
Wozu sind Hochsommersamstagnachmittage anders da als Bayreuth zu hören?
Neuer Tristan. Thielemann dirigiert. Gould und Herlitzius singen. Die Urenkelin inszeniert.
BR Klassik.
Was macht Christian Thielemann? Er ist zügig. Straffe Linienführung. Klares, präzises Klangbild. Kein Klangzauber. Kein Hyperlyrismus à la Barenboim. Nebenstimmen sind fest integriert. Thielemann akzentuiert das Stockende nicht. Aber es gibt auch lange Fermaten (vor „Trug des Herzens“). Thielemanns Pianissimi sind so wenig mystisch wie sein Scheitel.
Das Schmettern des ersten Aktschlusses liegt Thielemann. Das Festspielorchester spielt vorzüglich.
Das Vorspiel zum zweiten Aufzug startet als fröhliches Genrebild.
Die Dreifach-Fortes zeigen bei allem Feuer Zurückhaltung. Das Vorspiel zum dritten Aufzug ist von wunderbarer Klarheit. Herrliche Streicher. Superbes Handwerk.
Thielemanns letzter Tristan war 2003. Er war in Bayreuth Assistent bei der Barenboim-Ponnelle-Produktion.

Die Sänger schlagen sich gut. Die Kritik fällt schwer.
Die Isolde von Evelyn Herlitzius ist kühn und extravagant gesungen. Rein stimmlich ist Frau Herlitzius eher der Typ gestopfte Trompete als der Typ Posaune. Zuerst die Negativa: Ihre Stimme ist dynamisch unstet, flackert unter Belastung hart, die Höhe wird oft hervorgequetscht und klingt borstig. Durch das Vibrato produziert ihr Sopran keinen harmonischen Klangstrom. Der schiere Ausdruckswille führt zu redegleichem Gestus („Zu dem Stolzen geh'“). Größere Intervallsprünge aufs e oder f wirken unsicher.

Und damit zu den Positiva, die wie oft im Leben mit den Negativa eine Menge zu tun haben: Das spezifisch Hochdramatische ihrer Stimme wird durch das expressive Flackern des Vibratos hervorgerufen. Dazu kommt ihr klangdichtes, vibrato-gesäuertes Timbre. Ihr Sopran ist so wunderbar durchsetzungsfähig. Die Gs und As unter voller Belastung klingen superb. Glanzstellen sind die langen Piano- und Pianissimo-Passagen nach Brangänes ersten Habet-Acht-Rufen. Und „Als für ein fremdes Land…“, was sensibel und überzeugend gesungen wird. Großartig ist der Ausdruck in „Nur der Täuschung Ende mein Herz…“
Hier noch einige Beobachtungen.
- Hmm ja, das hohe C („O Wonne der Seele“) zu Beginn des zweiten Aufzuges gleicht einem Trabbi nach dem Crashtest.
- Das macht Evelyn Herlitzius schon seit Jahr und Tag, nämlich Töne von unten anreißen: „Frau Minne ke—entest du nicht?“
- „Das Schwert – da ließ ich’s sinken“, eine der unvergesslichen Stellen der Waltraud Meier, bleibt bei Herlitzius matt.
Und Herlitzius‘ „Mild und leise“ hat so viel Energie und so viele Details, dass ich meinen müden Ohren Höchstleistung befehle. Welch gesanglicher Ausdruck. Welch Singen aus dem Inneren.
Es bleibt dabei. Eine der Botschaften, die er Tristan bereithält, ist, dass mit Irinnen nicht zu scherzen ist, insbesondere wenn sie Soprane sind.
Christa Mayer ist Brangäne. Gibt es eigentlich überhaupt schlechte Brangänen? Christa Mayer singt energisch vibrierend und obertonreich brodelnd. Das g in „O Wunder!“ klingt aber doch anstrengend. Sonst ist die hohe Stimme quasi glockenrein, doch einen Tick undramatisch, mit nicht ganz natürlich bewegtem Vibrato. „Einsam wachend“ klingt klar wie ein bayerischer Bergsee.
Iain Paterson ist Kurwenal und singt im 1. Akt kraftvoll höhnisch, im 3. treu besorgt. Einer der besten heute Abend.
Und damit zu Stephen Gould. Vor kurzem habe ich Goulds Siegfried gelobt. Was sage ich. Über den grünen Klee gelobt. Sein Tristan ist anders. Ja, wenn jeder Wagnertenor technisch so wunderbar sänge, wäre die Welt gerechter. Als habe Gould direkt nach der Geburt eine Rundum-Sorglos-Versicherung beim Gott des Gesanges abgeschlossen. Aber Gould verbindet die Kraftreserven eines Heldentenors mit dem Mindset eines lyrischen Tenors. Das Düster-Stockende liegt ihm nicht („bleich und düster“). Man hört Gould an, dass er alles richtig machen will. Er akzentuiert mit großer Freude („dem Eifer, den mein Glücke schreckt“, „Wie sie fas-sen“). Das hat was von Ringelpiez im Kindergarten.
Das magische „Durch des Todes Tor, wo er mir floss…“ hat keine Magie. Und „all‘ Gedenken“ klingt so mystisch wie Schäuble bei der Verteidigung des Bundeshaushalts. Auch bei „was du frägst, das kannst du nie erfahren“, wo es um krasse Romantik emotional besonders begabter Außenseiter geht, steigt Gould aus. Was Herlitzius im Übermaß hat, deklamatorische Präsenz, hat Gould nur in Spuren. Herlitzius‘ Vibrato ist hyperaggressiv. Sein Vibrato ist übervernünftig.
Meisterhaft sein H in „bin ich die Welt“.
Raimund Nolte ist der schönstimmige, aber nicht sehr aufregende Melot.
Georg Zeppenfeld ist Marke. Zeppenfeld klingt jünger als Salminen mit seiner Weisheitsstimme voll stimmlicher Üppigkeit und Phrasierungszauber. Zeppenfelds voll gesungene Höhe (H) ist etwas hölzern. Unverbindliche Männlichkeit. Trockene Phrasierung. Die Ausdrucksspanne passt besser zum Landgrafen denn zu Markes Tristanschmerz. Klingt ein bisschen nach Arie und nicht nach Tristan. Geschenkt, der Sänger ist prachtvoll. Die Ausbrüche sind („Die kein Himmel erlöst“) mitreißend.
Tansel Akzeybek ist Seemann und Hirte und hat eine enge Stimme.
Herrlich autonome Kritik. Beim Spiegel (http://www.spiegel.de/kultur/musik/wagner-in-bayreuth-tristan-und-isolde-premiere-gelungen-a-1045368.html) wurde über den grünen Klee gelobt. Die Kommentare der Hörer dort schreiben interessanterweise das gleiche wie hier. Nicht jeder Journalist scheint auch ein Kenner klassischer Musik zu sein…
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Die gute Herlitzius. So isse nun mal. Herlitzius war Dreh- und Angelpunkt. Waltraud Meier ist der Rolle inzwischen sozusagen entwachsen. Für Gesangstheoretiker ist die Dame sicherlich ein Graus. Auf der Bühne ist sie großartig. Iain Paterson super.
Buhs für Thielemann? In Bayreuth?? Klasse. Die sind meschugge, die Bayreuther. Yep. CT machte auf objektiv, aber sehr überzeugend, wie ich fand. Cool, Thielemann.
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I liked the staging a lot
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Grottenschlechte Regie.
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Man kann sich nur wundern über diese Herlitzius-Isolde. Live mag sie mitreißen, was ich gerne konzedieren will. Ich habe sie selbst schon mehrmals erlebt. Wer sich bei der Radioübertragung indes an die Fakten hielt, also an die akustischen Tatsachen, hörte eine überaus bedenkliche Interpretation. Da ist ein Sopran, der sich fortwährend „dramatisch“ produziert, was nichts anderes heißt als exaltiert und sentimental. Die Stimme ist leiernd, Herlitzius putscht den Vortrag ununterbrochen künstlich auf, so dass der Hörer pausenlos unsauber intonierte Höhe serviert bekommt. Da hilft alle sogenannte tragische Intensität nicht weiter. Und dann noch die scharfen, schlecht sitzenden hohen Töne. Nichts für mich.
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Ich stimme dem Vorkommentator zu. Frau Herlitzius hüpft durch die Partitur, dass es ein Graus ist. Christian Thielemann und das Orchester waren im Vergleich zu Herlitzius ein wohltuender Ruhepol. Und ja, Christa Mayer klang wunderbar schön.
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