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Es war kein befriedigender Abend.
Im ersten Akt hatte ich mit Lance Ryan, Wagners schlechtem Deutsch und meiner Müdigkeit zu kämpfen.
Der zweite Akt ging besser. Meine Müdigkeit wurde erträglicher. Das galt leider nicht für Lance Ryan und Wagners Deutsch. Auch die Dame neben mir schien heute etwas angeschlagen.
Reden wir über den dritten Akt.
Lance Ryan. Hmm. Lance Ryans psychologische Feinheit gleicht der eines kanadischen Waschbären. Subtilität liegt ihm so fern wie Höflichkeit einer Berliner Kassiererin. Eine Art Mainstream-Affekt auf Comic-Niveau macht sein Singen über weite Strecken tödlich langweilig, vorausgesetzt, man hört Siegfried nicht zum ersten Mal. Akzente singt Ryan mit schlampiger Burschikosität. Immer wieder gibt es Töne, die nicht die Bohne in die Linie integriert sind.
Seine Leistung ist ungenügend. Nervig ist „Ha, wonnige Glut! Leuchtender Glanz etc.“ Gäbe es eine Tonaufzeichnung, würde eine Überprüfung der Frequenzen bei so ziemlich jedem Ton über dem System falsche Tonhöhen ergeben. Ich verwette meine guten italienischen Schuhe drauf. Respekt vor Ryans Reserven, aber Ryan schrottet das Finale. Es gab nur drei Buhs, aber immerhin. Warum zieht Ryan ständig den rechten Fuß nach? Wollte Götz Friedrich das so?
Evelyn Herlitzius (Brünnhilde) got a Buh, too. Auch heute Abend ist Frau Herlitzius eine vitale, junge Dame mit diesem großartigen Sopran. Oh Mann, diese Genauigkeit, die dramatische Wahrheit, das natürliche Pathos. „Ewig war ich“ ist zart und feurig, genau wie von Richard dem Großen gewollt. Dennoch. Ich behaupte jetzt, dass die Siegfried-Brünnhilde ihre vokale Physis übersteigt. Und: Warum setzt man Evelyn Herlitzius innerhalb von acht Tagen drei Mal als Brünnhilde ein? Rheinhold Messner macht auch keine drei Achttausender in einer Woche.
Samuel Youns Wanderer ist gut. Doch seinem Bassbariton fehlen heuer Konstanz, ein unverwechselbarer Ton, souveräne Akzente. Sein Ausdruck ist ständig von Unverbindlichkeit bedroht. Er neigt dazu, dramatische Heftigkeit zu markieren, anstatt sie wahrhaft herzustellen. Nirgendwo erreicht er dramatische Sinnfälligkeit oder Wortnähe von Thomas J. Mayers Walkürenwotan. Seufz. Das alles kann man fast 1:1 von Ewa Wolak sagen, die die Erda mit solider Gediegenheit singt.
Eric Owens ist Alberich, Burkhard Ulrich Mime, Tobias Kehrer Fafner, Siobhan Stagg Waldvogel.
Simon Rattles Leistung ist weniger einzigartig als am letzten Sonntag. Der dritte Akt: Mir gefällt die Zügigkeit. Vorspiel sehr schön. Mir missfällt, dass das Orchester heute unstabiler, unfertiger, weniger aus einem Guss als am Sonntag klingt. Es gibt berührende Stellen. Es gibt gelungene Lockerheit. Klaro. Doch ich höre kaum etwas von der Großartigkeit des zweiten oder dritten Walkürenaktes. Das Blech kann hörbar unsubtil sein (Schwermotiv Hörner, Finale) oder wird plakativ über den Gesamtklang gelegt. Dem 3.-Akt-Finale fehlt jene Unausweichlichkeit, die es zu dem strahlendsten aller Finales macht – oder machen kann.
3 Buhs für Lance Ryan (Yes!), 1 Buh für Evelyn Herlitzius. Das Buh für Herlitzius geht mit ziemlicher Sicherheit auf die so-là-là-Spitzentöne – das verrutschte hohe C – in „Ewig war ich“ und „Fahr‘ hin, Walhall’s leuchtende Welt“ zurück.
Götz Friedrichs Inszenierung beweist erneut erstaunliche Jugendfrische.
Ich mache mir einen schönen Samstag (Wannsee-Spaziergang bis Glienicker Brücke?) und warte auf die Götterdämmerung.
Eine überzogene Kritik ohne jede sachliche Grundlage. Lance Ryan sang einen sehr guten Siegfried und wurde deswegen zu Recht vom Publikum gefeiert. Ich frage mich, aus welchem Grund der Rezensent eine so offensichtlich falsche und unverhohlen tendenziöse Kritik schreibt.
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Ich muss dem Rezensenten leider absolut recht geben, da ist nichts tendenziös. Das war vokal leider völlig daneben und das Orchester konnte es nicht rausreissen. Dass das Publikum das nicht gehört hat (haben will), muss ja nichts heissen…
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Interessante Kritik. Ich habe Lance Ryan im Berliner Siegfried nicht gehört. Aber in der „Götterdämmerung“ der Bayreuther Uebertragung und mir hats gereicht. Es macht den Anschein, als würde er die Zuhörer in zwei Lager teilen. Also ich gehöre in das, das ihn nicht mag….
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Ein unterirdischer Siegfried-Abend. Das Orchester über weite Strecken unkonzentriert; öftersgab es zwei Orchester zu hören – eines links, eines rechts, das einen ganz anderen Rhytmus spielte, mittendrin ein verzweifelt den Dirigentenstab winkender Sir Simon Rattle. Das war kein großer Musik-Genuss. Dieser Eindruck wurde untermauert durch die beiden überforderten Hauptpartien.
Lance Ryan mag vor ein paar Jahren seine große Zeit gehabt haben – mittlerweile sind aber die fetten Jahre definitv vorüber. Er preßt in der Höhe, trifft die Töne meist nicht. Ein souveräner Heldentenor ist etwas anderes. Evelyn Herlitzius bleibt in der Brünnhilde-Rolle ebenso vieles schuldig. So schön ihre Stimme in der Mezzo-Lage auch klingt: Es fehlt Ihr an Kraft und Souveränität in der Höhe. Die gut besetzten anderen Gesangs-Partien konnten es nicht herausreissen: Die diesjährigen Berliner Ring-Aufführungen in Staatsoper und Philharmonie waren um Klassen besser.
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Ja, es war nach der Walküre sehr erstaunlich und schlussendlich enttäuschend, dass das Orchester bei Siegfried kaum etwas zustande brachte. Ich erwartete, dass Rattle Siegfried besonders liegt. Ja, Siegfried war an der Staatsoper deutlich besser. Bei Walküre und Götterdämmerung würde ich offenlassen, ob Staatsoper oder DOB besser waren. Peter Seiffert war an der Staatsoper zwar eine große Nummer, aber die Brünnhilden von Catherine Foster und Iréne Theorin waren nicht immer eine ungetrübte Freude. Foster wegen der blassen Ausstrahlung und Theorin wegen eines recht robusten Tones, der nur in den expansiven Passagen voll überzeugte, in den lyrischeren hingegen meiner Meinung nach weniger.
Das Gutrune-Waltraute-Duo Poplavskaya & Prudenskaja überzeugte mich an der Staatsoper auch nicht voll.
Die Pluspunkte an der Staatsoper waren eindeutig Seiffert, Johannes Martin Kränzle und René Pape. Auch Ian Storey war natürlich eine andere Klasse als Ryan.
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