
Drei Mozart-Mädels an der Bushaltestelle: Anna Prohaska, Dorothea Röschmann, Maria Bengtsson // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de
Das war der Don Giovanni, der aus lauter unteren Hälften von Fichten bestand. Außerdem war das der Don Giovanni, in dem Anna Netrebko nicht sang, getreu der Tatsache, dass manche Aufführungen berühmter sind, weil jemand nicht singt. Die Vorteile der Inszenierung (Claus Guth): 1. Man sieht mal echte Bäume auf der Bühne. 2. Auftretende kündigen sich an, indem ihre schwankende Gestalt zuvor zwischen den Stämmen auftaucht – wie im echten Wald. Das hat was. 3. Es ist lustig. Die Nachteile: wenn die „statua gentillissima“ des „uom di sasso“ wie eine klapperdürre frühgermanische Voodoopuppe aussieht, fällt selbst hartgesottenen Regietheater-Fans wie mir die Aufrechterhaltung der theatralischen Illusion schwer. Der Aufreger des Abends: war das ein Live-Wolf oder ein Theater-Wolf in der Friedhofsszene im 2. Akt?
Die Mädels hatten heute Abend die kostbareren Lungen als die Herren. Röschmann riss hin, Bengtsson ersang sich vollständigen Respekt, Prohaska vollständige Bewunderung.

„Hat die eine an der Waffel?“: Erwin Schrott wundert sich über Dorothea Röschmann // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de
Dorothea Röschmann: Hat schwer einen drauf als Donna Elvira. Don Giovannis leibhaftig gewordener Alptraum. Ein Sopran mit Ausstrahlungskraft, Energie und Drama. Eine Augenweide, wie sich Röschmann neben Leporello aufgekratzt auf der Bank der Bushaltestelle räkelt und dabei erstaunlicherweise richtig gut zu singen vermag („Sola, sola in buio loco“). Aus ihren elastischen Lungen lässt sie den einen oder anderen Juwelenmoment flutschen. Bravouröses „Ah taci, ingiusto core“ und „Mi tradì quell’alma ingrata“. Bekommt die meisten Bravos. Ihr Vortrag: heftige Attacke, heftige dynamische Wechsel, unverhoffte üppige Klanginseln. Ich höre hervorragende Rezitative. Um Welten besser als als Elsa (2008, war nich ihr Ding) und besser als als Gräfin (Februar, hatse müde gewirkt).
Röschmanns „In quali eccessi, o numi“: Röschmann kocht im Rezitativ wie ein Wasserkessel, hervorragend im Zögern bei, hübsch der Achtelwellenschlag auf „palpitando“, berührend in den Molleintrübungen nach „di vendetta il cor favella“ und das herrlich zurückgenommene A in „cor“. Ebenso die zögernde Linie in „palpitando il cor“. Etwas die melismatische Linie aufbrechende Spitzentöne (B in „PROvo ancor“), ebenso ein quasi vorbrechender Ton in „O DIO mi fa“, übrigens auch in der Wiederholung.
Fazit: Röschmann zeigt Satansbratenpotenzial.
Maria Bengtsson: anfangs sehr belegt, nachher auch noch (mit Ausnahme der höchsten Töne, etwa die Bs und Cs in „tra cento affetti e CENti vammI ondeGGIANdo il cor“), aber da hat man sich eingehört. Feine Farben, hervorragende Piani (besonders vor und in „Non mi dir“) – üppige Klangfülle ist nicht ihr Ding. Attraktive Mischung aus Stilisierung und Tragik. Bengtsson erreicht das Herz und befriedigt die Connaisseure – das sind übrigens jene Leute, die die Zahl der von Don Giovanni beglückten Damen auch noch um drei Uhr nachts parat haben.
Anna Prohaska: Wenn alle Bäuerinnen in deutschen Wäldern so apart singen würden, wäre in Berlin kein einziger Mann mehr zu finden. Als Februar-Susanna blieb sie blass, heute Abend war sie in „Batti, batti“ und besonders in „Vedrai carino“ umwerfend durch sängerische Intelligenz und klares Timbre.

Sieht so wahre Liebe aus???? Frau Prohaska macht kurzen Prozess mit Masetto // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de
Giuseppe Filianoti: im modisch-braunen Anzug und mit eindrucksvoller Schlonzfrisur. Seine beste Szene war, als der Komtur mausetot auf dem deutschen Waldboden liegt und Filianoti das Handy zückt. Gesanglich zuerst eine leichte Enttäuschung, aufgrund der irgendwie wenig formbewussten Linie und der engen Höhe. Dann schätze ich die sehr leichte Stimme, das helle, sinnliche Timbre.
Alexander Tsymbalyuk: eine Stimme wie ein junger Bär, der sich auf kantables Strömen versteht.
Christopher Maltman: Dem Don Giovanni von Maltmann stehe ich etwas missmutig gegenüber. Die Stimme: rau, unstet, wenn auch sehr männlich. Mit der Champagnerarie hat er noch die wenigsten Schwierigkeiten, mit dem Ständchen schon deutlich mehr, was für seine Männlichkeit spricht, aber gegen seine vokale Eleganz.
Erwin Schrott: Er hätte nicht viel weniger Applaus bekommen, wenn er nicht gesungen und nur gespielt hätte. Herr Schrott gebietet über sehr, sehr viel Testosteron, sehr viel Technik und nicht viel weniger Temperament. Für meinen Geschmack zu viel Schauspielerei in der Stimme.
Stefan Kocan: ein Bariton, der dem Masetto mehr Aufmerksamkeit bringt als üblich.
Daniel Barenboim dirigiert schneller als beim Mussbach-Don-Giovanni vor einigen Jahren. Die lastende Süße ist straffer Sensibilität gewichen. Hübsche Bläser in „Non mir dir“. Wenn Sie eine neutrale Partei über Barenboims Mozart hören wollen, müssen Sie woanderes lesen. Der Autor hält Barenboim beim Moll-Mozart für unschlagbar, genauso wie bei Wagner und Schumann. Dass Guth und Barenboim auf die allerletzte Szene verzichten, ist aus musikalischer Sicht schade, hat jedoch auch sein Gutes: Donna Elvira muss am Ende endlich mal nicht ins Kloster. Im zweiten Akt fehlt einiges: „Per queste tue manine“ und bspw. auch die kleinen Szenen vor „In quali eccesi“. Die Besetzung des Mussbach-Don-Giovannis war befriedigender, was nicht nur an René Papes balsamischem Don Giovanni und Pavol Bresliks konkurrenzlosem Ottavio lag, sondern auch an Anna Samuils Donna Anna. In der ersten Reihe: Uwe Ochsenknecht, Alt-BP Köhler, Axel Milberg – Sie haben nichts verpasst, wenn Sie Milberg nicht bemerkt haben, er wirkt genauso sympathisch angetrottelt und egozentrisch wie im Film – und ein paar Blondinen.
Kritik/Review: guter Don Giovanni, gute Inszenierung, gute Musik. Ich würde aber den 2007er-Don-Giovanni von der Staatsoper vorziehen
Also wirklich, die Mussbach-Inszenierung, der Operngott hab sie selig, war ein ausgemachter Schmarrn. Völlig zu recht abgesetzt. Mir schmerzen jetzt noch die Augen, wenn ich an all das blaue Lichte denke. Und Anna Samuil, naja…
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Ihre Blaulichtallergie in allen Ehren, Herr Horenstein, doch Mussbachs Don Giovanni war akkurat, klar und poetisch. Die Mussbach-Inszenierung hatte zudem den entscheidenen Vorteil, dass man nicht Gefahr lief, vor lauter Bäumen die Noten nicht mehr zu hören.
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ich gebe dem Autor insofern recht als diese Inszenierung nicht gerade die Konzentration auf die Musik fördert. Mir wurde zwischendurch beinah schwindelig vor lauter Drehbühne. Aber wem’s gefällt. Gut fand ich, dass man Barenboim dirigieren sehen konnte. Das habe ich beim Simon Boccanegra vermisst. Erwin Schrott habe ich weitaus positiver gehört als Sie es in dieser Kritik schreiben. Zu Dorothea Röschmann braucht man nichts hinzuzufügen..
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Ich glaube Sie spinnen. Erwin Schrott hat ausgezeichnet gesungen und dafür zahlreiche Bravos erhalten, wie alle bestätigen können die in der Aufführung am Samstag waren. Das haben Sie wohl gnädig überhört in Ihrer Arroganz?
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Ein exzeptioneller Don Giovanni, der auch sehr gut ohne die Donna Anna von Anna Netrebko ausgekommen ist. Soll sie in Mailand Manon singen bis es ihr aus den Ohren heraushängt. Maria Bengtsson war ein würdiger Ersatz und in puncto psychologische Ausdeutung ist Bengtsson wohl ohnehin Netrebko vorzuziehen, die stets singt als hätte sie eine komplette Stereoanlage (viel Sound, keine Seele) verschluckt.
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In der Premiere waren übrigens Weizäcker und Martina Gedeck da.
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ich melde mich noch mal. Röschmann war beim Figaro also ich weiß auch nicht, die Stimme war irgendwie weniger üppig. Seh ich genauso für Prohaska. Lag wohl auch an der älteren Inszenierung, fehlt Feuer oder so. Bevor ich den Giovanni mit ihr gehört hab hätt ich fast gedacht dass es andersherum ist. Röschmann macht eine super Gräfin und bei Elvira ists ein bisschen weniger. Oder sie hatte beim Figaro einen schlechten Tag, Stress bei den Proben oder ihr Magen knurrte während Porgi Amor :-)
Grüße Maria
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Wow, was für eine Besetzung! Da wäre ich gerne dabeigewesen.
Grüße aus Köln
H.
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