Als Berliner, der einen gehörigen Teil seiner bisherigen Lebenszeit in der hiesigen Staatsoper mit dem Anhören von Barenboims Tristans verbracht hat, höre ich Peter Schneiders Tristan-Dirigat mit demselben konzilianten Snobismus an, mit dem Bekannte aus München oder Madrid die Preise des Berliner Wohnungsmarkts kommentieren.
Nach ein paar Minuten erkennt man jedoch die Qualitäten Peter Schneiders. Dirigent Peter Schneider leitet sauber, expressiv abgedämpft, dem Zuhörer die Qualitäten der Musik unverbindlich vorführend, ihn aber nicht verführend, mit gepflegter Triebkraft im Vorspiel, im Folgenden die musikalischen Fäden im Hintergrund knüpfend, schönlinig, mit einer Art liebevollen Professionalität, eher begleitend und bei den großen Steigerungen auf Übersicht abzielend, und auf keinen Fall zu schnell.
Iréne Theorin: Nach 10 Sekunden denke ich: kurzatmig, wenig Klang, verformte Vokale in der Tiefe. Nach 10 Minuten denke ich: eine achtenswerte Isolde. In der Mitte und Höhe ist Frau Theorin mit einem robusten Vibrato gesegnet bzw. geplagt – das kommt auf den Geschmack an. Nicht vieler Ausdrucksvarianten fähige Höhe, die gellend klingen kann. Die besten Stellen bleiben ihrer Mittellage und besonders ihren gedämpften Dynamikgraden vorbehalten, wenn auch hier oft die Eindeutigkeit des Ausdrucks fehlt. Nachdrücken mit der Stimme, wenn sie Ausdruck will („Gegengift“). Im zweiten Akt leistet sie an einigen Stellen Großes. Iréne Theorin fehlt Waltraud Meiers Autorität, Nina Stemmes (Stimm-)Schönheit und Evelyn Herlitzius‘ Heftigkeit.
Robert Dean Smith: ein tapferer Recke, der der Tristanpartie kaum etwas schuldig bleibt als wahrhaft unvergessliche Stellen. Der einzige Fehler, der wirklich ins Gewicht fällt, ist sein unpoetischer Name. Im zweiten Akt unvergleichlich souveräner als seine Isolde Iréne. Toll, wie die beiden die umfassende nekrologische Diskussion (etwa von „Stürb‘ ich nun ihr“ bis „So stürben wir“) dank Tempodrosselung und sorgsamsten Singens mit aller gebotenen philosophischen Intensität führen – nebenbei bemerkt wahrscheinlich die Stelle mit der größten Konjunktiv-II-Dichte der gesamten Opernliteratur. Ähnlich den deutschen Schwimmern in London scheint Smith das Durchhaltevermögen nach hinten raus (3. Akt) zu fehlen. Als Michael Phelps des Wagner-Gesangs geht Robert Dean Smith an diesem Abend nicht in die Geschichte ein. Schlecht das „Dünkt dich das? Ich weiß es anders“ (Mäßig langsam) vor dem p, pp- und ppp des Orchesters.
Kwangchul Youn: balsamisch und eindrucksvoll wie eh und je. Verbindung von mehligem Ton und kantablem Ausdruck.
Michelle Breedt: in dieser Rolle schon vor ein paar Monaten im RSB-Tristan unter Marek Janowski gehört. Mehr Farbe, mehr Stimmschönheit als Frau Theorin. Ehrenwert im 1. Akt. Schöne Entfaltung der Linien. Witzig das Pathos, das sie „Ich höre der Hörner Schall“ gibt. Manche Drolligkeiten in der Behandlung der deutschen Sprache. Bravouröse Klangentfaltung auf dem A von „Wehe“ vor der fatalen Lampenlöschung. Frau Theorin lässt das nicht auf sich sitzen und liefert ein nicht weniger bravuröses A auf „dass HELL sie dorten leuchte“ ein paar Dutzend Takte später. Die „Habet Acht“-Rufe klangen schön, aber ich habe schon weitaus magischere gehört.
Jukka Rasilainen: In der Mitte zwischen Ausdrucksschärfung und rollen-angemessener (?) Rau-Stimmigkeit. Kein Ausbund an Sensibilität.
Clemens Bieber ist ein braver Seemann.
Christoph Marthalers Regie funktioniert nicht. Ich bin ein Regie-Theater-Verfechter härterer Gangart, doch der Wohnzimmer-Optik
Kritik/Review Tristan Bayreuth: Peter Schneider leitet zuverlässig, klar auch im Detail, doch ohne Genieblitze. Die Besetzung ist erstklassig ohne singulär zu sein. Robert Dean Smith gebe ich den Vorzug vor Iréne Theorin.
Dirigent: Peter Schneider / Regie: Christoph Marthaler / Besetzung: Iréne Theorin (Isolde), Robert Dean Smith (Tristan), Kwangchul Youn (Marke), Michelle Breedt (Brangäne), Jukka Rasilainen (Kurwenal), Ralf Lukas (Melot)
Robert Dean Smith kann entzücken aber auch bedrücken. Hab ihn mehrmals gehört (nicht in Bayreuth), eine berückende Stimme beizeiten, aber hin und wieder auch enttäuschend.
Peter Schneider dürfte zu den konstantesten (Opern-) Dirigenten überhaupt gehören. Nicht so eine Energieschleuder wie Barenboim oder so einer wie Thielemann aber sehr achtbar und überlegt in allem was er macht.
LikeLike