Hier die Kritik von Tristan und Isolde Juni 2019.

Das ist doch das Widerwärtigste was ich noch in meinem Leben gesehen und gehört. Wer da so über Richard Wagner vom Leder zog, war Clara Schumann. Die Notiz  entstammt ihrem Tagebuch, Datum ist der 8. September 1875. Clara Schumann hatte in München eine Vorstellung von Tristan und Isolde besucht.

In einer Neuproduktion von Tristan und Isolde für die Staatsoper Berlin führt Dmitri Tscherniakow jetzt Regie. Es sollte ein kurvenreicher Abend werden, voller Tiefen und Höhen, reich an Verirrungen und Verstörungen. Alles, was Tscherniakow bisher an der Staatsoper anpackte, gelang ja in fast mysteriöser Weise: Mussorgskis düsterer Boris Godunow, Prokofjews rassiger Spieler, Rimsky-Korsakows turbulente Zarenbraut, der düster packende Parsifal, das ist eine Ernte, die sich sehen lassen kann. Aber sein Tristan ist anders. Er erschließt sich nicht einfach.

Der erste Akt spielt in der Offiziersmesse eines vollcomputerisierten Hochseeschiffs. Edles Furnier reicht bis unter die abgehängte Decke, die Eleganz der einschwingenden Wände signalisiert dezente Macht. Es herrscht der Chic, der so mächtig ist, weil hinter ihm die gnadenlose Durchglobalisierung steht. Da sehen wir den Komplex aus Welt, Macht, Ruhm, Glanz, Ehre, Ritterlichkeit, Treue, Freundschaft (Wagner über Tristan) dem der Komponist so eindringlich das Schmachten, Sterben, Untergehen entgegenstellt. Brangäne zappt durch die Bordkameras. Man sieht Tristan am Heckpool grinsen. Beim Plausch mit Isolde kontrolliert sie skeptisch den Nagellack. Und zwischendurch wirft Brangäne in einem Anfall von Gewalttätigkeit die wie eine Furie fluchende Isolde aufs Sofa. Immer verdoppelt die Gestik das in Musik und Text Gesagte: Überdeutlichkeit, die zur Leere wird – als sähe man einen Trupp fröhlich vor sich hin kommunizierender Taubstummer. Als schließlich der Liebestrank seine fatale Wirkung entfaltet, bekommen Isolde und Tristan einen Lachanfall nach dem nächsten. Das ist die volle Regietheater-Dröhnung. Aber es ist eine schauerliche Dröhnung. Ihre Saat wird im dritten Akt aufgehen. Doch hat man je einen ersten Tristanaufzug in einem weniger der Liebesleidenschaft zuträglichen Milieu gesehen? Oder geschieht diese nächtliche Liebe tatsächlich, nur wir Zuhörer und Zuschauer, wir elendige Taggeschöpfe, sehen sie nicht?

Klone der Unbeweglichkeit

Der zweite Akt führt in einen Salon im konservativ-massiven Stil der 40er. Üppiger Riesenteppich, schweres Fischgrätenparkett, Holzintarsien. Die Liebesszene wird zum trostlosen Megagaudi. Ein aufgedrehter Tristan linst um die Ecke, hopst gleich darauf mit Champagner und Häppchen in den Salon. Doch wenn die Musik zum hochdramatischen Overkill ansetzt, sitzen sich Mumien der Unbeweglichkeit gegenüber. Isolde aufrecht, die Hände wie ein einbalsamierter Pharao auf den Oberschenkeln, Tristan auf dem Sessel hingestreckt wie eine Kokainleiche. Hier passiert alles im Inneren und doch passiert nichts. Es ist die Leere einer allgewaltigen Innerlichkeit. So lässt Tscherniakow den narkotisierenden Sog der Musik in eine äußerste Leere laufen. Was wie eine regietheaterliche Umschreibung von Wagners Formel vom laut erklingenden Schweigen klingt, führt ins Innerste dieser Inszenierung.

Tristan und Isolde Berlin Staatsoper 2018 2. Akt Andreas Schager Anja Kampe Tcherniakov
Intensives Tête à tête im Salon / Foto: Monika Rittershaus

Ein Videoeinspieler zeigt Tristans blutende Stirnwunde, eine verstörende Imagination, die das spiegelt, was im Realen nicht geschieht (Video Tieni Burkhalter). Zu O, sink hernieder, Nacht der Liebe hypnotisiert Tristan Isolde mit sanften Yoga-Gesten, als vollzöge er das Ritual einer obskuren Sekte. Nach den Habet-Acht-Rufen der nervös besorgten Brangäne stellt ein aufgekratzter Tristan seine Fragen wie ein manipulativer Talkmaster, der seiner Geliebten die Antworten, von suggestiver Gestik begleitet, aus der Nase zieht (Soll ich lauschen? – Lass mich sterben – Muss ich wachen? – Nie erwachen!). Als Marke in der imponierenden, wuchtigen Gestalt Stpehen Millings erscheint, würgt der hagere Petzer Melot (Stephan Rügamer) Tristan fast zu Tod.

Man wird den Verdacht nicht los, dass da Klone am Werk sind, die in einer schönen neuen Welt des entsubstantialisierten Scheins leben. Sie spielen ihre Leidenschaft nur. Wohin fährt Tscherniakow? Erzählt Wagners Zukunftsmusik hier von der Liebe der Zukunft? Unversehens bekommt das Bühnengeschehen einen beklemmenden Unterton.

Im dritten Akt verwandelt sich die Szene in ein heruntergekommenes Gutshaus. Man denkt an Tschechow, russische Provinz, verarmter Kleinadel, existenzielle Tristesse. Zwei Stühle, ein gusseiserner Kamin (groß wie ein Elefant), ein Büffet. Hinten ein Alkoven: ein Bett, ein Vorhang. An den Wänden eine verschossene Motivtapete. Auf einem versifften Sofa liegt Tristan.

Tristan und Isolde Berlin Staatsoper 2018 Andreas Schager Boaz Daniel
Andreas Schager in Schieflage / Foto: Monika Rittershaus

Da schlüpfen Tristans Eltern herein, der Vater kehrt von der Arbeit heim, sie ist mit Tristan schwanger. Tristan starrt seine Eltern an, doch sie hören nicht, sehen nicht. Es ist eine beklemmende Vision. Denn in diesem Augenblick öffnet sich die Inszenierung in einen Freiheitsraum. Und es kommt einem tatsächlich so vor, als wären das, was man bislang von Tristan zu sehen bekam, in der Tat Truggespenster. Und plötzlich hängt Tristan wund, weh und wahnsinnig über der Stuhlkante, tanzt sich wie ein rasender Pumuckl jämmerlich zu Tode (großartig Andreas Schager).

Und plötzlich folgt ein bewegendes Bild auf das andere. Als Markes Mannen nahen, verrammelt Kurwenal die Tür mit dem Sofa, vergebens, wie man als Zuschauer weiß und ahnt. Kurz knipst einer das Licht aus. Kurwenal windet sich vor Schmerzen am Boden wie ein Zusammengeschlagener in der Berliner U-Bahn. Isolde schmiegt sich am Boden an den toten Geliebten. Schließlich tragen Markes Höflinge den toten Helden, den treulos Treuen, auf das Bett des Alkovens – als fernes Déjà vu von Siegfrieds Tod. Dort liegt er und wartet auf Isolde. Und tatsächlich. Sobald Isolde ihren süßen Schlussgesang, das rührende Mild und leise, geendigt hat, tritt sie zu Tristan. Zum Sterben? Zur Totenwache? Wir wissen es nicht. Sie zieht den Vorhang des Alkovens zu. Aus.

Tristan und Isolde Berlin Staatsoper 2018 1. Akt
Kurs auf Cornwall / Foto: Monika Rittershaus

Nachdem der erste Akt ratlos machte und der zweite immer stärker faszinierte je länger er dauerte, ist der dritte stark.

Das sind die Prämissen seiner Regie: Liebe ist ein Ritual ohne Bedeutung. Von der Tagwelt bietet nur das vollständige Delirium Erlösung. Nicht einmal die Nacht der Liebe. Besonders auf die Leere der Liebe kommt es Tscherniakow an. Ich finde das Sujet so elend; ein Liebeswahnsinn durch einen Trank herbeigeführt, kann man sich da noch im Geringsten für die Liebenden interessiren? Hat sich Tscherniakow etwa die Meinung Clara Schumanns angeeignet für diese verstörend kühle, womöglich eiskalte, schlussendlich aber doch herrlich tiefsinnige Inszenierung? Nein. Nur auf den ersten Blick. In Wahrheit geht sein Blick in die Tiefe seiner Figuren.

Andreas Schager Tristan, Anja Kampe Isolde

Als Tristan ersingt sich Andreas Schager mit hell-hartem Heldentenor und der Feuerkraft seiner Deliriumsrufe stürmischen Applaus. Andreas Schagers Stimme ist ein gut konzentrierter Tenor, durchschlagsstark, angenehm schlank, doch wenig geschmeidig phrasierend, wenngleich um expressiven Vortrag hörbar bemüht.

Die Stimme von Anja Kampe (Isolde) ist in vielem das genaue Gegenteil. Ihr Sopran besitzt einen klaren, warmen Klang, hat aber Mühe, durch das laute Orchester zu dringen. Ihre Artikulation ist lebendig. Lyrische Details entzücken, wenngleich es etwas an der Prägnanz der Artikulation fehlt. Auch genuines Pathos ist nicht eigentlich Kampes Sache. Ein hochdramatischer Sopran ist Kampes Stimme schon gar nicht. Die Mittellage ist schön, die Tiefe flacher.

Der Marke von Stephen Milling klingt metallisch-kernig, und genauso wirkt seine massive Gestalt. Milling beherrscht die Bühne. Der blaue Mantel verleiht ihm etwas trostlos Militärisches. Mittels männlich-herbem Timbre und markantem Volumen gibt Milling einen imposanten König ab, dem freilich die melancholische Wärme René Papes abgeht. Einige Details der Diktion sind verbesserungswürdig (sollt ich hoffään). Im letzten Akt schwächt die angekündigte Erkältung Stimme und Vortrag.

Boaz Daniel ist ein eloquent singender Kurwenal mit schöner Vollstimme. Unvergessen bleibt in dieser Rolle an diesem Haus der zu früh verstorbene Gerd Grochowski. Die Brangäne Ekaterina Gubanowas gefällt mit kräftigem, dunklem, kehligem Mezzosopran. Die kleineren Partien sind gut besetzt. Den Steuermann singt Adam Kutny, Stephan Rügamer singt Melot. Als Hirte und Seemann ist Linard Vrielink zu hören.

Es dirigiert Daniel Barenboim. Es musiziert die Staatskapelle Berlin. Barenboim wählt ein langsames Tempo, ohne auf heftige Beschleunigung zu verzichten (Auftritt Tristans im zweiten, etliche Passagen im tempomäßig fast ruppigen dritten Aufzug!). Auffällig, wie Barenboim mit rundem, warmem, sehnendem Klang eine Gegenwelt zum künstlich distanzierten Bühnengeschehen aufbaut. Es ist eine Welt des Stockens, des Zueinanderfindens, des lyrischen Strömens. Jedes Detail wird mit Bedeutung gefüllt. Dieser Tristan pendelt zwischen Heftigkeitsverlangen und Sanftheitswucht. Ergreifend die von tastendem Leben erfüllten Streichertentakel, die sich um die Stimmen der Bühnenprotagonisten schmiegen wie Ärme um Nacken. Auch die hochdramatische Wucht der ersten beiden Aktschlüsse kommt nicht zu kurz, und die dramatisch erfüllten Szenen wirken mit ihrer Basskraft wie Proklamationen eines bärenstarken Pathos. In Akt drei scheint mir die Raschheit des Orchesters mitunter forciert. Unklarheit ist die Folge. In den nächsten Vorstellungen wird dies sicherlich schärfer konturiert werden.

Viel Applaus für die Sänger, insbesondere für Schager und Kampe. Einige Buhs für die Staatskapelle und Barenboim, wobei unklar blieb ob wegen der Tempodehnungen oder der mitunter fehlenden Transparenz in den Kulminationsstellen.


Weitere Premierenkritik von Tristan und Isolde an der Staatsoper Berlin:

Der faule Zauber namens Persönlichkeit“ (Julia Spinola, NZZ)