Mamma mia, wie quälend lange kann eine Prima aus der Scala sein. Für mich sind die rezitierten Texte (u.a. von Dante, 2021 ist 700. Todestag) astreine Stimmungs-Killer. Außerdem ist längst nicht alles Stimmgold, was auf dem Bildschirm glänzt. Aber es gibt berückende Momente. Das schon. Arte überträgt. Es ist ein Abend à l’italienne. Viel Verdi, einiges von Puccini, dazu ein bissl Belcanto, Französisches, Verismo, ein bissl Wagner. Nichts, was der Melomane nicht kennt.
Ich schaue mir das Ganze nicht an, sondern nehme auf und höre zu später Stunde nach – und schaue stichprobenartig in den Arte-Stream („Ein besonderer Abend an der Mailänder Scala“) rein.
Man startet leidlich mit Rigoletto. Denn Luca Salsi gibt den antihöfischen Hassausbruch Cortigiani, vil razza mit viel Larmoyanz und wenig Wucht, und der zum Supertenor hochgepuschte Vittorio Grigolo verfügt in der Cavatine La donna è mobile über ein allzu dünnes Stimmchen. Obendrein läppert es mit der Interpretation. Besser ergeht es dem Don Carlo-Block. Ordentlich Ildar Abdrasakow, der für Ella giammai m’amò ausreichend königliche Tristesse bereithält, baritonfein dann Ludovic Tézier, der edles Material und geschmeidiges Legato präsentiert (Per me giunto), und schlussendlich, in O don fatale, die herzzerreißend kühle Elina Garanča als elegante Belle-Epoque-Reisende. Keine der Mezzos verflucht derzeit eloquenter die eigene Schönheit.

Folgt ein Trio fatale aus Belcanto, Verismo und Musikdrama: Lucia, Butterfly, Walküre. Fesselnd die Gesangskunst von Goldkehlchen Lisette Oropesa (in Regnava nel silenzio). Irgendwie charakteristisch ist schon das kapriziöse Vibrato, aber im Verein mit der Frische der Stimme und dem Wiedererkennungswert des Timbres ist das ein Sopranton zum Nicht-Vergessen. Heftige Spuren sängerischen Wear-and-tears zeigt Kristīne Opolais in Tu, tu piccolo Iddio. Danach lassen es Camilla Nylund (wenig jubelnd, aber verlässlich in Klang und Spitze) und Andreas Schager (uneben und jovial, aber Schager klingt wundervoll ausgeruht) in Winterstürme krachen, wasman nicht von dem Schlaftabletten-Tempo sagen kann, das Chailly einschlägt.
Eine Belcanto-Perle gibt Rosa Feola zum besten – mit passgenauem Charme und schmucker Sopranstimme (So anch’io la virtù magica aus dem im Belcanto-faulen Deutschland eher selten gespielten Don Pasquale). Der lyrische Tenor dieser Jahre ist ohne Zweifel Juan Diego Flórez. Der Peruaner sieht wie immer blendend aus. Leicht die Höhe, fein der Ausdruck, Kunst und Gefühl ertönen perfekt austariert, so höre ich Una furtiva lagrima gerne. Und Aleksandra Kurzak ist im schmeichlerisch-schmelzenden Signore, ascolta! bei bester Sopranstimme.
Im Graben demonstrieren die musicisti scaglieri, angeführt von Riccardo Chailly, die hohen Mailänder Standards in Sachen Verdi und Co. So cremig, so innig singend würde ich die Italiener gerne in Berlin hören. Molto behäbig hingegen der Wagner, wohingegen die Carmen-Ouvertüre nach einer Extra-Portion Leidenschaft klingt.

Womit wir bei Habanera und Blumenarie wären. Erstere klingt dank Marianne Crebassa ungewohnt textbewusst und nuancenreich. Klingt so eine Carmen, die Linguistik studiert? Aber ohne Witz, der Mezzo von Crebassa geht wunderbar akribisch mit Vokalen um, auch Klang und Vibrato sind ziemlich interessant. Mi piace molto. Piotr Beczała singt La fleur nach fast 30 Jahren Bühnenkarriere nicht makellos, aber immer noch so fesselnd wie kaum sonst jemand. Was Beczała an Frische verlor, hat er an diskreter Gestaltung gewonnen.
So weit, so gut. Einen Haken hat die Sache aber. Arien und Rezitationen sind sämtlich Konserven, wurden separat aufgenommen und dann zusammengeschnitten. Live ist an dieser 24 Solisten umfassenden Opern-Paella nichts. Deprimierend. Denn das wirkt wie zwei Dutzend aneinandergestückelter Youtube-Videos. Da bieten die Sternstunden der Volksmusik mit Florian Silbereisen mehr Live-Feeling.
Der dritte Verdi-Fokus ist Ballo in maschera gewidmet. Bei Eleonora Buratto bin ich aus dem Häuschen. Nicht wegen des Dolce&Gabbana-Fummels. Bei Amelias Morrò schlägt ein veristisches Herz in Burattos Brust. Das Timbre ist nicht das edelste, aber es ist ein Timbre. Die Linie ist nicht die edelste, aber die Frau weiß, wie man eine Phrase anfängt. So klingt Seelenschmerz. George Petean liefert in Eri tu, dem Monolog über zerstörte Freundschaft, klanglich etwas unergiebige Gesangskunst, und der Corona-genesene Francesco Meli demonstriert, wie man trotz begrenzter Farbpalette großen Verdi singen kann, nämlich mit diskreter Interpretation und klug dosierter Emotion (in der zart-bittren Abschieds-Cavatine Ma se m’è forza perderti – die Celli lassen uns eine emotionssatte Sternstunde erleben).

Benjamin Bernheim drückt als schüchterner Titelheld (im drame lyrique Werther) weder auf die Tränendrüse nach auf die Tenor-Tube. Stattdessen lässt er die Musik sprechen und geheimnisvoll fließen (Pourquoi me réveiller), es gibt glutvollere Werther, aber kaum nuanciertere. Der geschmacklose Höhepunkt des Abends ist zweifellos die Inszenierung von Iagos Credo vor der Kulisse des Weißen Hauses inklusive Trump-Dummy (Regie: Lorena Sardi). Da fällt es kaum ins Gewicht, dass Carlos Álvarez den teuflisch funkelnden Monolog nurmehr solide singt. Aber es geht immer noch peinlicher, insbesondere wenn P. D., der sich vermutlich seit Jahrzehnten durch das Besteigen von Kolleginnen frisch an Leib und Geist erhalten hat, die Bühne betritt. Herr D. singt ein weinerlich verlispeltes, farblich nicht über den baritonalen Graubereich hinauskommendes Nemico della patria. Man hat Angst, ihm hauts das Zäpfchen raus. Sonya Yoncheva bleibt bei Andrea Chénier, legt ein üppiges, auch emotional engagiertes La mamma morta hin.
Puccini. Schließlich. E lucevan le stelle mit Roberto Alagna. Der Lack ist ab, der Finish weg, insbesondere im lyrischen ersten Teil, der alles, nur keinen Spinto erfordert. Zwar ist die Stimme hell, aber unausgeglichen, der Ton leirig. Was hat das für den Berliner Lohengrin zu bedeuten? Marina Rebeka singt Un bel dì. Hat sie das gegenwärtig strahlendste Verismo-B‘ (…io con sicura fede l’aspeeeeeeetto)? Der vom Weihnachtslieder-Singen indisponierte Jonas Kaufmann wird unkompliziert von Piotr Beczała ersetzt. Freilich sitzt Nessun dorma nicht so gut wie vorher der Bizet. Das letzte Wort hat Rossini. Mit dem überirdisch schönen Tutto cangia (Guglielmo Tell) werden noch mal per Kameraflug über den Mailänder Dom und dank des strahlenden Tuttis des Orchesters die Einigkeit Italiens und die Kraft der Kultur gefeiert. Es stimmt schon, wie jemand auf Twitter kommentierte: Man sehe Mailand als città fiera, bella, elegante, piena di dignità. Mit dabei Salsi, Buratto, Feola, Crebassa, Flórez, Mirco Palazzi. Das war ähnlich berührend wie zu Anfang die eingespielte umile ancilla der Freni: reines Aufleuchten der Emotion in der menschlichen Stimme (etwas pathetisch ausgedrückt).
Fotos: Livestream Arte Scala
Würde ich mir nie (oder nur selten) anschauen, sowas. Lieber alles nochmal, was ich schon kenne und wo ich weiß, daß es gut ist. Das nennt man konservativ. Manchmal gibts aber auch was Neues. Und noch seltener ist es dann etwas, was später im Museum auf Youtube landet, und von dort zitiert wird. Dann hat es sich gelohnt.
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Beispiel 1 : Carlos Alvarez
So einen Prologo hab‘ ich in meinem ganzen Leben nicht gesehn, wie kürzlich hier an der DO. Vielleicht noch an der Met, wo jemand versuchte, Piero C. nachzumachen. Wenig später war er weg.
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Und Nr. 2 : Rosa Feola
Das ist Lyrik ohne Schnörkel, dirigiert von Kyrill Petrenko.
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Ich verstehe jetzt langsam, warum P.D. an der Met immer so einen enormen Eindruck machte, wenn er die Bühne betrat. Im Idomeneo, als er alle Fäden innert 2 Sekunden an sich zog und nie wieder hergab. Im Parsifal, als mit dem Auftrittsruf (wie ging der noch) eigentlich die ganze Oper beherrscht war und alle andren sich duckten. Im Chenier war es aber wirksam, über das ganze Stück. Das ist auch selten.
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Und Nr. 3, fast ein wenig unvermeidbar. Elina Garanca
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Und zuletzt :
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Man muß ja auch nicht in jedes Konzert gehn, oder, Schlatz ?
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Oder so :
Ich hab’das Glissando damals nie richtig hingebracht, als ich das im Gymnasium spielen mußte,
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Haferschluck, der fromme Löwe
Der Kinderfreund, Herr Habakuk,
hat einen Löwen, Haferschluck,
der ißt so gerne Brei.
Beim Kochen steht er stets dabei
und fragt: »Ist Zucker drin und Ei
und Milch und Butterflocken?«
Er hat ganz gelbe Locken
und Augen, hell wie Honigbrot,
und eine Zunge, himbeerrot.
Er mag auch weiße Wecken
und schnippt sich flink und pfötchenzart
die Brösel aus dem Schnupperbart.
Nach jedem Tellerlecken
nimmt er den Schwanz als Flederwisch
und fegt den Boden und den Tisch,
sagt Habakuk auch artig Dank
und trottet nach der Ofenbank,
ein Stündlein brav zu schlp.fen.
Am Nachmittag geht er dann froh
wie du spazieren- irgendwo,
und seinen Onkel trafen
wir unlängst erst im Zoo2•
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Hier eine eigentliche Nr. 1a :
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Mir gefällt der Silbereisen-Vergleich!
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MIr gefält Helene besser. Vro allem am Trapez.
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Bruggie giftig Dacht schon er liegt darnieder weil er so still war :-)
https://www.welt.de/kultur/article221944622/Mailaender-Scala-in-der-Pandemie-So-faehrt-der-Opernzug-nach-nirgendwo.html
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Gleich gehts los!! Bei Arte sind ganz große Experten am Werk. Lohengrin ist Zitat das erste durchkomponierte Musikdrama Zitat Ende. Titel von Lohengrin laut Wager Zitat Romantische Oper in 3 Aufzügen Zitat Ende.
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Ich schaue auch. Stehe es warhscheinlich aber nicht durch.
Nicht immer alles schlecht machen. Noch besser finde ich den Satz „Roberto Alagna gehört zur ersten Liga der internationalen Gesangselite.“ Das ist Arte, wie es leibt und lebt. Bin gespannt ob diese teuflisch deutsche Blondine wieder kommentiert, die sich anhört wie Til Schweiger.
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Ja, wer denn sonst ?
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Also ich fand den Lohengrin gestern gar nicht so schlecht. Alagna hat sich nach wackligem Beginn bis zum fernen Land gesteigert, Miknevicuite einfach umwerfend Pape sowieso. auch Pintscher hat sich ganz gut geschlagen, besonders überzeugend war für mich Gantner als Telramund. Nervig allerdings war das viele Neonlicht. Dass die Veranstaltung was gespenstisches hatte ohne Publikum ohne Applaus ohne Menschen ließ sich auf der anderen Seite imho genauso wenig nicht leugnen.
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Verstehe immer nicht wie die Süddeutsche das schreiben kann. DAS HABEN SICH ALLE GEMEINSAM EINGEBROCKT Es stimmt eben nicht. Das haben uns die 20% der Bevölkerung eingebrockt die null Bock auf Verwantwrotug haben und die sich einen Dreck darum scheren was mit den Leuten um sie herum passiert. Es macht mich einfach wütend wenn wir alles runterfahren müssen und womöglich noch Monate wie die Sardinen leben müssen und Opernvorstellungen und Konzerte, so wie sei einmal waren, in weite Ferne gerückt sind, weil ein paar Null-Checker sich asozial verhalten. Das ist so frustrierend.
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„Live ist an dieser 24 Solisten umfassenden Opern-Paella nichts…“ „La donna è mobile über ein allzu dünnes Stimmchen…“
Das scheint die Tragik der modernen Oper spätestens seit den 50er Jahren. Die Sänger haben nicht mehr die Power und Fähigkeiten, vor allem für die großen Häuser und Bühnen. Am besten man sieht Oper in einer kleinen Bühne wie Mantua oder so !
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