So macht Wagner Spaß. Im Herbst auf die Bühne der Staatsoper gebracht, vereint die Neuproduktion von Dmitri Tscherniakow untergründige Klarheit und detaillierte Personenführung. Und hält natürlich die eine oder andere Überraschung parat. Nach den Thielemann-Abenden der Premierenserie hört sich die Staatskapelle Berlin nüchterner an, wenn auch kammermusikalisch feiner, insbesondere beim Einfädeln von Holzbläserstimmen ins Leitmotivgewebe. Aber Guggeis‘ Tutti ist hektisch, bunt gar.
Es ist ja so, dass die Sieglinde der Vida Miknevičiūtė scharf und unsinnlich klingt. Doch brennt in ihrer Stimme eine metallische Flamme, was soprantoll zu Nicht sehre dich und Hehrstes Wunder passt, weil darin so viel Not und Nicht-anders-Können liegen.
Robert Watsons Siegmund ist ein hyperaktiver Outcast (exzellent gespielt) mit schöntimbrierter Tenorstimme, die in den Winterstürmen kurzatmig scheint. Watsons Deklamation ist bemüht, die Interpretation bietet Allgemeinplätze, grotesk die Vokalverfärbungen. Für den pistolenputzenden Hunding hat Mika Kares (Uniform, geht mit Socken ins Bett) die Seelenruhe des Bösewichts. Er spielt mit Würde und erlässt uns die fünfunddreißigste Karikatur eines ungehobelten Germanen aus der Cheruskerzeit.

Michael Volle, das ist ein sorgenbedrückter Mann in besten Jahren (grüner Anzug), ein schallender, heldischer, stets textverständlicher Wotan. Das Temperament eines gereizten Cholerikers legt er während der gesamten Vorstellung nicht ab. Toll die gewaltsame Verhaltenheit von Da labte süss dich selige Lust (ähnlich später die Piano-Gewagtheiten von Der Augen leuchtendes). Volles Porträt geht bis zum Sardonischen, nichts ist ihm fremd, selbst Untertöne, die an Vulgäres grenzen, wie der Spott bei der Verstoßung Brünnhildes nicht. Volles Feierlichkeit? Die gleicht einer irgenwie schroffen Herbheit. Das ist souverän. Es entsteht der Eindruck, Michael Volle stehe diese ganze Fülle der Klanggestalten auf bloßes Fingerschnippen zur Verfügung.
Da Volle – bedauerlicherweise – nächstes Jahr nicht Wotan singen wird – und wann wieder? -, denkt man kurz, man bekommt was fürs Leben mit. Kongenial auch das Spiel, herrisch auffahrender Missmut, fahrig zieht der Gott an der Zigarette, da er keine Lust hat, sich mit dem Kuddelmuddel zu befassen, das Brünnhilde anrichtet.

Die gestaltet Anja Kampe burschikos und verletzlich. Dazu verzichtet Kampe passenderweise auf den großen Brünnhilden-Ton. Doch bei allen berührenden Lyrismen, bei aller sorgsamer Phrasierung knausert Kampe an der Autorität des Vortrags, auch bei so was wie War es so schmählich oder der Todesverkündung. Im Forte wirds textunverständlich. Sie schafft sängerisch alles, aber eben nicht außerordentlich. Bei Fricka Claudia Mahnke neigt die Schale zwischen Kantablem und Deklamation zu ersterem. Der Vortrag ist subtil. Ein ausgewogenes Porträt der Wotansgattin ohne die majestas einer Giftspritze.
Beim Walkürenritt machen nicht Guggeis und die Staatskapelle Berlin die Musik, sondern der Walküren übermütige Schar, ob solo, im Duett, Terzett oder alle zusammen. Fabelhaft Gerhilde und Waltraute (Clara Nadeshdin, Michal Doron), klangvoll die Schwertleite (Alexandra Ionis), gut zu hören Siegrune (Natalia Skrycka) und Grimgerde (Anna Lapkowskaja). Ein Vergnügen wie immer das Coda-artige Halt‘ ein, o Vater, das wieder die Kraft eines Frühlingsgewitters hat.
Als George Bernard Shaw 1896 Bayreuth besuchte, dauerte die Walküre von four bis half-past nine. Heute reicht sie von four bis nine. Das liegt an den kurzen Pausen, die exakt 35 Minuten dauern, aber auch an Thomas Guggeis. Shaw hörte Hans Richter, der sich 1896 mit Felix Mottl abwechselte, und Mottl brauchte 1896 für die einzelnen Akte 1:06, 1:32, 1:10. Guggeis braucht 1:00, 1:28, 1:06. Dennoch wird es mir in Akt 1 streckenweise lang. Volles höllischen Nuancen setzt Guggeis – wie Barenboim es vermochte – wenig entgegen, assistiert, statt mitzugestalten. Walkürenritt und Aktenden setzen nicht auf musikdramatische Wucht. Die Poasaunen klingen wie direkt aus der Sommerfrische. Die Herren Barenboim und Thielemann, Sie werden vermisst!
Nächstes Jahr der Linden-Ring ohne Volle, dafür mit Konieczny https://www.staatsoper-berlin.de/de/spielplan/ring/
An der DO singen Paterson/Welton den Wotan
https://deutscheoperberlin.de/de_DE/home-ring
LikeLike
Mal ganz ehrlich: Volle als Falstaff war mir viel lieber. Den sang er inzwischen auch schon an der Met.
LikeLike
Nicht in Frosch in Philharmonie gewesen?
LikeLike
War gut? Nee, geh nicht mehr in konzertante Oper außer bei obskurem Donizetti
LikeLike
Wann singt eigentlich Beczala wieder in Berlin? Zuletzt vor langen fünf Jahren als Rodolfo gehört.
LikeLike
Ja, warum, warum bloß, kommt der denn nicht ? Oder Jonas Kaufmann auch nicht ? Oder wenn, dann nur für Waldbühne oder 9. Sinfonie am Brandenburger Tor ?
LikeLike
Es überleben die, die es wirklich können. Das bedeutet nicht automatisch, daß die nach Berlin kommen, oder !
LikeLike
Wann singt eigentlich Bernheim mal wieder in Berlin?
LikeLike
Das letzte Mal, daß ich ihn gesehen habe, war Lenski. Sehr schön. Aber auf Schönheit stehen die Berliner nicht.
LikeGefällt 1 Person
LikeGefällt 1 Person
Programm ist raus :-)
https://www.berlinerfestspiele.de/de/musikfest-berlin/programm/2023/gesamt/termine.html
LikeLike
Netrebko und Thielemann gebucht?? :-0
LikeLike
Keine Netrebko dieses Jahr für mich, auch kein Musikfest.
LikeLike