Nun also, zwei Jahre nach der Digitalpremiere, die Vorortpremiere von Riccardo Zandonais hinreißender, 1914 uraufgeführter Mittelalteroper Francesca da Rimini, mit Publikum, an der Deutschen Oper, in identischer Sängerbesetzung, und alles in echt.

Francesca da Rimini, Deutsche Oper Berlin, Sara Jakubiak, Jonathan Tetelman

An der Bismarckstraße passt diese kraftvolle Francesca in eine Reihe von Neuproduktionen, die Geschmack und Vergnügen abseits der Repertoire-Trampelpfade versprechen: Wunder der Heliane, Don Quichotte, Die Schatzgräber, Sizilianische Vesper, Der Zwerg, die Meyerbeer-Dramen – alles Opernfundstücke, vielfältig, erfrischend wagemutig, dabei herrlich genrefluide.

Und Sara Jakubiak besitzt als Francesca, als souverän und bedenkenlos Liebende, fantastische Bühnenausstrahlung und unbezähmbare Noblesse. In edel schwarzer Robe in Akt 3 ist sie eine Augenweide. Ihre Stimme strahlt dunkel, beseelt und charakteristisch timbriert. Jonathan Tetelman macht aus dem Paolo einen schlanken Tenortraum, seine Stimme hat squillo, strömt in jedem Moment frei. Singen tut der Chilene brillant und nuanciert, voll markanter Virilität, durchaus mit heldischen Untertönen. Nur das in die Tristansphäre weisende Bekenntnis Nemica ebbi la luce, amica ebbi la notte („Feind war mir der Tag, Freund war mir die Nacht“) klingt zu wenig leiderfahren. Den Gianciotto gibt Ivan Inverardi ruppig und sängerdarstellerstark, macht somit den verunstalteten Liebenden (und eifersüchtig Rasenden) in jeder Faser glaubhaft.

Gefühlt wirken in Zandonais Meisterwerk 50% aller Opern von 1860 bis 1913 nach. Als vieraktige historische Tragödie (Genrebezeichnung: tragedia) spult sie ihre Handlung freilich nicht so konzentriert ab wie Tosca oder Salome, legt dramaturgisch gesehen ein paar Extravolten ein. Und bietet dennoch packendes Operntheater, ganz ohne Arien, stattdessen wird, je nach Situationserfordernis, lyrisch oder heroisch deklamiert. D’Annunzios vor Fin-de-siècle-Finesse strotzende Vorlage schimmert hier und da noch durch.

Die Regie von Christof Loy bezauberte als Digitalstream. Im Saal und vor Ort sieht sich das alles etwas trockener an. Die Masche mit der Entstehungszeit kennt man inzwischen, dito die großbürgerlichen, bühnenhohen Salons, hier mit Korbbogenöffnung in einen Wintergarten, dahinter eine Gartenterrasse, die allerdings nicht bespielt wird. Der Malatesta-Clan steckt in fein geschneiderten Soldatenmänteln, die Security verströmt Mafia-Air, Jakubiak trägt – zum Zungeschnalzen – Robe, Tetelman weißes Businesshemd und Anzughose (Kostüme: Klaus Bruns).

Den Heiratsbetrug des ersten Akts, den Bürgerkrieg des zweiten, die ausbrechende Leidenschaft des dritten inszeniert Loy kühl kontrolliert.

Sara Jakubia, Jonathan Tetelman

Das Hofdamenquartett kann man fast als zusätzliche Hauptperson wahrnehmen. Es wird sopranös überzuckert von Elisa Verzier (Garsenda) und Meechot Marrero (Biancofiore, herrliche Mittellage) und mezzomäßig fundiert von Arianna Manganello (Altichiara, gefällt mir) und Karis Tucker (Adonella, aufregend, Klangtyp Messingglocke). Schlichtweg exzellent die Smaragdi von Irene Roberts. Den Ostasio, Francescas Bruder, verkörpert gut Samuel Dale Johnson, den einäugigen Malatestino wenig idiomatisch Charles Workman. den Berardengo Thomas Cilluffo. Die im Laufe des Bühnengeschehens ablebende und vermutlich üblen Misshandlungen ausgesetzte Schwester Francescas, Samaritana, ist Lexi Hutton (etwas dünn). Mit satter Baritonpranke ist der Giullare von Dean Murphy ausgestattet. Den Balestriere singt Patrick Cook, den Torrigiano Artur Garbas.

Ivan Repušić bemeistert die faszinierend zwischen Jugendstilrausch und Verismo-Schock pendelnde Musik mit Mut zum Wumms. Man kennt die Oper nicht gut, aber ich hätte von Repušić mehr von beidem, von disegno und colore, gewünscht.

Dennoch, diese Francesca da Rimini sollte man gesehen haben.


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