Frühling für Frühling schleust der Betrieb neue Soprane, Tenöre und Baritone durch Dieter Dorns Sandsack-Traviata.

Zuerst käufliche Partydame, dann opferwillig Liebende: Als todkranke Violetta Valéry ist an der Berliner Staatsoper Irina Lungu zu hören. Am besten kann sie den Verve der Verzweiflung, die melodramatisch Sterbende im dritten Akt. Sie singt mit Einsatz und Leidenschaft, aber ohne Grazie. Die verzierten Passagen im ersten Akt rollen ohne größere Feinheit ab. Die Spitzentöne machen nicht nur Freude. Wie bei den meisten russischen Sängerinnen ist die Diktion verwaschen, der Vortrag wenig textdeutlich. Das den ersten Akt bschließende hohe Es ist kein Genuss, wird aber stürmisch gefeiert.

Violettas Tenor-Liebhaber ist Freddie De Tommaso, der über eine attraktiv timbrierte, kräftige lyrische Stimme verfügt. Dass der Tenor klug die Mitte zwischen viril abgedunkeltem und lyrisch emotionalem Vortrag wahrt, gerät zum Vorteil. Den Raum der Staatsoper füllt er mühelos. An Verve hat er weniger als Lungu, an Spannung und Stilgefühl mehr. Pati letztes Jahr war auch nicht schlecht, aber De Tommaso ist summa summarum einer der besten Alfredos, die ich in den letzten zehn Jahren gehört habe. Was Lungu sich leistet (das hohe Es), spart sich De Tommaso klugerweise (das hohe C) in seiner Cabaletta Anfang des 2. Akts.

Der Germont Vater von Artur Ruciński wandelt sich vom kompromisslosen Familienleitwolf zum mitleidenden (Schwieger?)vater in spe. Rucińskis Bariton hat Metall, Stetigkeit, guten Fokus, beeindruckendes Legato. Im Vergleich zu Alfredo Daza, der den Germont hier jahrelang sang, klingt Ruciński neutraler, weniger engangiert. Hat Daza Noblesse des Herzens, hat Ruciński Noblesse der schönen Linie. Die lebenslustige Flora verkörpert Natalia Skrycka (Stola, Kleid), sehr präsent ihr Lover, der Marquis von Arttu Kataja. Die rührend sorgende Annina ist Katharina Kammerloher (blaues Kleid). Der Alfredo freundlich gesinnte Gastone findet in Andrés Moreno García seinen Comprimario-Meister. Als Douphol brilliert der vife, immer schlecht gelaunte Benjamin Chamandy, als Faktotum mit Ledertasche der Doktor David Oštrek. Gut der Chor.

Andrés Orozco-Estrada macht aus La Traviata keine metaphysische Abhandlung, sondern nur eine sehr gute Verdioper. Die Staatskapelle spielt lebhaft, mit Freude an Detail und frischem, bisweilen fast verspieltem Ausdruck. Toll die Klarinette im 2. Akt.