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Alexei Botnarciuc, Jörg Schörner, Anna Smirnova, Roberto Tagliavini, Tuomas Pursio, Dalibor Jenis, Robert Watson, Irene Roberts, Paolo Arrivabeni, Seyoung Park
Keith Warners Nabucco-Inszenierung ist weder Fisch noch Fleisch.
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Da hilft es wenig, dass Keith Warner eine Vorliebe für kuriose Bühnenbildeinfälle hat. Der rollende Gartenzaun, der im vierten Akt in kühner Diagonale auf die Bühne fährt, provoziert spontane Lacher. Was die Treppenturmapparatur genau für eine Bedeutung hat, blieb wahrscheinlich selbst Keith Warner verborgen. Dafür produziert Warner in der Deutschen Oper Bilder, die das Auge erfreuen. Da ist allen voran der warm leuchtende Holzkubus, der so etwas wie eine Vision des Jerusalemer Tempels darstellt.
Ach ja, nebenbei herrscht der Krieg der Systeme. Die Hebräer, bürgerlich, europäisch, sind Adoranten der Druckerpresse aus den seligen Zeiten der industriellen Revolution. Ihre Frauen tragen hochgeschlossene Novecento-Kleider in strengem Natograu. Die Herren Zweistromländler sind allesamt Paramilitärs, passt scho, siehe Irak. Der Stil ihrer Uniformen ist das, was man heutzutage so schön trendig „zeitlos“ nennt. Wächter des Wortes hier, Krieger in Designklamotten dort, ist auch egal. Hauptsache, Verdis frühes Meisterstück kommt zwischen Belcanto-Verve und drastischplastischer Handlung zu seinem Bühnenrecht.
Mezzo-Diva Anna Smirnova plättet Liebhaber
Der Nabucco von Dalibor Jenis ist ein durchschlagskräftiger Bariton, der Ausdruck lieber durch markanten Vortrag als durch subtile Kolorierungen, die ihm weniger zur Verfügung stehen, herbeiführt. Alles in allem gut.
Abigaille Anna Smirnova singt mit Kraft und Leidenschaft. Sie beginnt, scheint mir, mit belegter Stimme und heftigem Vibrato. Aber dann stellt sie den Mezzo-Turbo ein. Als machtgeiles Prachtweib hat sie den Aufstieg an die Staatsspitze ebenso fest im Blick wie die die A’s und As‘ in „Salgo già“, ihrem Paradestück im zweiten Akt, das sie vibrierend vor Ehrgeiz hinlegt. In Sachen Bühnenpräsenz steckt die Smirnova alle in die Tasche. Kein Wunder, dass sie als Mezzo-Diva mit Trash-Einschlag nebenher den einen oder anderen Liebhaber plättet.
Ismaele Robert Watson handelt sich im ersten Akt mit wagesmutiger Liebestreue Volksverrat ein – er rettet sich später vor dem offenen Messer seiner Glaubensbrüder mit einer kühnen Rolle vom Opfertisch. Watson ist wie die meisten heute Abend darstellerisch blass (Ähem, Herr Warner?), ist vokal aber mit einem schön geführten Tenor ausgestattet, der Italianità ausstrahlt.
Der Zaccaria von Roberto Tagliavini sollte eigentlich sonore jüdische Orthodoxie verbreiten. Tagliavini ist indisponiert. Das ist schade. Einspringer Tuomas Pursio stellt ab dem zweiten Akt seinen Leuchtpult an den linken Bühnenrand. Pursio, im schnieken Anzug, braucht eine Weile, bis deutlich hörbare Intonationsprobleme nicht mehr stören. Es ist doch aufschlussreich, was einem jungen, wackeren Sänger, wie es Pursio ist, (noch) fehlt, um ein Tagliavini zu werden: expansive Phrasierung, nobler Ton, natürlicher Vortrag. Dennoch viel Beifall für Tuomas Pursio.
Die knusprige Babyloniertochter Fenena singt die interessant timbrierte Irene Roberts mit einer Stimme, die Herbes und Anmutiges apart mischt. Den babylonischen Gran Sacerdote singt Alexei Botnarciuc. Jörg Schörner ist ein sorgfältiger Abdallo, verzieht sich im dritten Akt zum Bibelstudium auf die Wendeltreppe und wirkt in seiner schimmernden Edeluniform und Stiefeln als Göring-Look-alike. Seyoung Park ist die schnuckeligspeckige Anna, die im Finale des vierten Aktes den Zuschauerraum mit A’s flutet, bei denen mir das Herz aufgeht.
Dirigent Paolo Arrivabeni hat die Faxen dicke, was Verdi-Brio angeht. Wie ist sonst zu erklären, dass die Ouvertüre die Wirkung einer Schlaftablette besitzt? Zum Abwinken das Orchester nach Smirnovas feurigem „Salgo già“. Ein Einbeiniger nach einer Rückenmarktransplantation humpelt auch nicht mehr als dieses Dutzend Orchestertakte (Herr Arrivabeni??). Und Verdis feurige Tutti-Schläge bei den „Viva Nabucco“-Rufen im vierten Aktlässt Arrivabeni wie lauwarme Lidl-Plörre abspulen. In dynamischem Schummerlicht muss sich „Va pensiero“, der höchstberühmte Gefangenenchor, entfalten, und dass hier zwei Mal ein Fortissimo gefordert wird, darauf kommt heute auch niemand. So sanftunpolitisch wie heuer klang die Risorgimento-Hymne selten. Das Orchester der Deutschen Oper agierte unter Wuschel-Tausendsassa Andrea Battistoni biegsamer, idiomatischer, neulich bei Aida.
Den Nabucco von Warners kann man ansehen, keine Frage. Doch zu vieles bleibt Stückwerk der Regisseur schmeißt mit Versatzstücken um sich die kein schlüssiges Ganzes ergeben. Wie hängt die Druckmaschine mit dem weißhaarigen Gottvater zusammen, der irgendwann auftaucht? Wie bitter dass die Regie darauf verzichtet den Blitz der Nabucco zuerst als Strafe dann als Erlösung trifft irgendwie sinnfällig zu machen. Lob verdient die Lenkung der Chormassen wie auch die Leistung des Chor der Deutschen Oper.
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Arrivabeni dirigiert meist wie eine Schlaftablette. Beim Macbeth war’s nicht viel anders. Vielleicht mag man das in Lüttich ? Die Deutsche Oper sollte noch mehr den Herrn Rizzi-Brignoli holen, der kann echtes Verdi-Brio. Außerdem ist der freischaffend, nicht woanders fest angestellt wie Arrivabeni. Müßte doch gehen, oder ?
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Rizzi-Brignoli höre ich mir mit Don Carlo an. Ich wundere mich immer wieder, wie A. bei den Münchner Opernfestspielen regelmäßig zum Zug kommt. Aber jedem seine Meriten, die A. mit Sicherheit auch hat.
Ich mag es generell sehr, wenn Italiener dirigieren.
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