Wie an einer endlosen Kette reihen sich in Lucia di Lammermoor die Melodien aneinander. Melodien, so weit das Ohr reicht, wenn man von horndominierten Vorspielen und sparsamen, feurigen Chorszenen absieht. Donizettis Schottenoper (nach Walter Scott, Libretto von Cammarano, der schrieb für Verdi auch den Troubadour mit ähnlich düsterer Vorgeschichte) ist ultraromantisches Musiktheater und Sopranfutter allerfeinster Güte. Hier vereinen sich kokett gespreizte Koloratur, flotter Rhythmus und erlesenste Gefühlsexposition mustergültig zum dramma tragico.
Dabei ist die Inszenierung von Sanjust von 1980 gewiss kein Meisterwerk. Ihr Kostüm- und Gestenplunder fiel damals schon aus der Zeit. Doch steht der Produktion inzwischen schon aus Altersgründen Bühnen-Denkmalschutz zu. In ihrer Schaulust, in ihrer ingeniös tiefengestaffelten und auch wieder wohltuend sparsam möblierten Bühne zeigt sich eine andere Opernästhetik, eine, die anders sah und vermutlich auch anders hörte als heutzutage. Kurios statisch die Chöre, bieder bis lustig die Kostüme. Groß wie Lampenschirme die Stiefelstulpen, apart die Spitzenlätzchen der Männer. Die Frauen bewegen sich im Biedermeierlook der Entstehungszeit der Oper. Der Chor singt wie schon in Aida zum Viertel bis Drittel mit Masken. Hörvergnügen kommt da nicht auf.

Die Besetzung macht indes ordentlich Belcanto-Spaß. Denn Liv Redpath ist eine sympathische Lucia mit sauberen, aufregend mühelosen Spitzentönen und klarer, präziser Sopranstimme. Fast makellos die Cavatina Regnava nel silenzio, eindrucksvoll, aber einen Ticken zu nüchtern die scena di pazzia (Wahnsinnsszene) – jede Nummer ist hier eine Inkunabel musikalischer Romantik. Lyrisches Sich-Verströmen steht bei Redpath (es ist schon ärgerlich, wenn eine Künstlerin unter „Biografie“ kilometerweise Engagements auflistet, aber keine Auskunft darüber gibt, in welchem Land sie geboren wurde) nicht im Vordergrund. Dafür hat Redpath wunderbar kühlklare Farben. Den unglücklichen, vom Schicksal verfolgten Helden Edgardo verkörpert Ioan Hotea mit tenore di grazia-Agilität und schönem Mischklang von Brust- und Kopfstimme. Die Registerunterschiede sind deutlich, aber, wie ich finde, attraktiv.

Mit kraftvoller, gut geführter, Viriles und Lyrisches mischender Baritonstimme stattet Ernesto Petti den von Hass zerfressenen Bruder Lucias (Enrico) aus, für den die Verbindung Lucia – Edgardo der ultimative Karrierekiller wäre. Lucias neuen Gemahl Arturo singt als tenorino amoroso sehr schön Ya-Chung Huang, während sich der junge Henning von Schulman des Erziehers Raimondo mit wolligem Bass annimmt. Arianna Manganello (Alisa) führt einen hörenswerten Mezzo vor. Als Edgardo-Vertrauter Normanno singt Patrick Cook. Das Duellbild im zweiten Akt wird ausgelassen.
Ivan Repušić dirigiert gut, verlässlich, mit viel Pepp, und durchaus italienisch.
Klaus Harbott erzählte mal, Bonisolli habe voll Ärger vor die Sanjust’sche Pappe getreten, und bums, fiel die Pappe um.
Das beste an der Lucia ist Elbenita Kajtazi, die im Alter von 23 Jahren die Arie in der Opera Lounge zum ersten mal sang, mit großem Beifall. Jetzt ist sie an der Oper Hamburg engagiert und singt dort jetzt als Zweitbesetzung für die Garifulina die Traviata. Wenn sie jemals wiederkommt. gehe ich hin, denn das war (oder ist ?) eine Stimme mit ganz einzigartiger Schönheit.
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Außer Ioan Holender hab‘ ich nur mal einen Tenor namens Ion Buzea gesehn. Der sang in Köln den Hoffmann, an der Seite von Edda Moser. Er war schon ein wenig über seinen Zenit hinaus und hatte vielleicht noch einen schlechten Abend. Jedenfalls klang es ziemlich schräg und gequält, was da von der Bühne kam, so daß im 2. Akt der Herr vor mir zu seiner Frau meinte : da hätten se mal besser einen us dem Chor jenommen, wat ? Da erklangen schon 4 oder 5 Buhs mitten auf der Szene, das ist ja eher selten.
Im 4. Akt sang er schließlich „Ô Dieu! de quelle ivresse“. So ähnlich muß es wohl geklungen haben, denn hernach erklangen mindestens 100 laute Buhs aus dem Publikum, ich schrie aus jugendlichem Überschwang mit. Das war nun selbst dem Tenor zu viel, und er sprintete zum Bühnenrand und rief : „Wenn es Ihnen nicht gefällt – die Türen sind offen – Sie können nach Hause gehen ! Aber lassen Sie uns unsre Arbeit machen.“ Edda Moser nahm ihn in den Arm und hatte ein trauriges Gesicht.
Nächsten Tag stand im Kölner Stadt-Anzeiger : Skandal in der Oper.
30 Jahre später traf ich einen Nürnberger Juden, der mir am Samstag nachmittag vor der Met eine Karte zum halben Preis verkaufte, mit den Worten : Sie sind wohl der richtige. Ich dachte mir nichts dabei, und saß eine Aufführung lang neben ihm. Da erzählte er mir schon seine halbe Lebensgeschichte.
Ein halbes Jahr später, im Jetblue von Portland nach New York, ruft auf einmal jemand : excuse me, are you from Germany ? ja, sag ich, und setze mich neben ihn. Wir teilten uns dann ein Taxi nach Manhattan.
Die weiteren Details sind nicht wichtig, außer daß ich ihn wiedertraf beim Met-Debüt von Kiril Petrenko und Diana Damrau in der Ariadne. Ich wohnte damals auf Mount Desert Island, 3 Stunden von Portland entfernt.
Wie auch immer, er sagte : darf ich dich in meine Loge einladen ? Und so saßen wir da im Dress Circle der Met. Ich erzählte von Fabio Luisi aus meinen Studententagen, der immer alle Verdi-Schlüsse mit einem besonderen tam tamtam taa taa ! cala il sipario beendete, und er sagte : das ist ein guter Kapellmeister.
Er sagt, daß er mit seinem Lebenspartner oft nach Europa fliegt, um sich dort Opern anzuschauen (ohne ihn wüßte ich gar nicht, was der Vetter aus Dingsda ist!). Ich sage, isch komme us Kölle, da han isch Kiri te Kanawa jesehn.
Joo, sähht dä, Köln, das war ja nicht so besonders. Isch habe da mal in einer Aufführung von Hoffmanns Erzählungen jesessen, da stürmte der Tenor an die Bühne und rief, wir sollen uns alle nicht so haben.
Aber es war wirklich so. Zu 99%.
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Wäre übrigens zu Flurina Stuckis coolen DO-Liederabend gegangen, wenn ich in Berlin gewesen wär. Nur so nebenbei gesagt
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Wissen Sie, es gibt so viele unbekannte Sängerinnen, die nie berühmt werden, aber richtig gut sind. Ich erinnere mich an eine Elsa aus Köln, die die beste meines Lebens war, eine Art Lokalmatadorin, aber mehr als das wollte sie wohl nicht. Vielleicht fällt mir der Name noch ein.
Und was sind schon die verpassten Konzerte. Ich habe deren mehrere erlebt. Grad heute kam meine Frau aus dem Verdi-Requiem mit Barenboim, in das sie statt meiner ihren Vater mitgeschleppt hatte. Ich hatte abgesagt, weil mir FFP2-Masken nicht nur im Kino auf die Nerven gehn.
Sie kam also wieder, und sagte : Die Rachvelishvili war schon sehr gut, der Pape hat aber aber nicht gesungen, das war ein anderer. Der Tenor hat ja nicht viel zu singen, nur die Sopranistin fand ich nicht so gut.
Es stellte sich heraus, daß alle vier Sänger Einspringer waren.
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Der Name liegt mir auf der Zunge. Meist kommt er dann ja gleich hinterher.
O Zerlina giudizio.
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Jeaninne Altmeyer. Die beste Elsa, die ich je gesehn hab. Ohne Details, ohne Nuancen, einfach so. KÖnnen Sie so etwas glauben ?
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Jetzt gibts bald einen Lohengrin mit Vogt, Nyland, Smirnova und Groissböck im Mai, hat mir die DOB geschrieben. Obwohl ich die Oper eijentlich nich so leiden kann, könnte das Grund jenuch sein, da doch hinzujehn. So ’ne Besetzung hat auch die Met nicht alle Jahre zu bieten.
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Ich hab gelesen, Adriana Ferfecka, die man hier aus guten Gründen Ferfezka nennt, singt hier an der Deutschen bald die Traviata. Das war auch eine von den auffallenden Stimmen in der Opera Lounge, die anderswo besser Karriere machen könnten.
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na so ein Pech
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Repusic ist wie Fabio Luisi, nur zwei Kilometer drunter
der kann es nur in Hannover !
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Damit gäbe es nie Probleme :
Deshalb ist der Bellini auch schon mit 33 Jahren gestorben…
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Ion Buzea sang auch seinen Teil dazu
Die Frau, die ich mit 21 Jahren liebte, die kannte ihn
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Crazy… warum macht das RSB eine Tosca mit Armiliato und Sartori?
https://www.rsb-online.de/konzerte/tosca-april-2021-haus-des-rundfunks/
Dann auch noch im Rundfunkhaus……
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Die wollen auch mal. Wie Rattle, was dann eine ziemlich langweilige Tosca ergab.
Melody Moore hab ich bisher nicht gehört. Das hier
klingt wie eine Potpourri aus den berühmtesten Cio-Cio Sans der letzten 80 Jahre.
Das hier ist klanglich aufregend, wenn auch interpretatorisch aus 2. Hand, aber halt 10 Jahre her
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Es ist so !
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