Offenbachs tempoflotte, wunderschön melodiöse Hoffmann-Oper macht kurz vor Saison-knapp an der Bismarckstraße Halt. Wenn man da so sitzt, ist der Abend eine Freude, aber nicht in exzessivem Maß. Gesungen wird ordentlich. Das Orchester schlägt sich achtbar. Aber auch nicht mehr. Dirigent Emmanuel Villaume ist manchmal eine Hilfe, manchmal nicht.

Von den verblendet Liebenden auf den Opernbühnen ist Hoffmann vermutlich der hoffnungsloseste Fall. Er stolpert in jede Falle, die ihm der Teufel stellt. Von Robert Watson, der den Dichter verkörpert, höre ich mal eine angestrengt farblose und mal eine tenorschlank aufregende (im Duett mit Olympia) Tenorstimme. Freilich tönt Watson stilsicherer als der ungallisch-trockene Hoffmann der Premiere (Johansson). Und längst nicht so biegsam wie der letztgehörte (Laho). In den vier Frauenrollen singt Heather Engebretson mit kleiner, klarer Sopranstimme.

Contes d'Hoffmann Offenbach Deutsche Oper Berlin

Die US-Amerikanerin hat Silberklang für die Arie der Olympia (aber kaum leichtfüßige Brillanz) und Traurigkeit für die der Antonia. Engebretsons Bühnenpräsenz hat was Nadelfeines. Ich finde sie beeindruckend da, wo verlorene Verletzlichkeit und verstockte Liebesbedürftigkeit gefordert sind. Als Giulietta macht sie fabelhaft Furore allein dadurch, wie sie auf dem Canapé sitzt.

Schöne Melodien hat es in Les Contes d’Hoffmann mehr als in den Meistersingern Leitmotive. Die Oper changiert aufregend zwischen Konvention und Innovation. Einerseits gibt es Eingangschöre und Trinklieder im Überfluss. Auch das bei Donizetti, Meyerbeer oder Verdi beliebte Motiv des gestörten Fests ist ein alter Opern-Hut.

Andererseits amalgamiert die Handlung unterschiedlichste Ideen E. T. A. Hoffmanns zu einem trickreichen Libretto. Geradezu deliziösen Zauber aber verbreiten die vier verschiedenen primo-soprano-Rollen, die wie jetzt in Berlin von einem einzigen Sopran oder von vier verschiedenen gesungen werden – oder von zweien, wie unlängst in München, wo Diana Damrau alle Frauen außer Olympia sang. Dem Nicklausse, einem der schönsten Hosenrollen überhaupt, verpasst Jana Kurucová Tempo und Timbreschattierungen.

Oper Berlin Hoffmanns Erzählungen Heather Engebretson Robert Watson Byung Gil Kim Jana Kurucová

In Hoffmanns Erzählungen herrscht seit jeher ein erfrischendes Überangebot an mittleren und tiefen Männerstimmen! Hoffmanns dämonischen Gegenspielern gibt Byung Gil Kim aalglatte Präsenz, singt aber ganz ohne französische Leichtigkeit, und wenig vokal- und konsonantenecht, was im französischen Repertoire nie optimal ist.

Der ohne Unterlass quer über die Bühne gescheuchte Mâitre Luther profitiert vom Bassfundament des Tobias Kehrer (kecke Haartolle…). Und als eifersüchtiger Sonderling überzeugt François Lis als Crespel. Man erfährt wieder einmal, wie der Crespel neben dem Germont zu den eindrucksvollsten der zeitgenössisch verstandenen Vaterporträts des 19. Jahrhunderts zählt.

Als Erfinder Spalanzani punktet der umtriebige Burkhard Ulrich mit Einstein-Mähne. Andrew Dickinson ist als viermaliger Diener viermal nur halb erfolgreich. Der mysteriösen Mutter des 3. Akts leiht Gina Perregrino die saftige Mezzostimme. Schade nur, dass die Voix de la mère immer hinter der Bühne postiert ist: Ma mère, ma mère, son âme m’appelle. Tyler Zimmerman singt den schattenlosen Schlemil und mit schöner Tenorstimme Matthew Newlin den Studenten Nathanael.

So viele Hoffmanns werden weltweit gespielt. Man kann kaum verlangen, dass jede Rolle frankophon oder zumindest in frankophonem Geist besetzt wird. Dennoch wünschte man sich auch heute Abend mehr Französisch-Expertise.

Die prickelnden Chöre (Studentenchöre im 1. und 5, Festchöre im 2. und 4. Akt) sind heute keine Muster an Koordination und rhythmischer Finesse.

Zu Laurent Pellys, ironische und expressionistische Momente mischender Inszenierung braucht man wenig zu sagen. Die mit Tempo beschlagene, stimmungsvolle Inszenierung punktet nicht zuletzt mit fliegenden Bühnenbildwechseln, für deren Realisation den Bühnenarbeitern Lob gebührt.

Besuchte Vorstellung: vorletzte der Saison 21/22


Weiterer Bericht: „Was ist denn das für ein gemeines Quinkelieren?„(Hundert11)