
Endstation Donna Elvira: Dorothea Röschmann muss sich hinlegen / Foto: staatsoper-berlin.de / Monika Rittershaus
Claus Guths Don Giovanni ist so unvorhersehbar wie eh und je. Die Wiederaufnahme an der Staatsoper Berlin bringt neue Kräfte, bewahrt aber mit dem Don Giovanni von Christopher Maltmann und der Donna Elvira von Dorothea Röschmann zwei zentrale Sänger der Premiere vom Sommer 2012.
Christopher Maltman ist der Berliner Don Giovanni zur zweiten Haut geworden. Guth beschreibt diesen Don sehr präzise. Und folgt ihm scharfen Auges. Seit dem Schuss des Commendatore ist Giovanni tödlich verletzt (Volltreffer in den Unterleib). Folglich schleppt Giovanni sich durch den zweiten Akt wie ein sinkendes Schiff. Lebt Don Giovanni zusammen mit Leporello gar schon in einer Art waldiger Obdachlosigkeit? Statt Fest im Schloss (1. Akt) Spontanparty im Forst, statt edlen Marzimino (2. Akt) Plörre aus der Dose. Erstaunlich: Maltmann ist notorisch unkantabel. Er ist ein Sänger der heftigen Ausbrüche, dazu dynamisch unausgeglichen, singt im Piano gar reizlos, flach. Dennoch beeindruckt die Champagnerarie, durch die Maltmann mit harten Akzenten (und fast ohne Tempo-Probleme) hetzt. Dass Maltmann auch Legato kann, muss man erst auf YouTube sehen, ehe man’s glaubt. Dennoch liefert Maltmann ein fesselndes Porträt des ebenso unbelehrbaren wie prinzipientreuen Wüstlings.
Die exzentrische Donna Elvira von Dorothea Röschmann ist eine Drama queen wie sie im Buche (besser: in der Partitur) steht. Fängt Dorothea Röschmanns Herz Feuer, steht die ganze Arie in Flammen. Ihre Arien sind ausnahmslos vokale Hotspots allererster Güte. Resonantes Brustregister und exaltierte Spitzentöne sorgen für ein auch klanglich eindringliches Porträt der povera Elvira.
Olga Peretyatko singt die eiskalte Donna Anna. Peretyatkos Sopran, schmal von Umfang, doch fokussierten Tons, ist von tödlicher Effektivität. Ein kleines, unruhiges Vibrato brennt in ihm. So flämmelt in „Or sai chi l’onore“ ein präzises, eisiges Feuer. Denn Claus Guth macht Donna Anna zum Eisengel. Und Olga Peretyatko spielt das hervorragend. Liebe zu Don Ottavio? Giammai! Lieber techtelmechtelt sie mit Don Giovanni, wo es nur geht.
Der quicklebendige Leporello von Luca Pisaroni ist singkomödiantisch auf der Höhe, aber auch vokal allererste Sahne. Der kreative Komplize des Cavaliere erobert als hasenfüßiger Dealer sogar die Herzen der Zuschauer.
Als Don Ottavio ist Antonio Poli bemerkenswert. Poli hat heroisches Feuer und singt wunderbar kontrollierte Linien. Dieser Don Ottavio strahlt G-Dur-Würde („Dalla sua pace“) und Kraft aus, was Antonio Poli indes bei der Verlobten Peretyatko auch keinen Stich mehr machen lässt. Narine Yeghiyan (Zerlina) begeht ihre flatterhaften Grausamkeiten Masetto gegenüber mit beeindruckender Ungerührtheit. Stimmlich gesehen ist Yeghiyan ein Energiebündel, das mit kräftigen und frischen Sopranfarben punktet. Grigory Shkarupa – in Berlin hinreichend bekannt als Grenvil (Traviata), Angelotti (Tosca), Truffaldino (Ariadne), Gralsritter (Parsifal) – ist als Masetto ist eine imposante optische und stimmliche Erscheinung. Wenn Opernfiguren frei wählen könnten und nicht an das Libretto gebunden wären, würde Zerlina zweifellos von Anfang an bei Grigory Shkarupa bleiben. Komtur Jan Martiník bewältigt als grabschaufelnder Rächer aus dem himmlischen Jenseits die „Pentiti“-Oktaven (2. Finale) eindrucksvoll.
Die Regie von Claus Guth ist tief pessimistisch. Daran ändert der ingeniöse mittel- bis nordeuropäische Tannenwald (Bühnenbild Christian Schmidt) auch nichts. Klar, dass Guth auf die Moral von der Geschichte verzichtet: Das Schlusssextett „Ah dove è il perfido“ wird im Schillertheater nicht gesungen.
Massimo Zanettis (musikalische Leitung) Leitlinien sind Tempo und trockenes Feuer. So vorzüglich das Tempo auch war, so wenig Freiheiten und Ausdruck gestattet Zanetti der Staatskapelle. Ich vermisse die Gefährlichkeit der Partitur.
Weitere Kritiken der Berliner Premiere von Don Giovanni:
„An Opera Seduced by Life, and Death“ (nytimes)
Ich war jetzt auch drin.
Der Giovanni war alles in allem eine gute Aufführung. Ich dachte dann allerdings nicht zum ersten Mal wie gut der DG 2012 war und dass trotz der Absage von Anna Netrebko. Der weiland arg belächelte Netrebko Freund Erwin Schrott war im Nachhinein besser als jeder Leporello der seitdem irgendwann einmal auf Berliner Bühnen stand. Gleiches gilt für die Donna Anna von Maria Bengtsson. Peretyatko hat eine schöne Stimme, bringt aber wenig Gefühl au fdie Bühne.
Zu Christopher Maltmann sollten Sie mal dieses https://www.youtube.com/watch?v=1ZCgmftgaQY schauen…
ich stimme mit einigen Kommentatoren überein, es ist eine Katastrophe
Es ist das vierte Mal, dass ich die Inszenierung von Guth sehe finde immer noch, dass man sich stärklich wundert, warum sich Donna Anna erst DG hingibt, und kurz darauf heftigste Verwünschungen gegen Don Giovanni ausstößt (wenn auch nur fingiert ) und nach dem Tod des Vaters nichts als Rache gegen Don Giovanni empfindet, später aber wieder von ihm angezogen wird.
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