Mit einem hauptsächlich Josef Strauß, dem mittleren der drei Strauß-Brüder, gewidmetem Neujahrskonzert läuten die Wiener Philharmoniker das Jahr 2023 ein. Diesjährig dirigiert das 1.-Jänner-Konzert der in Oberösterreich geborene Franz Welser-Möst, der schon 2011 und 2013 die diversen Polka- und Walzerseligkeiten der Strauß, Lanner und Hellmesberger mit feinem Gusto zu Gehör brachte, beim Konzertwalzer nie ins Schunkeln kam, bei der Schnell-Polka nie übertrieb.
So viel ausgesuchte Novitäten hat man beim Neujahrskonzert (Kritik, was sagst du dazu?) freilich noch nie gehört.
Das Virus legt die Axt auch an die reiche Silvesterkonzert-Kultur. In Berlin erklingt keine Beethoven-Neunte, weder von Staatskapelle noch von RSB. Das DSO spielt nicht sein traditionsreiches Zirkus-Konzert und in Deutscher und Komischer Oper schweigt die Operette. Immerhin streamen die Berliner Symphoniker unter dem verheißungsvollen Titel Feuer der Leidenschaft mitten am Silvesternachmittag prickelnde Kost von Strauß, Delibes, Offenbach, Bizet und Paul Lincke. Bernhard Steiner dirigiert, und Anna Werle singt mit echt halbseidener Stimme Ah! Que j’aime aus der Großherzogin von Gerolstein und das Schwipslied aus der Nacht in Venedig. Und Paul Lincke (Berliner Luft) ist doch der alleinige und einzige Berliner Johann Strauß.
Anna Werle: Irgendwas prickelt und kitzelt im Blute
Wenig später bitten die Berliner Philharmoniker in der Digital Concert Hall zum wie immer Party-tauglich früh terminierten Silvesterkonzert, Punkt 18 Uhr. Die gute Tradition themenbezogener Silvesterabende führt ja auch Kirill Petrenko fort. Letztes Jahr mit einem US-amerikanischen Mix aus Gershwin und Weill, 2020 segeln die Philharmoniker unter spanisch-lateinamerikanischer Flagge. Für das erste Stück reicht sogar der vage Bezug Sevilla, wo bekanntlich Beethovens Oper Fidelio bzw. Leonore spielt. Von den insgesamt vier von Beethoven komponierten Ouvertüren erklingt die ein ernstes Jahr ernst verabschiedende Leonoren-Ouvertüre Nr. 3.
Die Wiener Philharmoniker mit dem Neujahrskonzert aus dem Großen Musikvereinssaal. Heuer dirigiert Christian Thielemann, der musikalische Chef von Semperoper und Bayreuther Festspielen.
Ein gebürtiger Berliner schwingt am Neujahrstag in Wien das Taktstöckerl. Kann das gut gehen?
Wie immer bietet das Neujahrskonzert eine bunte Mischung aus Bekanntem und weniger Bekanntem, aus Polka (schnell und langsam), Marsch, Ouvertüre und Konzertwalzer, den Paradedisziplinen gehobener Wiener Unterhaltungsmusik.
Kaum hat man sich vom Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker erholt, steht das Wiener Neujahrskonzert vor der Tür. Volle zwei Stunden erliegt man dem Wiener Charme. Als Nicht-Wiener erliegt man bekanntlicherweise besonders intensiv. Das ist so, als schaute man Strauß Vater im Demel (nur weibliche Bedienung! Wie Wiener Philharmoniker, nur andersrum) bei einem Kaffee Melange tief in die Augen.
Als Berliner spricht man am Jahresersten gerne österreichisch.
Das Neujahrskonzert 2017 dirigiert der 36jährige Gustavo Dudamel.
Es scheint zwischen 1850 und 1900 in Wien kein Ereignis gegeben zu haben, zu dem den österreichischen Komponisten nicht ein Walzer einfiel. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass es in Wien so viele komponierte Tänze gibt wie anderswo Verkehrsampeln.