Wie singt Lise Davidsen Elisabeth?

Mit robuster Stimme, der nichts zwischen des Herzens Tiefe und dem zweigstrichenen H fremd ist.

Davidsen singt ausdrucksvolle Piani in Dich, teure Halle. Wenn sie in Fahrt ist, wirds einen Ticken laut (Ich preise dieses Wunder). Oder sie kämpft – erfolgreich – um die Einbindung von etwas steifen Tönen in die Linie. Befürchtungen, sie singe kalt oder sinnentleert, zum Teil genährt von ihrem Liederabend an gleicher Stelle 2022, gehen auf in Sopranschall und Wagner-Rauch. Jeder Ton hat bei ihr eigenen Klang, jede Lage eigenes Timbre. Das Kostüm der Norwegerin sieht übrigens so 1950er aus, dass Elisabeth Grümmer es in der Deutschen Oper getragen haben könnte.

Tannhäuser Lise Davidsen Staatsoper Berlin

Leise und intensiv, so strömt die Lebensabschiedsarie der tugendreichsten Maid, Allmächtge Jungfrau, wohlüberlegt die Phrasierung, kontrolliert im Klang. So vorgetragen ist das spannungsvoll lebendig gemachte, tönende Todessehnsuchtsarchitektur. Man ist dem Komponisten dankbar, dass die Schlusszeilen Um deiner Gnaden reichste Huld/nur anzufleh’n für seine Schuld wiederholt werden. Interpretation? Wem dermaßen gegeben ist, behält Dynamik und Klang im Auge und gut ist. Wie zu erwarten beeindruckt die Durchschlagskraft ihres Soprans in den Ensembles.

Lise Davidsen: leidenschaftlicher als Nylund, weniger damenhaft als Harteros

Als ungreifbarste der wichtigen Frauengestalten Wagners ist die Elisabeth ebenso sehr Allegorie wie die Venus, ihre göttliche Gegenspielerin, ist religiöses Abziehbild, nazarenisch rein und lauter und weniger sexy wie die Politikerin Ortrud, die Kriegerin Brünnhilde oder die Hysterikerin Senta. Lisa Davidsen singt die Allmächtige-Arie im dritten Akt nicht so flehend wie Merbeth, nicht so genau wie Schwanewilms, aber leidenschaftlicher als Nylund und weniger damenhaft als Harteros. Davidsen spielt wenig, aber sie spielt gut. Sie steht da, wirkt durch pure Körpergröße. Aufregend.

Gut der Tannhäuser von Vincent Wolfsteiner, er singt unstet, mal metallisch souverän, mit schlanker Tongebung auch in der Höhe, mal höhenproblembehaftet, aber immer wohltuend textverständlich und mit bewunderswerten Reserven am Schluss. Im Duett des zweiten Akts, einem der Höhepunkte des Abends, kann er sich mühelos gegenüber Davidsen behaupten. Als Bühnenakteur ist er von der passiven Sorte, aber vielleicht auch genervt von den nackten Tanzmariechen um ihn herum.

Marina Prudenskaja ist eine aufregende Venus. Ihr Geliebter, komm! Sieh dort die Grotte klingt wie eine unverhüllte Drohung. Sie singt, wie man sich (meist vergeblich) die Fricka wünscht, gebieterisch, giftig, mit verletztem Stolz und gefährlich selbstbewust. Prudenskaja ist nicht immer wortverständlich, aber sie macht deutlich, dass sie in jedem Moment weiß, was sie singt. Hörenswert auch der Wolfram des Andrè Schuen (Brille, gertenschlank, Phänotyp Karl Theodor Guttenberg), dessen junge Stimme noch nicht über alle Innigkeitsgeheimnisse verfügt, aber bei noblem Klang zu schlanker Tongebung und liedhaft weichem Zugang findet. Schuens Legato und Phrasierung sind hervorragend.

Den Landgrafen singt Grigory Schkarupa erratisch und in schlechtem Deutsch. Es ist ein Jammer, dass René Pape Unter den Linden weder Landgraf noch König Heinrich mehr singt.

Die Inszenierung von Sasha Waltz dürfte das Mittelmäßigste sein, was Waltz für Berlin geschaffen hat. Die Inszenierung ist ambitioniert, aber trocken, ein Kübel Tanzsauce auf eine Wagneroper geschüttet. Routiniert schnurrt Waltz ihr Repertoire ab, als da sind erfindungsreiche Verrenkungen, fischschwarmähnliche Rudel von Tänzern, ästhetisierte Symbolik. Für 100 Euro in der ersten Reihe sehen Connaisseure so viele nackte Brüste wie sonst nie in Berlin, und zwar eine halbe Stunde lang aus allen Perspektiven. Man weiß nicht recht, was an der Produktion Regie sein soll. Nicht zuletzt die Kostümwahl scheint wahllos.

Wagner Tannhäuser Lindenoper Vincent Wolfsteiner, Lise Davidsen, Marina Prudenskaya, Andre Schuen

Dem Walther leiht Siyabonga Maqungo vokale Quirligkeit. Die Konsonanten am Wortende setzt er wie spitze Stromstöße. Ist Maqungo inzwischen ein Publikumsliebling? Gut der Biterolf von Arttu Kataja, unscheinbarer sind, schon von Partiturs wegen, Heinrich der Schreiber (Florian Hoffmann) und Reinmar (Friedrich Hamel) sowie der Hirte in Person von Regina Koncz.

Sebastian Weigle dirigiert etwas unterhalb Mittelmaß. Er hält für uns weder Überraschungen noch Leidenschaften bereit, dafür pauschalen Schwung und behäbiges Tannhäuser-Tempo, was die Längen von Wagners Instrumentalpassagen noch länger macht. Bei Tutti-Stellen mit Ensemble herrscht ab und an Desorientierung. Könnte die nächste Wiederaufnahme nicht Thielemann übernehmen? Der Staatsopernchor? Wer die Chorklassiker Zu dir wall‘ ich, mein Jesus Christ oder Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen machtvoll und mächtig hören will, muss in die Deutsche Oper, wenn Runnicles dirigiert.

Viel Jubel, ein Buh für Wolfsteiner, keins für Weigle.