„Unechte“ Premiere an der Staatsoper Unter den Linden in diesem an Premieren so armen Theaterwinter. Aber die Staatsoper zeigt Flagge, setzt ein Zeichen, gegen Virus-Angst und Absagen-Tristesse. Wenn man auch Lockdown-gemäß ohne Publikum spielt und Orchester und Chor Corona-kompatibel kleingeschrumpft wurden.
Bei Arte gibts die Premiere zeitversetzt, zu fürs Massenpublikum untauglicher Zeit, denn wenn Herr Alagna Mein lieber Schwan intoniert, geht es stramm auf zwei Uhr in der Frühe zu. Das Bild ist Arte-üblich hochprofessionell, nur am Ton haperts, der klingt akustiktrocken, ja, hallig. Nur am Saal kann’s nicht liegen.
Matthias Pintscher dirigiert, Calixto Bieito zeigt eine erratische, aber doch nicht ganz schlechte Inszenierung – das ist jedenfalls der Eindruck aus der Schlüssellochperspektive am digitalen Bildschirm. Rebecca Ringst baut einen von Lichtstelen umstandenen, mit kubisch-kühlen Tischmöbeln befüllten Showroom, der mit seiner Neon-Leuchtkraft eine rabiate Präsenz gewinnt. Hinten thront die stählern nackte Sängertribüne, rechts steht ein strahlend weißer Delinquenten-Käfig, in dem nacheinander Elsa, Telramund und König Heinrich (warum der?) einsitzen. Heimeliges Schwanenritter-Ambiente hätte man bei Bieito auch nicht erwartet, und weil Bieito es gerne deutlich mag, strahlt auch das in makellosem Zahnpasta-Weiß gehaltene Designersofa (das Ehebett der Brautgemachszene) klinisch-kalte Perfektion aus. Spätestens jetzt kapiert auch der begriffsstutzigste Wagnerianer. Lohengrins Glanz und Wonne ist nichts anderes als eine Kunst-Welt aus tödlicher Perfektion.

Bis der Schwanenritter eintrudelt, fristen die Brabanter Mannen ein Leben als graue Büro-Mäuse. Erst unter dem Einfluss des Heerrufers (Adam Kutny, ungewöhnlich hellklingend), der als kokain-beschwingter Bajazzo sein Unwesen treibt, werden sie zu einem gefährlich abgedrehten Bürovölkchen. Bei Gottesgericht und Gotteskampf ist dann so etwas wie eine Koks-Sause im Gange, heftig flackern die Neonröhren, und nackte Männerbrüste sowie viel Blut sorgen für Abwechslung, aber mehr hehres Wunder ist dann auch nicht.
Alagna: Tenor-Grandezza versprüht er in den großen Momenten
Denn natürlich ist etwas faul im Staate Brabant. König Heinrich (René Pape, Bass-satt und autoritativ) wird von hässlichen Muskelticks geplagt. Und in Bieitos kalt sezierender Lohengrin-Lesart ist Elsas Retter nur der neue CEO, der sich aus des Grals A-Dur-Reich direkt auf den Chefsessel beamt. Scheinbar hat er erfolgreich ein Führungskräfte-Seminar von Reinhold Messner besucht: Im Gotteskampf ringt er Telramund allein durch konzentrierte Geisteskraft nieder.

Roberto Alagna singt das im schwanenhellen Sommeranzug, sehr stimmenhell, weich klingend, mit Bedacht phrasierend, aber im Piano (und nicht nur dort) bröckelt das Legato wie trockenes Brot. Immerhin, Tenor-Grandezza versprüht er in den großen Momenten. Man kann nie recht sagen, ob Alagna hier auf Regie-Befehl einen Ritter ohne Eigenschaften spielt, oder ob er einfach gewaltig mit der Rolle fremdelt. Den Text jedenfalls singt er mit seltsam verwaschenem Ausdruck runter. Dennoch: In In fernem Land und Mein lieber Schwan hat Alagna durchaus große Momente.
Der Chor: böse Zappelphilippe mit blutverschmierten Lippen
Die Elsa des Abends ist Vida Miknevičiūtė, die eine kühle Rätselhafte in Blümchenkleid, Schaftstiefeln, Lederjäckchen darstellt (Kostüme Ingo Krügler). Vom Typ her kommt sie mädchenhaft rüber, stimmlich gesehen ist sie erwachsen bis in jede Faser ihrer Stimmbänder. Das macht sie groß. Und wirkt manchmal wie Nina Hoss in einem ZDF-Mehrteiler. Zu Euch Lüften erscheint Elsa als giftgrünes Schlossgespenst Hui Buh unter einer Gazewolke. In der sich Ortrud dann selig wälzt. Miknevičiūtė singt souverän, sehr beherrscht, mit intrikatem Vibrato, astreiner Höhe, allerdings kühlem Timbre. Wobei aus dieser Kühle eine wichtige Deutungsebene erwächst.
Gelungen ist auch das Intriganten-Paar, voran die Ortrud, die Ekaterina Gubanowa als Schlampe in gelber (Neid!) Bluse gibt und nebenbei unheilvoll aus der Nase blutet. Gubanowa klingt gut, hat den gerundeten, üppigen Ton. Sie ist eine groteske, keine dämonische Ortrud. Die zwei ais der Götteranrufung bringen sie an die Grenze. Telramund Martin Gantner ist ein Spezi aus dem innersten Bereich der Macht, der sich, ein betrogener Betrüger (Dahlhaus), immer tiefer ins Unheil verstrickt. Singen tut er das stets silbengenau und aufregend hell timbriert, und immer engagiert.

Der von der Abstandsregel gehandicapte Chor schlägt sich gut und mutiert zu bösen Zappelphilippen mit blutverschmierten Lippen. Dirigent Matthias Pintscher leitet – offenbar die Weimarer Urfassung von 1850 – sicher. Nicht Barenboimisch-gewichtig, sondern helltönend, aber auch geradlinig, nüchtern, mit maximal aufgeblendetem Ton, so weit man das am Bildschirm überhaupt verlässlich beurteilen kann. Die Geigen glänzen hart, das Blech schallt stramm, nicht anders wie die Von-Gott-gesandt-Chöre im 2. Akt.
Freilich, als Stream bleibt die Aufführung letztlich Konservenfutter. Ran-Zoomen der Gesichter und Kamera-Schwenks zerreißen ein ums andere Mal das Hör-Kontinuum. Wo nichts als Pixel und Bits fließen, ist auch der Opernstream nur ein weiteres Zoom-Meeting. Wagners Opern triffts aber auch besonders hart. Ich prophezeie, dass ich mir eher Die große Show der Weihnachtslieder mit der feschen Stefanie Hertel anseh als die nächste gestreamte Wagner-Oper.
Als Randnotiz zu dieser Lohengrin-Kritik sei es gesagt. Der neue, zeitgemäß-kalte Bieito-Lohengrin ist vermutlich schwächer, als es es die gar nicht so alte, ironische Herheim-Inszenierung (Barenboim, Vogt, Röschmann) war. Die wurde nämlich Unter den Linden, Schiller-Theater sei Dank, auffällig rasch entsorgt.
Fotos: Livestream Arte/Staatsoper Berlin
Weitere Kritiken zur Lohengrin-Premiere: Lohengrin als surrealistischer Film (Peter Uehling), Ich komm gut klar damit (Audio-File, Kai Luehrs-Kaiser), Premierenkritik Wagner-Regietheater von der Stange (Manuel Brug), Einsame Premiere in trüben Tagen (Peter P. Pachl)
racchiudi in corpo questo secreto
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Nel di della vittoria io ti salutai
https://www.youtube.com/watch?v=xHdaUASO9Pc
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https://www.youtube.com/watch?v=UXtAgsOzb0E
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Und was ist mit dem Mohrmann ? Ist der endlich hinübergegangen und schaut uns allen belustigt zu ? Kann ich mir nicht vorstellen, in diesem Fall.
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Wie die Götter sich rächen ?
Es gibt dazu eine statistische Untersuchung, die ich selbst vorgenommen habe.
Nenne eine Verdi-Oper, in der das Wort : „Vendetta“
nicht vorkommt.
Es gibt keine. Google hilft bei sowas.
Was bedeutet das ? Ist Rache etwas so elementares wie „amor“, „donna“ oder „morte“ ?
Vielleicht müßte ich mich noch viel tiefer in den Verdi versenken, der in jungen Jahren seine Frau und Kinder verlor.
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Nä, wirklich nich. Stellt Euch den für.
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Kürzlich saßen wir alle zusammen, und im Fernsehn lief der Beethoven-Film. Ich sagte zu meinen Söhnen : Was ein Glück, daß der Beethoven Rheinländer war. Als Preuße wär aus dem niemals was geworden.
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Mein Papa sagte, er habe nach dem 1. Akt abgeschaltet. Warum für sowas Steuergelder ausgegeben würden.
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Ich sagte, ich mag die Oper nicht.
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Bieito is not for everyone.
Solange es am Text entlang geht, kann man es ertragen.
Das beste, was ich von dem (iste) gesehn hab, war der Falstaff aus Hamburg. Why not ?
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Ich saß mal in der Komischen in der Bietio-Entführung, und neben mir saß ein Pärchen, sie irgendwo aus dem Pazifik, und irgendwann standen sie auf, nicht ohne daß sie sagte : I’ve never seen such a bullshit. Wahrscheinlich gingen sie nach Hause, um das nachzuholen.
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Spür bei der ganzen Tristesse heute doch eine gewisse Genugtuung. Im Lockdown light schließen die Opern und Konzerthäuser, aber die Shopping Mails bleiben offen weil die Händler jammern und der Shopping Mail Betreiber ECE seine Aktionäre nicht vergraulen darf. Heute sind die Zahlen doppelt so hoch, die Opern immer noch zu und die Shopping Mails schließen endlich auch. Man könnte sich ja mal fragen was beim Lockdown light falsch gelaufen ist
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Bin ganz d’accord mit Ihnen
Besser wäre gewesen die Opern offen zu lassen und die Mails zu schließen. Das hätte mit Sicherheit weniger Infizierte gebracht.
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… vielen Dank, dass Sie die großartige Herrheim-Inszenierung erwähnen – nach, ich glaube, nur acht Vorstellungen „abgespielt“, im Grunde ein Skandal, und ein unfassbar Verschwendung.
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*eine
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Viel zu positive Kritik.
Eine ganz große Enttäuschung.
Indiskutabel Alagna. Ich muss gestehen, dass ich bei seinen ersten Tönen zusammengezuckt bin. Pape war der einzige Lichtblick, die anderen solide. Miknevicuite war gut, aber eben auch keine Überfliegerin. Auch Kutny überzeugte mich.
Zu Bieito: der Mann hat sich ausinszeniert, Immer das gleiche. Die Herren in Anzügen, der Sopran im Unterkleid.
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Mannomann ich fass es nicht. die Staatsoper Berlin stemmt in diesen schwierigen Zeiten eine Neuproduktion und lässt sich durch den kurzfristigen Ausfall des ersten Soprans nicht beirren. Das Haus bringt in der Pandemie sogar eine Chor-Oper auf die Bühne. Die Musiker geben alles. Es ist für niemanden leicht. Für die Sänger nicht, für das Team nicht, für den Dirigenten nicht. Und was machen die Kommentatoren? Wissen immer alles besser! Kein Wort der Freude darüber, dass es in Berlin überhaupt wieder Oper gibt. Kein Wort der Anerkennung, was geleistet wurde. Wer kann den die Inszenierung anhand des Streams überhaupt angemessen beurteilen? Niemand. Aber immer feste druff wenn es auch nur entfernt nach Regietheater aussieht. Immer die gleiche Reflexe.
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Alagna – große Momente im Finale? groteske ortrud?
ob der Schreiber da schon geschlafen hat? selten soviel unsinn bei lohengrin gesehen. zum Glück gibt es in Dresden noch die Werkgerechte Mielitz.
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Herr Gott, das war doch unergiebiges Regie-Theater, wie man es schon tausend Mal gesehen hat. Bieito fällt auch nichts mehr ein. Blut, Puppen, dazu ein angeblicher Starsänger der sich weder mit der Rolle identifiziert noch die Stimme für die Rolle hat. Für mich war Pape der beste Sänger.
Mfg SG
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Ich weiß was Bieito gemeint hat: Die Brabanter das war die Partyszene bei der Bootsparty am Urbanhafen, Lohengrin das war der Vorsitzende der Berliner Clubszene und Telramund das war der Michael Müller, der allen in die Suppe spucken will und vergeblich versucht, die Techno Party zu verhindern. Und am Ende sagt der Vorsitzende der Berliner Clubszene: mein lieber Schwan, das war jetzt echt nichts, aber der Protest war uns echt total wichtig, Sorry, total sorry.
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Das ist das beliebige Regietheater, das wir doch schon zur Genüge kennen. Videos, alle sind irgendwie ein bisschen irre, manche auch mehr, es werden Nebenfiguren zu Hauptdarstellern und umgekehrt, es geht weniger um Oper, als um Schauspiel mit schlechten Darstellern, denn Sänger haben nun einmal einen anderen Ausbildungsschwerpunkt. Und vor allem der Heerrufer ging mir völlig auf die Nerven mit seinem desaströs übertriebenen, vordergründigen Chargieren. Das alles war nicht gut, auch musikalisch kam ich nicht in Schwung.
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Die Regie dachte sich den Raum offenbar als Verhandlungsraum eines Hochsicherheitstrakts mit Elsa als Angeklagter und König als Richter. Das würde auch den Käfig erklären. Hätte sich man aber vorher anlesen müssen , denn vom reinen Anschauen erklärt sic diese Deutung nicht.
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Danke für die Details. Ich hab zwar die halbe Nacht vor dem Fernseher verbracht, aber die eine oder andere Stelle verschlafen. Wagner gestreamt ist fast unmenschlich, da bin ich voll bei Ihnen.
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