Marianne Crebassa sagt ihren Liederabend (Debussy, Ravel, Berlioz, Guridi) im Boulez-Saal leider ab. An Konzerten wie dem des RSB mit Schostakowitsch und Rachmaninow (Jurowski, Julia Fischer) habe ich das Interesse verloren. Die Aufarbeitung des Stalinismus durch Schostakowitsch interessiert mich gerade nicht. Russische Nostalgie interessiert mich zur Zeit auch wenig. Wenn die Italiener Paris bombardieren würden, hätte ich auch keine Lust auf Tosca.
In Köln findet die Uraufführung von Reshimot der Berliner Komponistin Sarah Nemtsov statt (Übertragung „Musik der Zeit“, WDR 3). Das Werk ist für Orchester und vier Instrumentalsolisten (Saxofon, Schlagzeug, E-Gitarre, Keyboard) gesetzt. Es ist hochinteressant. Die Textur gleicht einem stabilen und doch flexiblen Webstoff. Dichte und Lautstärkegrad variieren unmerklich. Das Stück hat Klarheit, Gedankenschärfe und sympathische Zähigkeit. Reshimot füllt seine 16 Minuten Dauer mit souveräner Lässigkeit. Es handelt sich um eines jener Werke, deren Struktur reicher ist als die Einzelgeste. Die Wellen, die das Werk – schleppend pulsierend oder luftig groovend, je nachdem – durchziehen, gliedern Reshimot unablässig und unmerklich (WDR, Ensemble Nikel, Titus Engel).
Vom DSO-Konzert unter dem Letten Andris Poga höre ich das zweite Violinkonzert des Ukrainers Prokofjew. Hadelich spielte es im Herbst schon mit Crème-sattem Ton, brillant und eigenwillig. Heute geigt Sergei Chatschatrjan. Der Ton ist blühend leicht. Der Vergleich mit Hadelich ist aufschlussreich. Chatschatrjan spielt eleganter, verteilt Akzente lässiger, das Instrument singt, das famos gehandhabte Vibrato sorgt für Belichtungen, Nuancen, Lyrismen, Üppigkeiten (2. Thema) – weniger für dramatische Durchschluchtung. Poga dirigiert einfühlend, Tempo-biegsam bis zur Gemächlichkeit. Keiner der beiden drängt sich vor.
Ähnlich erstklassig ist das Konzert von Cristian Măcelaru, der beim DSO mit Ravel, Eldin und Zemlinsky gastiert. Die Ägypterin Fatma Said singt die drei Orchesterlieder der Shéhérazade leicht, wissend, mit Lust auf’s Französische und lebhaft emotional. Saids Sopran hat den Dreh raus für die voyeuristische Sehnsucht in Asie (schwülstiger Text), für die federleichte, geschmeidige Skizze von La flûte enchantée, für die Abweisung in L’Indifferent. Ravel macht daraus feinsten Impressionismus. Saids feinporig atmende Stimme klingt gut. Von den drei Liedern des zeitgenössischen ägyptischen Komponisten Sherif Mohie Eldin berührt besonders Der Regen.
Die Seejungfrau des Schönberg-Lehrers Zemlinsky entstand 1903. Das Werk galt lange als verschollen. 1984 erst fand die erste neuere Aufführung statt. Das Hypertrophe der Partitur teilt diese mit Schönbergs Gurreliedern und diversen Mahlersinfonien. Melodisch überreich, vielstimmig großorchestral gedacht, vor überfließendem Herzen vibrierend, immer hübsch am Rande der Formlosigkeit und immer fin-de-sièclig-wienerisch repräsentativ. Zwanzig Jahre früher hätte man es „Tondichtung“ genannt. Die Vorlage – das Andersenmärchen – versinkt binnen Augenblicken angesichts der überraschend und spektakulär strahlenden Musik.
Gehört am Sonntagabend über Deutschlandfunk.
Weitere Kritiken: „Wie eine Königin des Abends“ (Sybill Mahlke)
und hier geht’s um Gefühl, nicht gerade die Stärke von Berlinern :
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gehört auch dazu
Friedrich Gulda, Fiakerlied
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Sie hätten das ruhig stehen lassen können, daß eine Kultur, die nach 6000 Jahren noch immer besteht, und sich noch immer durchgesetzt hat, etwas haben muss, was besonders ist. MIt oder ohne Kabbalah.
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Gestern sah ich einen schönen Film, leider nur mit einem meiner Söhne, der andre fand ihn nicht lustig.
Sommer in Orange.
Zusammenstoß zwischen verrückten, idealistischen Berlinern im Jahr 1980 und rechtschaffenen CSU-Bayern dortselbst.
Selbst Leute aus Kreuzberg müßten den lustig finden, denk ich.
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und was hat das jetzt alles mit der Kabbalah zu tun ?
na ?
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das war der, der sagte : nicht ich spiele
es spielt
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Friedrich Gulda
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na so ein Pech
dann müßt ihr eben googlen nach
Friedrich Gulda: Johann Strauss – „Ich lade gern mir Gäste ein“ & „Brüderlein und Schwesterlein“
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Friedrich Gulda, der immer sagte : es spielt, nicht ich
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„ne“ ?
wenn ich das zu meinem Sohn sage, schaltet der immer ab
Denn dann weiß der schon, daß dann nur die absolute Wahrheit kommt
Genauso hält er es mit dem Wort „vorbildlich“. Vorbildlich aufgeführt heißt : der Vorschrift im Kopf entsprechend. Oder dem Lehrer.
Deshalb ärgert er mich immer damit. Wenn ich irgendwas nicht gut finde, sagt er : vorbildlich.
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