Frühling für Frühling schleust der Betrieb neue Soprane, Tenöre und Baritone durch Dieter Dorns Sandsack-Traviata.
Zuerst käufliche Partydame, dann opferwillig Liebende: Als todkranke Violetta Valéry ist an der Berliner Staatsoper Irina Lungu zu hören. Am besten kann sie den Verve der Verzweiflung, die melodramatisch Sterbende im dritten Akt. Sie singt mit Einsatz und Leidenschaft, aber ohne Grazie. Die verzierten Passagen im ersten Akt rollen ohne größere Feinheit ab. Die Spitzentöne machen nicht nur Freude. Wie bei den meisten russischen Sängerinnen ist die Diktion verwaschen, der Vortrag wenig textdeutlich. Das den ersten Akt bschließende hohe Es ist kein Genuss, wird aber stürmisch gefeiert.
Eugen Onegin Daniel Barenboim Achim Freyer Anna Samuil Artur Rucinski Rolando Villazón Maria Gortsevskaya Margarita Nekrasova Stephan Rügamer
Rolando Villazón singt wieder – auf russisch // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de
Die letzte Vorstellung in der alten Staatsoper der DDR. In der renovierten Staatsoper wird der Schweiß Tausender DDR-Bürger, Abertausender Stasi-Spitzel und Erich Honeckers verschwunden sein. Die Arien Rolando Villazóns werden endgültig verhallt sein, ebenso wie die Magie von Barenboims Parsifal. Der Rücktritt Horst Köhlers traf mich ebenso. Nie wieder wird Horst Köhler samt bezaubernder Frau in der Mittelloge sitzen und bescheiden, mit aufmerksamem Gesicht Wagner hören. Was uns statt dessen blüht, kündigte ein Blick in die Mittelloge während dieses Eugen Onegin an, die mit einem schwitzenden Wirtschaftsminister Brüderle und einer für Berliner Verhältnisse schon skandalös unsexy wirkenden Gattin besetzt war.
Na gut, immerhin war der Regierende Bürgermeister Wowereit da, der allerdings lieber mit der geistreichen und schicken Charlotte Knobloch, der Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, die eine Reihe hinter ihm saß, plauderte, als mit Brüderle. Bei Joschka Fischer mutmaße ich immer, dass er lieber Pink Floyd hört als das Staatsopernorchester, doch vielleicht ist seine Gattin unerwarteterweise eine umfassend gebildete Muse ersten Ranges. Fischer hat sich als a.D.-Politiker auch irgendwo in den Seitenrang hin verdrückt. Nach dieser Saison kann ich drei Jahre lang keinen Tristan und fünf Jahre lang keinen Eugen Onegin hören.
Die Musik. Die Festtage scheinen schon weit weg. In der ersten Vorstellung der Festtage war Rolando Villazón ein in homöpathischen Dosen und mit äußerster Vorsicht singender Schatten seiner selbst. Barenboim dirigierte mit nie gehörter gespenstischer Leisheit. In der zweiten Vorstellung gelang Rolando Villazón die alte Sicherheit in der Duellszene zurück. Es ging ein Aufatmen durch das gesamte Publikum.