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Live-Stream Die Walküre, Staatsoper Wien.
Man muss nicht unbedingt annehmen, dass Sven-Eric Bechtolfs Regie haarsträubend originell ist. Sie ist solide, etwas langweilig und funktioniert wunderbar. Das Bühnenbild im ersten Akt gefällt mir: Tischgruppe um Baum.
Christopher Ventris: Dieser Siegmund ist halb wettergegerbter Kapitän, halb Womanizer. Die Stimme ist hell, Ventris phrasiert gut. Zwischenatmer sind häufig. In Akt I, 1 singt Ventris natürlich und wortverständlich. „Winterstürme“ gelingt gut. „Nächtiges Dunkel senkt sich“ singt er mit gebremster Emotion. Am Ende von Akt I kündet eine streifige Höhe von Überanstrengung.
Waltraud Meier: Sieglinde. Es ist schon gut, wie Frau Meier „Der Männer Sippe“ auf dem Küchentisch stehend Ventris ansingt und im Angesicht von Ventris‘ lyrischen „Winterstürmen“ ausflippt vor Glück. Man hört’s: Silben werden stärker hervorgestoßen als früher. Im Brustregister passieren Stimmabbrüche. Doch die A’s haben im ersten Akt durchweg Kraft und Leidenschaft. Und die G’s und das A’s in „hehrstes Wunder“ klingen so sehrend wie eh und je.
Ain Anger: Hunding ist ein Schrank von Mann in Filzkleidung. Dieser Hunding sieht wie Zlatan Ibrahimovic aus. Angers Hunding ist die Finsterkeit in Person. Sein Bass ist mächtig. „Fort aus dem Saal!“ kann man kaum drohender singen.
Tomasz Konieczny: Der Pole geht als Wotan ins Rennen. Koniecznys Wotan zeigt zwei Seiten. Zum einen bietet er als Wiener Wotan ein intelligentes und emotional komplexes Porträt. Seine Stimme ist kernig, hell, herb und biegsam. Lyrische Passagen wie „da labte süß dich selige Lust“ deutet Konieczny radikal menschlich.
Zum anderen ist da die fehlende Ruhe und Wucht, um die von Proust’scher Beredsamkeit gefüllten Monologe im zweiten Akt zu bewältigen (Da ist auch Adam Fischer nicht ganz auf der Höhe). Hier ist Konieczny nervös. Schade auch, dass er dazu neigt, deklamatorische Energie mehr zu markieren als zu singen. Kleines Manko am Rande: In den raschen Partien ist der Bassbariton manches Mal näher am Parlando als am Singen.
„Der Augen leuchtendes Paar“ ist eine eminente Leistung, ohne (noch) die berührende Größe von Wolfgang Kochs Leistung zu erreichen. Das F in „nur eines will ich noch: das Ende!“ steht ihm problemlos zur Verfügung.
Linda Watson: Watsons Brünnhilde ist eine reife Dame von imposanter Erscheinung. Ihr langgedienter Sopran hat jenes ehrwürdige Alter erreicht, da alle Farben monochrom sind. Die Textur der Stimme ist blitzblank gescheuert. Über dem System flackert die Stimme wie eine Glühbirne mit Wackelkontakt. In diesem Bereich sind Vokale mehr Wunschdenken als Realität. Über Watsons Hojotoho-Rufe breite ich den Mantel des Schweigens.
Doch „Der diese Liebe mir in’s Herz“ singt sie mit klarem, leuchtendem Piano. Und schließlich genügt sie den Ansprüchen der Partie. Sie hat Kraft für den dritten Akt und vermag das Fortissimo-Orchester mit gleißenden Spitzen zu dominieren.
Watsons Erscheinung leidet unter unglücklicher Kostümierung (Kostüme Marianne Glittenberg). Ihr Mantel trägt Epauletten aus Glitzerpuscheln. Das funkelnde Paillettenshirt flößt in der Todesverkündung keine Ehrfurcht vor dem Tod ein.
Michaela Schuster ist eine theatralische Fricka mit vokalem Aplomb.
Unerwarteter Weise wartet die Walkürenszene (Akt III, 1) mit Ironie auf. Eine Rasselbande pferdevernarrter Wunschmädls macht Brünnhilde und Sieglinde das Leben schwer. Es singen Regine Hangler (Helmwige), Margaret Plummer (Waltraute), Hyuna Ko (Ortlinde), Ilseyar Khayrullova (Grimgerde), Ulrike Helzel (Siegrune), Caroline Wenborne (Gerhilde), Carole Wilson (Schwertleite) und Isabel Seebacher (Rossweiße).
Ein Buh nach Akt I. In der zweiten Pause übt die Basstuba das Vertragsmotiv.
Adam Fischer: Er dirigiert genau, fast lyrisch, mit gutem Ohr für die gleitenden Streicherschichten, mit gutem Gefühl für die ausdrucksmäßigen Prozesse sowie dynamisch sehr variabel. Straff ohne Schwere ist der erste Aktschluss. Es ist ein Schuss Karajan in Fischers Walküre.
Das Wiener Staatsopernorchester: Ein Labsal ist die allgegenwärtige Wärme der Streicher, die sich bis zu wächserner Hitze steigern kann. Abgründig schön gelingt das „äußerst zart“ der Bratschen in der Todverkündungsszene. Manche Fanfaren des Blechs wirken trocken – Fischer will es so. Der Walkürenritt klingt nach Ringelpiez. Der Schluss des dritten Aktes klingt wegen der Staccato-Achtel der Piccoloflöten wie Minimal Music. Die Kulminationsstellen haben nicht Barenboims herbe Leidenschaft, nicht Thielemanns goldene Massivität, nicht Rattles Wucht, nicht Kirill Petrenkos Schärfe. Dem Schluss fehlt die zusammenschließende Gewalt. Das kann Barenboim am besten.
Dennoch eine gute Walküre.
Zwei einsame Buhs beim x-ten Applaus, ich nehme an für Watson (oder für Fischer).
Bechtolfs ungenügende Regie (erinnert mich von Fern an den Frankfurter Wernicke Ring Mitte 1990er) einmal beiseite gelassen, war die Live Übertragung ein Genuss. Ärgerlich nur, dass das Bühnenbild aus Rheingold unvermutet wieder auftauchte, wo die Steinblöcke wie Altäre herumliegen.
Man kann diskutieren ob Fischer den Herren Thielemann und Rattle das Wasser reichen kann, aber Fischer dirigiert eben anders. Was man so hört, muss der Thielemann Ring das Nonplusultra gewesen sein. Thielemann habe ich in der Wiener Staatsoper mit dem Ring nicht live gehört, aber es hat jeder seine Schwächen und Stärken.
Ich befürchtete, der schmal gebaute Konieczny würde zusammensacken, als die füllige Linda Watson im 2. Akt sich ihm vertraulich auf die Schulter stützt. Auch witzig wie Wotan seine Lanze wie ein Rotor schwingt, um die Walküren zu vertreiben.
Und des bösen Ain Anger Rock verpasste die Kostümerie einen Pelzstreifen, der eindeutig russisch aussah. Ein Schelm wer dabei Böses denkt.
Ich habe die Drücker bei Konieczny mit Sorge gehört. Es bleibt zu hoffen, dass Konieczny in zehn Jahren noch in der Lage ist, Wotan zu singen. Als Alberich gefiel er mir besser. Aber wo gibt es schon den perfekten Wotan?
Diese symbolische Waldkulisse hat man schon oft gesehen, von Berlin bis Köln.
PS: stämmige Walküren gehören einfach dazu.
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