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Maskenball Deutsche Oper Berlin Adrianne Pieczonka Jorge de León

Maskenball an der Deutschen Oper Berlin / Foto: twitter.com

Der Maskenball an der Deutschen Oper Berlin.

Götz Friedrichs klug distanzierte, gleichwohl dringliche Inszenierung (1993) hat sich gut gehalten. Seine Regie lenkt das Augenmerk auf die doppelbödige Tragikomödie, die Verdis Maskenball ist. Götz Friedrich krempelt Verdi nicht um, setzt vielmehr Akzente im Spannungsfeld von Maske und Macht, mixt unaufdringlich Gegenwart und Spätabsolutismus und lässt den Protagonisten Raum und Phantasie, um Verdis Dreiecksgeschichte zwischen Liebe und Politmord mit Leben zu füllen.

Wie es kommt, dass sich Amelia in den verkleidungswütigen und obendrein entschlussschwachen Gustaf verknallt, wird aber auch bei Friedrich nicht klar.

Die Sänger: Jorge de León, Adrianne Pieczonka, Judit Kutasi, Etienne Dupuis, Elena Tsallagova 

Verdis affektgetriebener Souverän, der für sein Leben gern sentimentale Arien singt und die dringenden Warnungen seines engsten politischen Beraters vor einer Verschwörung wiederholt in den Wind schlägt, ist nicht einfach zu singen. Der hellstimmige Tenor Jorge de León entledigt sich der Aufgabe mit Verve, Gefühl und Energie. Eine durchdringende Höhe ohne zu viel Macho-Metall sorgt für zufriedene Gesichter im Publikum. Die scherzando-Arien („È scherzo o è follia“) kommen flüssig, wenn auch nicht mit prickelndem Esprit: das Singen des Spaniers ist geschmeidig und kraftvoll, aber nicht elegant. Es gibt verständlichere Sänger. Das sentimentale „La rivedrà nell’estasi“ in Akt I gelingt Jorge de León am besten.

Adrianne Pieczonka bringt für die Amelia Leidenschaft und Klang eines lyrisch-dramatischen Soprans sowie die natürliche Autorität einer wohltuend zurückhaltend agierenden Bühnenpersönlichkeit mit. Pieczonka singt auf Götz Friedrichs dezent dekorierter Schädelstätte ein berührendes „Ecco l’orrido campo“. Sicher, Pieczonkas Vibrato ist etwas weit, an das hohe C der Arie nähert man sich auf Umwegen an. Dafür singt Pieczonka mit viel Gefühl für Phrasierung und Drama. Legato- und Pianokultur beeindrucken. Und im folgenden Duett mit René quält sie wie von Verdi gewünscht der Gegensatz von Herz und Moral. Schön auch das inwendige „Morrò, ma prima in grazia“.

Die Ulrika von Judit Kutasi übt ihren Glaskugel-Voodoo mit machtvoller Stimme. Kutasis Re-del-abbisso-C, mit dem die „Invocazione“ beginnt, haut einem die Petersilie aus den Ohren. Auch die langgezogenen Steigerungen von „nulla, più nulla“ krönt sie mit einem beeindruckenden As. Judit Kutasis Stimme entfaltet sich ungewöhnlich kraftvoll und ist echt dramatisch.

Etienne Dupuis singt den Meuchelmörder René mit fester, schlanker und tonschöner Stimme (der abrupte Wandel Renés vom Königstreuen zum Attentäter wegen nichts und wieder nichts war für mich immer eine Schwachstellen des Librettos). Höhepunkt ist das nostalgische „Eri tu“ im dritten Akt, das Dupuis viel Beifall einbringt. Kurios der Einfall der Regie, Amelia mit einem Schiffstau zu fesseln, bevor Dupuis dann seinen ehemaligen Buddy René humorlos abknallt – und damit die politische Intrige der wackeren Verschwörer für seine Eifersuchtsraserei missbraucht.

Der Trällerpage Oscar wird von Elena Tsallagova mit viel Charme und saftiger Stimme. gesungen.

Den karrieregeilen Christian singt John Carpenter, der frondierende Adel findet in Florian Spiess (Horn) und Alexei Botnarciuc (Ribbing) sängerisch attraktive Vertreter. Den von Oscar gepiesackten Richter im ersten Akt singt James Kryshak und den Diener Amelias singt Robert Watson.

Donald Runnicles dirigiert das Orchester der Deutschen Oper. Es ist ein echter Runnicles: rhythmisch behäbig, mit viel schwerblütigem Reiz in den melodischen Aufschwüngen, doch nicht recht zwingend, was die dramaturgisch zusammenfassenden Aktschlüsse angeht. Dabei hätten dem unsentimentalen Maskenball Friedrichs ein Schuss rhythmische Härte und Präzision gut getan. Den Schluss des ersten Bildes im ersten Akt bringt Runnicles zwar mächtig, aber eben nicht beschwingt rüber (Allegro brillante e presto). Das Overall-Tempo ist dementsprechend gezügelt. Bei einigen con-espressione-Stellen hätte ich mehr Espressione erwartet.