So macht Wagner Spaß. Im Herbst auf die Bühne der Staatsoper gebracht, vereint die Neuproduktion von Dmitri Tscherniakow untergründige Klarheit und detaillierte Personenführung. Und hält natürlich die eine oder andere Überraschung parat. Nach den Thielemann-Abenden der Premierenserie hört sich die Staatskapelle Berlin nüchterner an, wenn auch kammermusikalisch feiner, insbesondere beim Einfädeln von Holzbläserstimmen ins Leitmotivgewebe. Aber Guggeis‘ Tutti ist hektisch, bunt gar.
Es ist ja so, dass die Sieglinde der Vida Miknevičiūtė scharf und unsinnlich klingt. Doch brennt in ihrer Stimme eine metallische Flamme, was soprantoll zu Nicht sehre dich und Hehrstes Wunder passt, weil darin so viel Not und Nicht-anders-Können liegen.
Das ist die neue Götterdämmerung. Das ist der neue Berliner Ring.
Tötet Hagen Siegfried, dann tut er dies in der Sporthalle des Forschungsinstiturs ESCHE während einer Pause beim Betriebssport mit einer Fahnenstange. Der Mythos ist zuende, das Walhall Wotans nur noch eine schlurfende Erinnerung, die Schaffung des neuen Menschen an Ring-Fluch und Hagen-Intrige gescheitert.
Es herrscht Jetztzeit, nagelneu die Bestuhlung der vertraut gewordenen ESCHE-Räume. Weggeräumt der DDR-Muff der Siebziger. Der Zuschauer sieht klinisch reinen Stahl und Glas. Wenn noch Gestalten aus der Tiefe des Mythos auftauchen, dann so hager vergreist, so fastnackt wie Alberich (ein barocker Hieronymus oder Chronos) oder stumm wie Wotan, im schon bekannt verlotterten Pensionärslook (und nur noch interessiert an einer netten Tasse Kaffee).
Siegfried hat nicht ganz die Höhe wie Die Walküre. Das liegt an – Thielemann und Kampe. Und an Tscherniakow.
Am zweiten Tag des Bühnenfestspiels, da der Märchenstoff des jungen Siegfried den Göttermythos um Wotan verdrängt, bevorzugt Dmitri Tscherniakow das ruhelose Kreiseln der Drehbühne. Das horizontale und vertikale Ausgreifen der rätselhaften Raumfolgen des ESCHE-Forschungsinstituts tritt (vorerst) in den Hintergrund. Der einsame Alberich schlurft nun ruhelos um Neidhöhle, stößt Tür um Tür auf, bis er auf den gehassten Bruder und seinen alten Widersacher Wotan trifft. Aber was will Tscherniakow eigentlich sagen? War Rheingold die kühne Intrada, war Walküre die virtuose Weitung, ist Siegfried die Verwässerung.
Was hauptsächlich für die Konzeption gilt. In den einzelnen Szenen wird noch leidenschaftlich genau inszeniert. Und gespielt.
Dass ziemlich Gute beim Jung-Siegfried von Andreas Schager (Trainingsanzug, Schlabbershirt) ist, dass er die gedankenlose Garstigkeit dieser kulturlosesten aller Wagnerfiguren umbiegt in etwas, das wirklich nach Aufbruch aussieht. Und Tcherniakov hilft dabei. Er tilgt den Märchenton, der Regie und Tenöre traditionellerweise zu Peinlichkeiten reizt. Weil Schager bestechend singt – spontan, leicht, fest, umwerfend locker in der Aussprache, nie nur Deklamation, immer ein bissl Legato – ist dieser Siegfried imponierend. Schager deutet Wagners Heroentum burschikos in eine Art höheres Anti-Heldentum um. Gegen Schagers Frische wirken alle anderen heutigen Heldentenöre behäbig.
Max Frisch und Martin Walser beim Gedankenaustausch / Foto: Monika Rittershaus
Der Mime von Stephan Rügamer (die Brille à la Max Frisch, die Hose mit Hosenträgern bis über den Bauchnabel gezogen) wird fabelhaft gespielt und listig kichernd gesungen. Dem Wanderer nimmt die Regie meines Erachtens viel, wenn sie Michael Volle als pensionierten Instituts-Chef in ausgebeulter XXL-Sommerjacke nur noch altersmatt durch die ESCHE-Flure streichen lässt (heute hätte ich von Volle auch mehr Gesang gewünscht, und weniger Deklamation). Den Fafner mimt Peter Rose (heute passt sein leicht überreifter Bass) in Zwangsjacke, verwahrlost, asozial, und doch ein gefährlicher Hüne, vor dem Siegfried sich im Zweikampf vorsehen muss. Macht Spaß. Den Drachenkampf habe ich nie packender gesehen.
Der Tag der Einheit gibt sich Unter den Linden frühherbstlich mild, fast spätsommerlich warm. Vor und neben dem rosa Knobelsdorff-Quader finden kleine Demonstrationen statt.
Drinnen geht Die Walküre ihren Gang. Das Institut ESCHE von Göttervater Wotan bleibt der bestimmende Bezugspunkt. Neu ist die vollkommen durchsichtig gläserne Wohnung – durchsichtig auch den Blicken der beobachtenden Forscher -, in der die Wälsungentragödie ihren Lauf nimmt. Siegmund (im Übergrößen-Parka) ist ein schmuddeliger Häftling auf der Flucht mit leicht autistischen Tendenzen, Sieglinde (gelbe Strickweste) wechselt nicht weniger autistisch von dumpf verzweifelt zu jäh impulsiv. Hunding mimt einen hünenhaften Polizisten, der Siegmund mit vorgehaltener Pistole in Schach hält. Kopflos, chaotisch, ohne einen Hauch von Sex flieht das Paar.
Das ist doch das Widerwärtigste was ich noch in meinem Leben gesehen und gehört. Wer da so über Richard Wagner vom Leder zog, war Clara Schumann. Die Notiz entstammt ihrem Tagebuch, Datum ist der 8. September 1875. Clara Schumann hatte in München eine Vorstellung von Tristan und Isolde besucht.