BR Klassik live.

In besonders ehrlichen Stunden weiß es jeder Wagnerliebhaber. Die Götterdämmerung ist der bescheuertste Tag des Rings.

Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Bayreuth Götterdämmerung Rheintöchter Julia Rutigliano
Bayreuth Götterdämmerung: Hilfe, die Rheintöchter kommen. Mit Julia Rutigliano, Anna Lapkovskaja, Mirella Hagen / Quelle: facebook.com
  • Erstens der Liebestrank. Ein Liebestrank ist im Uraufführungsjahr 1876 ein hoffnungslos altmodisches Theatermotiv. Bayer ist zu diesem Zeitpunkt ein gutes Dutzend Jahre alt, Pfizer schon älter als ein Vierteljahrhundert.
  • Punkt zwei. Brünnhilde ist von einer frischen Geländereiterin zu einer Dame gereift, die salbungsvolle Schlussansprachen hält.
  • Drittens. Lebemann Wotan fehlt. Glaubt man Waltraute, ist er sogar tief depressiv.
  • Punkt vier. Siegfried hat als ausgewachsener Mann die Neigung, in schlechtem Deutsch weitschweifig Schwänke aus seiner Jugend zu schildern, nicht verloren. Das ist tragisch für ihn, mehr aber noch für uns Zuhörer.

Also. Es ist nicht einfach.

Götterdämmerung liegt Catherine Foster. Von den drei Brünnhilden, die sie 2015 in Bayreuth singt, ist diese ihre beste Leistung. Ihr Problem: Unter dem zweigestrichenen C klingt Frau Foster unausgeglichen – im schlechtesten Fall nach angelerntem Ausdruck und schrecklich undiomatisch. Manche Piano-Stelle hört sich nach hochdramatisch aufgeblasenem Poesiebucheintrag an. Und tonhöhenmäßig bewegt Foster sich nach wie vor auf schwankendem Boden. Ab dem zweigestrichenen D (à peu près) aber singt Foster eine Brünnhilde mit kraftvoller, meist verlässlicher und durchdringender Stimme. Und zwar so mühelos, dass Foster vermutlich problemlos die Rolle um einen Ton höher transponiert singen könnte. Ein für ihre Verhältnisse Höchstmaß an Temperament offenbart Catherine Foster in „Echter als er schwur keiner Eide“. Kurz, ich höre heute Abend die eine oder andere Phrase, die mich ernsthaft an meinem Glauben zweifeln lässt, ihr Singen sei genuin undramatisch.

Siegfried Stefan Vinke singt wieder sehr ordentlich. Wagners unzarte Anweisung „zart“ bei „Den hütet ein hehres Weib“ übergeht Vinke nonchalant. Vinke singt frisch drauflos. Das Timbre ist männlich, geradezu attraktiv in der mittleren Lage (also etwa bei „in der Lohe heiliger Hut“, „Was der Taten je ich schuf“ oder „Der Wecker kam: er küßt dich wach“ aus der Sterbeszene). Die energischen Kraft-und-Freude-Stellen, die bei Gould blass bleiben, bekommt Vinke sehr interessant hin. Klar, was stört, sind Unebenheiten, eine gewisse grobmotorische Phrasierung. Tja, und Goulds Siegfried wirkt nach viel mehr IQ.

Gunther Alejandro Marco-Buhrmester singt mit nicht sehr festem, elegant trockenem und hell timbriertem Bariton. Nicht nur bei Gunthers Ausbruch des Verdrusses in der letzten Szene des zweiten Aufzugs liefert Marco-Buhrmester ein suggestives Porträt.

Kantabel und anti-finster legt Stephen Milling den Hagen an. Schade, Milling markiert hin und wieder Volumen. Und fast macht Millings Hunding den Eindruck, als falle es Milling leicht, die Rolle zu singen, und das geht bei Hagen nach hinten los. Das voll gesungene F über dem System stellt ihn  vor keinerlei Probleme. Über alles hörenswert ist Millings finstere Grazie in der Szene Alberich-Hagen, die übrigens textlich und auch dramatisch zu Wagners schlagendsten gehört. Der Alberich Albert Dohmens ist eine der Konstanten des diesjährigen Rings. Als Alberich stimmlich weniger souverän in der Höhe als Milling, im Timbre kerniger, ist Dohmen lebendiger in der Deklamation und überzeugt im Vergleich mit Milling durch einen Vortrag mit größerer Innenspannung.

Allison Oakes singt eine Gutrune, die gemessen an einer gewöhnlichen Bayreuther Gutrune ein unerhörtes Temperamentsbündel ist. Oakes Markenzeichen scheint ein nervöses Vibrato zu sein.

Als Waltraute hat Claudia Mahnke die undankbare Aufgabe, Brünnhilde sozial verantwortliches Handeln beizubringen. Bekanntlich scheitert Waltraute, tut dies aber heute Abend mit einer berührenden Darbietung in den zentralen Passagen der Waltraute-Erzählung.

Die seit 139 Jahren stets etwas muffig wirkenden Nornen sind heuer Claudia Mahnke (2. Norn, zugleich warm und metallisch), die obertonreiche Anna Lapkowskaja (1. Norn, unten kehlig) und Christiane Kohl (3. Norn, leichte Höhe und merkwürdig kindlicher Ausdruck in der Mitte). Die schäkernden und doch so ernsten Rheintöchter sind bei Julia Rutigliano (Wellgunde), Mirella Hagen (Woglinde) und erneut Anna Lapkowskaja (Flosshilde) in guten Händen bzw. Kehlen. Wellgunde bezaubert durch kräftige Farbe, Woglinde mit federleichtem Sopran, Flosshilde durch Stimmcharakter.

Kirill Petrenko ist auf dem Posten. Wieder und auf absehbare Zeit zum letzten Mal. Das Festspielorchester liefert blitzblanken Wagner.

Es hört sich knackig und temporeich an, voll intelligenter Kraft. Eines fällt auf. Petrenko liebt es, das Offensichtliche zu betonen. Also das, was jeder hört, besonders sinnfällig zu machen. Wie beispielsweise das Festspielorchester den Sonnenaufgang des Vorspiels vollbackig herausposaunt! Blendend hell kommt das Prasseln des Orchesters nach Brünnhildes Lebewohl. Der Trauermarsch – zusammengeballter Sound. Wie rassig ist das Tempo nach der Brünnhilde-Siegfriedszene! Der Orchesterton besitzt eine verführerische Rundheit. Es ist verblüffend, wie genau Petrenko die Vor- und Zwischenspiele dirigiert, z.B. das Triolengeschiebe der

Geigen und Bratschen zu Beginn des zweiten Aufzugs. Dafür fehlt das Schwer-Atmende. Fanfaren der Trompeten wirken wie Abziehbilder. Das erinnert an CD-Sound, zurücktransportiert in

Live-Musik. Keine Chance für das Ächzen im musikalischen Gebälk. Aber dennoch ist das Ganze ein hervorragendes Ringdirigat. Schade, dass es Petrenkos letztes Bayreuther Ringdirigat ist. Aber auf Marek Janowski, den Noch-Chef des RSB, darf ich mich auch freuen.

Hier lesen Sie eine Kritik des Bayreuther Siegfrieds 2016 unter Marek Janowski.