu jäh impulsiv. Hunding mimt einen hünenhaften Polizisten, der Siegmund mit vorgehaltener Pistole in Schach hält. Kopflos, chaotisch, ohne einen Hauch von Sex flieht das Paar.

Der erste Akt steht sängerisch unter nicht ganz optimalem Stern. Die timbralen Qualitäten von Robert Watson wiegen die Nachteile einer unsteten, allzu leichten Stimme nicht auf. Hinzu kommen Amerikanismen bei der Aussprache – wenn Watson auch sorgfältig phrasiert. Die Sieglinde von Vida Miknevičiūtė wirkt im Wälsungenakt kühl, und der hünenhafte Hunding von Mika Kares gelingt nicht so prächtig wie sein Fasolt 24 Stunden zuvor. Es fehlen kompakte Finsterheit und wild beherrschte Textdeutung.
Im Folgenden kehrt Regisseur Tscherniakow aber zum virtuosen Wechsel sorgfältig komponierter Bühnenräume zurück, die einen Reiz der Neuinszenierung ausmachen. Wotans schmähliche Niederlage im Ehestreit um die Rache an den Ehebrecher Siegmund vollzieht sich im edel holzvertäfelten Besprechungszimmer (Fricka will es schriftlich), und Wälsungenflucht und Todesverkündigung finden in den unheimlichen, gleißend hell erleuchteten Untergeschossen des ESCHE-Instituts statt.
Den Wotan des Michael Volle (frisch ergraut, im soignierten, altgrünen Dreiteiler) – ein Göttervater von knurriger Grandeur – verstehe ich prima, die Autorität seiner Deklamation ist grenzenlos, und den Walküre-Akt, den Volle nicht meisterlich sänge, müsste Wagner erst noch schreiben. Personendramaturgisch wird da durchaus fein herausgearbeitet. Brünnhildes Sopranstimme (Anja Kampe) ist weich, hat Tiefe und Mitte und Höhe, expressive Textur und emotionale Farben, hat vollmundige Spitzen ohne jede Schrillheit – wenn auch nicht das pure hochdramatische Gewicht einer Theorin oder Stemme. Auch die kämpferische Fricka von Claudia Mahnke steht ihre Frau, freilich ohne fesselnde hochdramatische Durchschlagskraft.

Da hat diese Walküre aber eine Fahrt aufgenommen, die auch musikalisch überzeugt. Vida Miknevičiūtė spielt da längst hinreißend die unbehauste Verworfene und hinterlässt einen unwiderstehlichen Eindruck, als sie ihr O hehrstes Wunder mit der Energie eines Klangstroms in den Saal schickt.
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